Bei einem Dienstritt nach Ampezzo hatte der Feldkurier Rudolf Arming eine verdächtige Gestalt in phantastischer Uniform bemerkt, auf dem gelockten Haar einen Emanihut mit wallender Straußfeder, er fixiert die Figur näher, ja, das ist ja der T. T. aus Lorenzago, Sohn eines der reichsten Holzhändler aus Cadore, was hat der vor? Wahrscheinlich ein Emissär aus dem feindlichen Lager, die Ampezzaner zu gewinnen! Aber die Ampezzaner fielen nicht um. Der biedere Charakter derselben, ihr gesunder, schöner Menschenschlag, der sich besonders bei der Ampezzanerin mit so viel Anmut hervorhebt, der angeborene Sinn für Reinlichkeit in Kleidung und Wohnung lassen keinen Zweifel übrig, dass man es hier mit einem anderen Menschenschlag zu tun habe.
Die Sage lautet, dass dieselben von einer langobardischen Niederlassung abstammen, welche sich bei der Völkerwanderung hieher zurückgezogen hätte und eine Republik bildeten. Spuren einer solchen haben sich bis in die letzte Zeit erhalten, darunter jene Einrichtung, dass noch zur Periode, von der diese Erzählung handelt, die damals an prächtigen, kostbaren Wäldern reiche „Magnifica Comune“ alljährlich Mehl und Korn an ihre Gemeindemitglieder verteilte.
In Ampezzo waren k. k. Truppen einmarschiert, die gesamte männliche Bevölkerung aufgeboten, außer den Sturmmannschaften wurde den Truppen eine Pionierabteilung aus Ampezzaner Freiwilligen zugeteilt. Letztere wurden in militärische Montur eingekleidet, waren geübte Zimmerleute und Holzarbeiter, mit Äxten und Sägen ausgerüstet, und gingen mit der Truppe. Das Gros derselben hatte gegen die feindliche Armee Front zu machen, selbe besaß eine Länge von 13 Kilometern. Die 2414 Mann, alles in allem, ohne Artillerie, mussten sich auf die Defensive beschränken, die Aufständischen waren in zehnfacher Übermacht. Nun wurde, als am 2. und 3. Mai die Insurgenten unsere Vorposten mit voller Macht angriffen und auf die Reserve zurückdrängten, der Landsturm aufgeboten.
Der war kein illusorischer Begriff. Von Bruneck bis Lienz hallten die Sturmglocken… bald war alles in Bewegung. Die Leute auf dem Ackerfelde ließen Pflug und Gespann stehen und in wenigen Stunden, ohne Telegraph, Telephon und Eisenbahn, waren da bei tausend kampfbereite Männer auf die Nachricht, dass die Grenze bedroht sei, aufgebrochen, von Prags allein 140 Mann, von Pichl in Gsies waren 100 gekommen, von Olang 130 usw., die kampflustigsten und verwegensten Leute; selbe trafen teils mit Schießgewehren, teils mit allerlei ruralischen Instrumenten ein, Leute von 18 bis 60 Jahren, kurz, wer halt eine Büchse oder eine Sense zu tragen vermochte. Sie waren da, aber in Aktion zu treten brauchten sie nicht mehr; der Feind war zurückgewiesen, und marschierte unaufhaltsam auf seine Verschanzungen hinter S. Vito zurück.
Der wackere Oberjäger Götz suchte sich zumeist Posten zum Wachtdienst aus, die der feindlichen Hauptreserve am nächsten waren; da postierte er seinen für den Felddienst prächtig abgerichteten Caro 30 Schritte vor sich hin als Vedette, während er mit seinem ausgezeichneten Fernrohr die feindliche Position beobachtete. Es war keine Täuschung, als er an einem heiteren Morgen in der Person des Capitano der feindlichen Abteilung die Athletengestalt des schönen T. X. erkannte. Götz erschrak über diese Entdeckung, nicht wegen der strategischen Gefährlichkeit des italienischen Kommandanten, vielmehr aus Besorgnis um die persönliche Sicherheit desselben, denn wenn Signor T. von den Tirolern abgefangen wurde, so hätte er sich(ein sehr charmanter junger Mann und guter Gesellschafter — und wer hätte damals im Pustertal nicht den Signor T. gekannt), in einer argen Klemme befunden, im Falle er noch vor der später gewährten Amnestie vor die Schranken eines Kriegsgerichtes gezogen wurde.
