Frau Emma Hellenstainer und ihre Zeit – Harfenisten

Was ist Fortschritt! Zu den Stellwagenzeiten, d. i. von zirka 1850 bis 1870, waren die Unterhaltungen dortselbst ganz anderer Art. Da gab es die Harfenisten. Ein paarmal im Jahre kamen solch fahrende Musikanten, Böhmen. Besonders war da eine Familie, ein alter Vater, ein Sohn, zwei Töchter. Letztere hatten ihre in einem Stofffutterale eingehüllten Harfen auf dem Rücken, so kamen sie zu Fuß daher, von der jungen Bevölkerung mit Freuden begrüßt; denn nun gab’s Tanzball in der Gaststube. Die Spinnräder mussten hinaus, die Tische wurden ganz an die Wand geschoben. Die Zecher und Zuschauer mochten sehen, wie sie zurechtkamen.

Die „Künstler“ hatten in Frau Emmas Wirtschaft ein eigenes Appartement, die „gelbe Gastkammer“ (die wenigen Zimmer führten damals eher solche Bezeichnung als eine Nummer). Sie verschwanden also in die gelbe Gastkammer, als staubige, ältliche, vergrämte, unansehnliche Gestalten — und nach einer halben Stunde kamen zwei jugendlich strahlende, anmutige Damen heraus. Besonders imponierte den Haustöchtern die kunstvolle, unnachahmliche Haartracht derselben. Wie schön sie spielten und wie gut sich’s beim Harfenklang tanzen ließ und die Stunden verflogen, nur zu schnell machte Frau Emma Schluss. Nächsten Morgen tauchten sie wieder auf, trübselige, früh gealterte, verwelkte Frauen, die mit ihren Kannen und Dosen der Küche zustrebten, um für die ganze Familie Kaffee zu kochen; es musste für sie auf dem Herde Platz gemacht werden, das war ihr altes, verbrieftes Recht. Dann wurden unzählige Schalen dieser braunen Labung getrunken.

Eine andere Spezialität waren die Moritateln; zuerst wird es geheißen haben Mordtat, dann Moritat und zuletzt Moritatel. —

Früher gab’s ja wenig Zeitungen. In Niederdorf beim „Schwarzadler“ hielt man das Amtsblatt „Bote für Tirol und Vorarlberg“, die „Schützenzeitung“, die Wochenschrift aus Neutitschein „Die Biene“. Auf der „Post“ gab’s die „Augsburger Allgemeine“. So waren Tagesneuigkeiten den meisten schwer zugänglich. Diesem Mangel wurde abgeholfen durch diese wandernden Sänger, Mann und Frau mit ihrer großen Tafel. Wie sie etwa transportiert wurde, ist ein Rätsel (vielleicht zusammenlegbar).

Zu Jahrmärkten oder auch an gewöhnlichen Tagen wurde diese Tafel aufgestellt; der Mann wies mit einem langen Stabe auf die dargestellten Begebnisse und beide begannen das vorgestellte Drama zu erklären, das in Versform und Musik gesetzt war. Es scheint nie habe dem ein freudiges oder glückliches Ereignis zu Grunde gelegen, immer etwas Schreckliches, Blutiges, und mit Erz brechendem Pathos wurde es vorgetragen. Ein dichter, sich immer näherdrängender Kreis von Zuhörern hatte sich alsbald herumgruppiert und das Ergebnis für die Produzierenden war manchmal kein geringes.

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Veröffentlicht von josefauer.com

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