Frau Emma Hellenstainer und ihre Zeit – Vor dem Ausmarsch

Nun entwickelte sich in Niederdorf ein reges Leben, indem man von Tag zu Tag die Ordre zum Ausmarsch erwartete. Jeder hatte mit seiner Ausrüstung zu tun. In allen Häusern umstanden Männer den Feuerherd und gossen die für den Feind bestimmten Kugeln.

Die Weidtaschen wurden mit Werg und Kugelpflaster ausstaffiert. Am geschäftigsten ging’s beim Büchsenmacher zu; es war ein beständiges Kommen und Gehen, um an Gewehren noch nötige Reparaturen zu veranlassen. Unter Frau Emmas Anweisung verfertigten Frauen Kokarden, diese wurden nebst zwei kleinen weiß-grünen Seidenbandfähnchen an den Hüten über der Spielhahnfeder und Gemsbart befestigt. Man erwartete mit Ungeduld die von der Landesschutz-Deputation angeforderten Armeestutzen und Munition. Die Meisten waren ja mit der historischen Waffe der Tiroler, dem Scheibenstutzen, versehen, manche jedoch nur mit einem Jagdgewehr. Jene Leute, die weder Standschützen noch Wildjäger waren, teilte man den treffsicheren Scharfschützen zum Gewehrladen zu, damit gewiss kein Schuss unnötig verpufft werde.

Nach altem Herkommen zog zu jener Zeit auch der Offizier mit der Büchse vor den Feind. Die damals noch unverfälschte Landestracht bildete die Uniform. Vor dem Hellenstainer´schen Wirtshause waren neben der Türe auf dem Steinpflaster zwei Fässer Schießpulver zum Einfüllen der Pulverhörner offen aufgestellt, wo diese eiligst gefüllt wurden.

Ein Bäuerlein drängte sich dazwischen zum Zuschauen, zog sein Pfeiflein heraus und war eben im Begriff Feuer zu schlagen, als ein Besonnener unter ihnen, die ungeheure Gefahr gewahrend, dasselbe beim Kragen packte und auf die Seite schleuderte. Nun stellte man einen Posten dazu auf. Hellenstainers Fuhrknecht war gerade mit seinem Fuhrwagen voll Salz aus Hall unterwegs. In Welsberg hörte er, was los sei und was zu versäumen er in Gefahr stand. Er kam mit seinen sechs Pferden in Galopp herauf, warf die Peitsche weg und reihte sich ein. —

Welsberger und Niederdorfer bildeten eine Kompagnie von 135 Mann, unter denen sich auch drei namens Schacher befanden; einer von ihnen der vielgenannte Schacher Gorgele, geboren in dem jetzt der Familie Hellenstainer gehörigen Schacherhof in Prags. Derselbe wurde 1812 ins napoleonische Heer eingereiht, machte den Winterfeldzug nach Russland mit, kam bis Moskau, hatte die Genugtuung, den gegen die Pustertaler so grausamen General Broussier, ins Herz getroffen, vom Pferde stürzen zu sehen. Nach unsäglichen Leiden und Beschwerden beim Rückzug kehrte er dennoch mit seinem Bruder heil in die Heimat zurück.

Nicht als „gebrochener Mann“! Nein, er hat noch nachher im Pragser Wildseegebiet 600 Gemsen geschossen. —

Die Niederdorfer begaben sich abwärts, um gemeinsam mit den Welsbergern auszurücken.  Schulmeister Kramer, in kurzem Schützenrock und feschem Jägerhütl, marschierte mit dem Tambour voraus, dann kam der Hauptmann und Oberleutnant, in deren Mitte der Fähnrich. Den Schluss des Zuges machten Sappeure, Michael Hofer und Andrä Mayrgündter, Zimmerleute mit „Schermfell“ (Lederschürze), die blankgeschliffene Axt schulternd. Als man durch Niederdorf marschierte, ließ der Schulmeister plötzlich seine Trompete am Bandalier sinken, zog ein Schwegelpfeifchen heraus und begleitete den Trommelschlag mit einem der ältesten, an vergangene Jahrhunderte gemahnenden Tirolermärsche. Durch dieses Eintauchen in die graue Vergangenheit wurden alle tief ergriffen — am meisten wohl der Spielmann selber. Sein Geist, der Wirklichkeit entrückt, schien in unbekannten Fernen zu weilen.

In seinen Augen schimmerte es feucht. Man sah dem alten Kämpen an, wie er in der Erinnerung an seine längst vergangenen Jünglingsjahre versunken, sich in die Zeiten Andreas Hofers und Speckbachers zurückversetzt wähnte. — Halt! erscholl jetzt die Stimme des steuerkontrollierenden Kommandanten gerade vor dem Gasthaus „Emma“, das allerdings damals nicht so bezeichnet wurde, und „Gewehr bei Fuß“, „Kommod“ lautete das Kommando weiter; und es war gut gemeint. Ein frischer Trunk im Schwarzadler konnte nicht schaden, hatte man ja noch einen weiten Marsch vor sich. — Als sie dann bei Toblach ins Höhlensteinertal einschwenken wollten, wurde von Innichen her eine andere Fahne sichtbar, die gleichfalls an der Spitze einer dahermarschierenden Truppe flatterte. — Das waren die aus Wien zur Landesverteidigung herbeigeeilten Studenten der dortigen Universität. Und nun hielt ein Wagen, dem ein Greis im geistlichen Gewände entstieg, der sich sofort an die Seite des Kommandanten dieser akademischen Legion stellte, an die Seite ihres jugendlichen Hauptmannes und vaterländischen Dichters „Adolf Pichler“.

