Sage vom Wolfendorn

Der Paß über den Brenner, welcher schon zu Römerzeiten bekannt war, bildet ein Hochtal, eigentlich einen tiefen Spalt durch die Zentralkette, welche vom St. Gotthard her durch Tirol zieht und sich in der Steiermark verflacht. Ehe man vor die Zentralkette zum Brennerspalte kommt, trotzt der „Tribulaun“ mit seiner vergrabenen Wünschelrute dem Himmelsgewölbe; dann folgt die Rotspitz, Pfeiferspitz, Hoher Lorenzen, hierauf kommen die grasreichen Kreuzböden mit der Alpe Stein, und von da stürzen steil abgedacht die Wände nieder zum Brennersee und zur Brennerstraße und zeigen einen durchbrochenen Riesendamm.

Jenseits, am östlichen Abhänge dieses Gebirgseinschnittes und jenseits vom See, steigt ein gewaltiger Berg auf, der wird „Nornberg“ oder Wolfendorn genannt, er ist gegen 9000 Fuß hoch, leicht ersteigbar und endet in eine Spitze, ebenfalls leicht ersteigbar und mit wundervoller Aussicht, die leider noch zu wenig Naturfreunden bekannt ist. Der Nornberg soll einmal sehr wichtig gewesen sein, es soll ein Tempel oder Heiligtum darauf gestanden haben, aber die alten Sagen darüber sind verhallt oder getrübt. Die neuen Sagenforscher dürften freilich frisch bei der Hand sein, die Nornen der Eddamythe auf die Nornspitz hinaufzuzaubern; doch möchte solche kecke Annahme in das Himmelsblaue hinein kaum stichhaltig sein, so schön es wäre, wenn es wäre, und möchte der Name wohl eher vom alten Norikum abzuleiten sein, in das der Nornberg hineingeblickt.

Quelle: Deutsche Alpensagen. Gesammelt und herausgegeben von Johann Nepomuk Ritter von Alpenburg, Wien 1861, Nr. 310.

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Veröffentlicht von josefauer.com

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