Die zwei führenden Familien in Niederdorf waren die Hellenstainerischen und die Postmeisterischen, wenn schon letztere den gleichen Namen führten. Man dachte als „führend“ hauptsächlich an die Frauen.
Josefs ältester Bruder hatte sich seine Gattin aus Innichen, vom berühmten Gasthof Tagger geholt, eine Kopfsguter, eine reiche Partie. Die resolute Dame hatte ihrem Franz, ohne dass er es merkte, gar bald die Zügel aus der Hand genommen, wohl nur zu seinem Besten. Sie ließ ihm großmütig auch die Überzeugung, dass alles, alles nur von ihm so gut disponiert und geleitet sei. Auch war sie mit dem seltenen Geschick begabt, das große Hauswesen, Gastwirtschaft, Ökonomie mit vielen Dienstboten spielend zu führen, und hat acht Kinder großgezogen. Sie war überall bewandert, in Küche, Keller, Garten, Stallwirtschaft und Feldbau, war nicht geizig, nur weise Sparsamkeit zeichnete sie aus. Vor der gestrengen Frau Mutter hatten Kinder und Dienstboten einen heilsamen Respekt. Und bei ihr gedieh alles. Angestellte blieben vielfach lebenslang im Hause; es war eine Ehre, dort unterzukommen. Auf diese Weise ermöglichte sie es ihrem Franz, sich ganz seinem Lieblingsfach, der „k. k. Post“, zu widmen. Das war sein Ideal, sein Glück! Es musste aber alles wie am Schnürchen gehen, kein Tüpferl durfte fehlen.
Brachten nun die Parteien ihre Poststücke in die Kanzlei, so war immer etwas daran zu bemängeln. Und erst, wenn die vom Schwarzadler kamen, brauste er auf: „Alle Niederdorfer haben sich nach und nach abrichten lassen, nur diese Hellenstainerischen nehmen keine Lehre an. Da schau‘, dieses Paket ist falsch verschnürt, jenes nicht richtig gesiegelt“.
Wollte man sich dann mit seinen Sachen beschämt davontrollen, so siegte wieder sein gutes Herz. „Gib nur her — ich mach’s schon“. Zwischen den zwei Wirtinnen bestand immer ein Wettstreit, wer die Seide schöner spann, bei wem die Muskatzonen und Karnertörtchen besser gerieten, wer im Sommer mehr Fremde und im Winter mehr Bauernhochzeiten hatte. Bei den letzteren half in zweifelhaften Fällen die Kopfsguterische wohl dadurch nach, dass sie dem in der Wahl des Gasthauses unschlüssigen Hochzeiter einen Zuckerhut ins Haus sandte und diesen so auf ihre Seite brachte. Gab Frau Emma ihre Töchter ins Institut nach Bruneck, so kamen die von der „Post“ nach Brixen zu den „Englischen“, was entschieden viel nobler war. Bei der „Post“ ging man mit der neuesten Mode.
Frau Emma hätte es vielleicht auch gerne getan, — aber hierin verstand Josef keinen Spaß. Kurz und gut, man suchte sich in allem zu übertreffen. Jedoch in einem Punkte war Frau Anna Hellenstainer, geborene Kopfsguter, der Frau Emma Hellenstainer, geborenen Hausbacher, himmelhoch überlegen und sie betonte es oft genug mit Selbstgefühl: „Postmeisterin gibt es nur alle vier Stunden eine“.
Leider starb die Gute schon am 17. April 1866, viel zu früh für ihre Familie, jedoch glücklicherweise noch ehe die Eisenbahn den Nimbus der Postmeisterwürde zum Verbleichen brachte. Wäre ihr eine längere Lebensdauer beschieden gewesen, so würde sie sich sicher in die Lorbeeren der Frau Emma geteilt haben. Ihr Mann überlebte sie noch zehn Jahre und wurde ihm in Anerkennung seiner hervorragenden Amtstätigkeit das goldene Verdienstkreuz mit der Krone verliehen.