Frau Emma Hellenstainer und ihre Zeit – In der Küche

Frau Emma hatte stets verlässliche, treue Dienstboten. Vor allem eine brave Köchin, die blonde Anna von Frenes aus Kiens bei Ehrenburg. Im Gegensätze zu vielen ihrer Kolleginnen von ruhiger, sanfter Gemütsart, im Kochen eine Künstlerin. War nichts beim Herde zu tun, so setzte sie sich an ihr Spinnrad und hatte als Bevorzugte auf ihrem Rocken nicht Flachs sondern Seide, wie die Frau selber.

Wenn der „Weinherr“, Baron Salvadori aus Margreid im Juli kam, für die abgeholten Fuhren Wein zum „Jakobipreis“ abzurechnen und das Geld einzukassieren, so brachte er der Frau Emma wohl ein Dutzend Pakete Rohseide mit zum Spinnen. So war es von jeher gebräuchlich und die Geschäftsverbindung zwischen dieser Familie Salvadori und den Hellenstainern von Niederdorf bestand ununterbrochen schon damals weit über 100 Jahre (einzig in Tirol). Einem Urahnen der Salvadori wurde der Adelstitel unter Kaiserin Maria Theresia zuerkannt für die Einführung der Seidenraupenzucht und Spinnerei im Lande.

Also Anna spann Seide und die anderen Mägde Flachs. Kam der kühle Abend, so hatte sie ein Bedürfnis, unter dem alten Lindenbaum neben dem Hause (dessen schon im Tiroler Ehrenkränzlein vor 200 Jahren Erwähnung getan wird) auszuruhen und frische Lust zu schöpfen. Merkwürdigerweise hatte der Obergesell von der Schmiede just um die Zeit herum dasselbe Bedürfnis, und was ist begreiflicher, als dass die zwei sich gegenseitig unterhielten — über nichtssagende Dinge, aber nach den Augen der beiden zu schließen, musste es doch höchst interessant sein. War das Viertelstündchen vorbei, so kam es Anna vor, ihre Füße berührten keinen Erdboden mehr, o nein, sie meinte zu schweben und dachte jedes Mal: morgen werden seine Lippen wohl aussprechen, was heute nur mit den Augen gesagt war; jedoch dieses „Morgen“ wollte nicht kommen. — „Wie schüchtern doch diese tapfern Männer sind; ich weiß, er braucht eine Frau, er will sich ja selbständig machen.“

Sie kalkulierte ganz richtig: Er suchte eine Frau, aber — eine reiche und Nannele besaß nichts. Um die 50 Gulden Jahreslohn kamen ihre zwei Brüder, der Maler und der Lehrer, jeder mit großer Familie und kleinem Gehalt, denn „du brauchst es ja doch nicht!“ Zwei Paar Schuhe, Hemden, Schürzen waren eingedingt, ihr Sonntagsstaat, der eingewirkte Schal und die Pelzhaube mit Goldstickerei in der Mitte, würden, wie es in jener Zeit tatsächlich bei vielen der Fall war, ihr lebelang reichen. — Und der Seppl suchte und fand eine reiche Frau, eine Bürgerstochter aus Sterzing, man hatte eine Schmiede in Aussicht und wollte mit dem Heiraten nicht zögern. Als dies Anna zu Ohren kam, meinte sie freilich, jetzt sei es mitten im Tag finster geworden! — Ach, warum hatte sie ihre Augen auf diesen stattlichen Burschen geworfen, sie, so arm, so klein, so unbedeutend? Aber die Welt steht nicht still wegen eines gebrochenen Herzens, auch nicht wegen tausenden; es heißt weiterleben.

Nächsten Morgen um fünf Uhr wunderte sich die Kochenlernerin, warum denn die Köchin heute schon aufstehe, sah, noch halb im Schlaf, wie sie sich mit geweihten Medaillen und Skapulier behängte. Sie wird in die Frühmesse gehen, dachte sie,… drehte sich um und schlief weiter. Die Köchin ging aber nicht in die Frühmesse sondern — in die Rienz!

Der Rössler war beim Morgengrauen beim Einspannen, schaute gegen Osten um das Wetter aus. Ja, was kommt denn jetzt da im Bach herunter für ein Klumpen? Und auf einmal hebt sich ein weißer Arm. „Um Gottes willen“, ruft er dem vorübergehenden Garber Hans, Orgelaufzieher, zu, „da ist ein Mensch im Bach!“ Er eilt die Böschung hinab, steigt hinein in die reißenden, eiskalten Fluten, auf das Opfer zu und müht sich, es zu fassen. Es drohen die Wellen ihn umzuwerfen, aber da ist schon Hans zu Hilfe gekommen und beiden gelingt es, die nur mehr schwach Widerstrebende ans Ufer zu bringen. Im Dorfe glaubt alles an einen Unfall, nur Frau Emma und der alte Doktor wussten um den Sachverhalt, es kam nie ganz auf, denn die beiden waren keine Schwätzer.

Dr. Kunater riet, sie solle Niederdorf verlassen. Er verschaffte ihr eine Stelle auswärts bei einem Kollegen, der ein Heilbad hatte; dort war für Anna ein Wirkungskreis und sie fand sich mit der Zeit wieder zurecht.

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Veröffentlicht von josefauer.com

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