Von der heiligsten Dreifaltigkeit

Wer am Dreifaltigkeitssonntag früh vor Tau und Tag auf einen hohen Berg steigt, der sieht anstatt einer Sonne ihrer drei aufgehen. Denn an diesem Tag erscheint die Sonne in dreifacher Gestalt: Gott Vater, Gott Sohn und Heiliger Geist.

Es waren ihrer etliche, die hatten sich verabredet, am Dreifaltigkeitssonntag eine Höhe zu erklimmen, um den Sonnenaufgang zu beobachten. Gesagt, getan; sie stiegen lustig hinauf; aber da fiel ein so dichter Nebel ein, daß ihnen angst wurde um den Rückweg und sie mühsam wieder zu Tal kletterten, vermeinend, das sei etwa die Strafe für ihren Fürwitz.

Auch gingen vereinst ein paar Herren übers Gebirg und waren vertieft in eifriges Gespräch über das Wesen der Dreifaltigkeit. Hoch oben an einem Joch fanden sie einen See und sahen an seinem Ufer ein kleines Büblein sitzen. Das hatte sich ein Löchl in die Erde gemacht und schöpfte mit einem Löffel Wasser aus dem See in das Loch. Als die Herren das Buberl erblickten, lachten sie, und einer rief:

„Was machst du? willst du den See ausschöpfen?“

Statt zu antworten, fragte es: „und was tust du?“ –

„Ich suche das Wesen der Dreifaltigkeit zu ergründen.“ –

„Ich will wohl leichter den See ausschöpfen, eh du den Glauben an die Dreifaltigkeit ergründest,“ sagte das Kind.

Und im Augenblick war es verschwunden.

Quelle: Raff Helene, Tiroler Legenden, 1924, S. 8

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Veröffentlicht von josefauer.com

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