Der historische Held längst vergangener doch unvergesslicher Tage des Heroismus und des Ruhmes der Tiroler, der mehr als achtzigjährige Joachim Haspinger war herbeigeeilt, um den Mut seiner Landsleute neu zu beleben. Alles drängte sich heran, ihm die Hand zu drücken. Die Auflösung der Reihen beider Truppen erfolgte wie auf Kommando. Staffage: Eine der bedeutsamsten Landschaften Tirols, das 1200 Meter ü. d. M. liegende Hochland von Toblach, einstmals eine weitgestreckte Alm, Raum genug, einer Völkerschlacht zum Schauplatz zu dienen, und wo schon im Jahre 609 n. Chr. der Bojarenherzog Garibald die Sklavenheere aufgerieben hatte. Die brüderliche Vereinigung der Reckengestalten in derber Landestracht mit den geschmeidigeren Figuren der jugendlichen Kämpfer in verfeinertem Tirolerkostüm und in deren Mitte die ehrwürdige Gestalt des Heldengreises, welch ein Bild! Feurige Reden wurden gehalten, heilige Schwüre gegeben, es war ein Fest der Verbrüderung voll Enthusiasmus. Aber der Trommelwirbel mahnte zum Aufbruch, die Reihen beider Kompagnien wurden formiert. Die Fahnen, die Säbel der Offiziere senkten sich und die Kolonnen marschierten unter Trommelschlag und Pfeifenklang, durch laute Jauchzer unterbrochen, an einander vorüber. Die einen schwenkten ab und verfolgten ihren Weg zwischen die Dolomiten hinein, die anderen, für das Etschland bestimmt, zogen abwärts.

Joachim Haspinger hat am nächsten Tage in der Spitalkirche zu Niederdorf die heilige Messe gelesen. In dreistündigem Marsch gelangte man nach „Höhlenstein“. Der Name rührt von einem merkwürdigen Naturspiele her, von einem Loch, welches ein Berg in seiner Zackenkrone trägt, und durch das man bei gewisser Beleuchtung den Himmel durchschimmern sieht. Bald darauf ist man in Schluderbach. Dort erwartete unsere Kompagnie die Ordre haltzumachen und diesen Ort zu  verteidigen. An drei Punkten war ein ernster Angriff zu befürchten. Am Einbruchspunkt der Poststraße, die von Pieve ins Boitotal abzweigt und gerade nach Ampezzo führt. Zweitens die alte Römerstraße bei Pieve, auf den Kreuzberg zulaufend, und drittens die Straße, die über Auronzo gerade nach Schluderbach aufsteigt. In den an der ersten Straße liegenden Ortschaften hatten sich im Mai bei 9000, in den beiden anderen gegen 3000 Aufständische angesammelt. Die Welsberger Kompagnie hatte die Aufgabe, die Seitentäler von Schluderbach zu bewachen und zu verteidigen.

Weiters waren von Pustertal folgende Kompagnien ausgerückt: Die Brunecker, mit dem Hauptmann Dr. Eduard von Grebmer, Postmeister, unter dessen Kommando sich auch der Wirt vom goldenen Stern, Josef Toldt mit seinen Söhnen Wilhelm und Eduard (letzterer nachmaliger Schwiegersohn der Frau Emma), befanden; die Tauferer mit 170 Mann, die Sextner, Enneberger, Buchensteiner, Sillianer, Windisch-Matreier, in dieser letzten Kompagnie befand sich der alte pensionierte Schützenhauptmann Panzl Hans mit seinen Söhnen Gedeon und Josef; die Ampezzaner, mit dem Hauptmann G. Gh., ferner die Brixner, Sterzinger, Mühlbacher, Lienzer, Innicher, welch letztere eine alte Kriegsfahne aus den neunziger Jahren des achtzehnten Jahrhunderts und eine dreiläufige Gebirgskanone mit sich führten. Zur Ergänzung rückten dann aus den meisten Bezirken noch weitere Kompagnien nach. Es galt ja die Verteidigung bis zur Kärntnergrenze. Außer der Formierung der Landesschützenkompagnien wurden auch die Landsturmmänner in Evidenz genommen, für jede Ortschaft ein Kommandant und ein Alarmplatz bestimmt.

Das Entstehen dieser Einrichtung ist in das Dunkel der grauen Vorzeit gehüllt.

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Veröffentlicht von josefauer.com

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