Nach einiger Zeit trat zwischen den Gegnern ein Verhältnis ein, welches einem förmlichen Waffenstillstand glich. Eines Morgens traf im Hauptquartier am Kreuzberg ein Bote aus dem italienischen Lager ein, mit improvisierter Parlamentärflagge und erkundigte sich, ob es dem Capitano T. T. gestattet werde, mit ein paar seiner Offiziere ins Wirtshaus am Kreuzberg hinaufzukommen und ob ihnen dann wieder freier Abzug gewährleistet würde? Als die bejahende Antwort zurückgelangt war, versammelte sich bald darauf eine der interessantesten Tafelrunden. Anfänglich gespannt, geriet die Unterhaltung durch den vortrefflichen Wein bald in ungezwungenen Fluss. Man sprach von allem, nur nicht von den abnormalen politischen Beziehungen zwischen Gastgebern und Gästen. Das Gespräch fiel auch auf Jagen und Schießen. Da trat ein alter Gemsenjäger aus Sexten, welcher an einem Seitentische füll lauschend gesessen war, auf den Capitano zu: „Scior T., es gilt nur eine Maß Wein, wenn Sie wetten wollen, dass ich einen schweren Kreuzer (Kupfermünze in der Größe eines Guldenstückes) auf 200 Schritte anschieße!“ Die Wette wurde sofort angenommen, der „Kreuzer“ an einem Baumstamme befestigt, die Schritte abgezählt, und bald stand der Gemsenjäger auf dem Anstand. In weitem Kreise herum standen die Hauptleute, Offiziere und Schützen, ein Lächeln im wettergebräunten Gesicht; sie bangten nicht um den Erfolg. Den drei jungen Italienern, welchen man die gespannteste Erwartung ansah, ließ man auf höfliche Weise den Vortritt. In der Mitte dieser Gruppe die gedrungene Gestalt des „Steffel“ in dunkler Joppe, federgesticktem Leibgurt, derbgenagelten Schuhen, bloßem Knie, das an Farbe nicht viel abstach von den „Bockledernen“. Als er seinen Stutzen frisch geladen hatte, hob er langsam den Kolben an die Backe das Auge senkt sich einen Moment es kracht und — die Kupfermünze fliegt herab. „Einen Gedanken zu weit rechts“, meint bescheiden der Steffel beim Absetzen des Gewehres; er zog den Hut und winkt gutmütig lächelnd und grüßend dem schönen Scior T. zu. War es die verlorene Wette, welche die fremden Gäste auf einmal so nachdenklich stimmte? Sie nahmen bald Abschied und kehrten ernster zurück, als sie gekommen waren. Eine andere Begebenheit, welche noch nach Jahren an Emmas Tisch erzählt wurde, war eine Feldmesse für Freund und Feind. Die Übernahme des Oberkommandos am Kreuzberg durch Graf Wolkenstein fiel zusammen mit der Ankunft des Kaisers Ferdinand in Innsbruck.
Der erste Tagesbefehl des neuen Kommandanten war die Abhaltung eines Dankgottesdienstes. Derselbe wurde vor dem Hauptquartier (eigentlich angesichts des Feindes) abgehalten. Der altehrwürdige Messgesang von Haydn „Hier liegt vor deiner Majestät“, von den Sängern mit ergreifender Meisterschaft vorgetragen, so erhebend, dass sich sogar die feindlichen Vorposten der Andachtsübung anschlossen. Als die Glocke das Zeichen zur heiligen Wandlung gab, sah man die äußersten italienischen Vedetten in die Knie sinken —, dabei kann aber nicht verschwiegen werden, wie es damals dem Oberjäger Götz beinahe ergangen wäre. Er hatte sich, um die feindlichen Beter besser beobachten zu können, etwas weiter vorgewagt, als eine Kugel gerade neben seinem Kopfe in einen Baum einschlug. Noch eines: „Die Weiber auf Avisoposten“.
Auf einer Anhöhe, eine Viertelstunde von Sexten entfernt, war ein Avisoposten mit Alarmstangen aufgestellt, welche, um die Männer der Grenzbewachung nicht zu entziehen, von Sextner Frauen freiwillig bedient wurde. Die Verproviantierung dieser Schützentruppen am Kreuzberg und in Schluderbach hatte der alte Kopfsguter, Wirt zum grauen Bären in Innichen, übernommen; sein Sohn war Schützenhauptmann der Innicher Kompagnie. Dieser gute Mann lieferte alles zum Selbstkostenpreis, die Yrne Wein zu 7 Gulden, den Zentner Selchfleisch zu 77 Gulden, die ganze Lieferung gratis. (War das etwa bei den Armeelieferanten im Weltkrieg auch so?)
Es wurde ihm dafür die goldene Verdienstmedaille zuerkannt. Endlich waren die venetianischen Gebiete wieder von österreichischen Truppen eingenommen, normale gesetzliche Verhältnisse kehrten zurück, die Grenzbewachung wurde allmählich vermindert und endlich aufgehoben. Die Schützen kehrten heim. In der allerhöchsten Anerkennung vom 22. Dezember 1849 wurde Ampezzo unter jene Gemeinden gezählt, welche sich unter allen im Lande durch Heldenmut und Treue ausgezeichnet hatten. Im Jahre 1848 sah Niederdorf auch Gefangene aus der ungarischen Revolution vorüberziehen, unter anderen den Banus von Kroatien, einen Patriarchen usw. Nun endlich aber Schluss mit diesem Kapitel aus dem Jahre „48“. — Hoffentlich gelang es, dieses Bild aus glorreicher Vergangenheit, geschöpft aus verschiedenen Quellen — leider einseitig genug — der Vergessenheit zu entreißen (zusammengetragen aus den Aufzeichnungen von Rudolf Arming, Johann Mitterwurzer, sowie aus Erzählungen von Frau Emma, Josef Mair und Josef Jäger).
Und die angeschossene Kupfermünze? Diese müsste sich noch in Innsbruck vorfinden, im Nachlass des dort als Forstmeister in Pension verstorbenen ehemaligen Försters Götz von Sillian.
Ampezzo hieß vor 60 bis 70 Jahren noch allgemein „Heiden“. Dieser Name ist nun ganz in Vergessenheit geraten. Die den Champignons ähnlichen Schwämme, welche nur in der Gegend von Ampezzo Vorkommen, haben noch heute den Namen „Ampezzaner Schwämme“. Für ein Pfund dieser Schwämme, getrocknet in den Handel gebracht, zahlte man einen Taler. Frau Emma benützte sie stets bei der Herstellung ihrer kulinarischen Kunststücke.