Frau Emma Hellenstainer und ihre Zeit – Gäste von weither

Einmal brachte der Stellwagen von Brixen eine englische Familie. Das Haupt desselben stellte noch vor dem Aussteigen die Frage: „Gibt es bei Euch Sauerkraut?“

Verwundert bejahte die herbeieilende Wirtin jene sonderbare Frage. „Gut“, sagte Mr. Colquhoun, „dann bleiben wir hier“. Dem Wagen entstiegen sodann Herr und Frau, sowie zwei Töchter, Isabel und Florence, mit den Kosenamen Diddie und Piggie. Mr. Colquhoun war ein seltsamer, aber liebenswürdiger Mann, voll Witz, und gleich in den ersten Tagen mit der Einwohnerschaft bekannt und vertraut. Auf dem drehbaren Schusterstuhl des Meisters Amhof sitzend, erzählte er und ließ sich erzählen, als wären sie alte Bekannte.

Mit dem Stedile Binder (Küfer) befreundete er sich auch sehr bald und verbrachte viele Stunden in seiner Werkstatt. Beim Handschuhmacher — dieser Beruf war früher sowohl in Niederdorf, wie auch in Toblach und Innichen sehr entwickelt — bestellte er sich Dutzende von rehledernen Handschuhen für seine Damen, wohl zu ihrem Leidwesen, denn diese hätten sich mit diesem Artikel lieber in Paris versorgt. Übrigens scheint er ihnen bei Bestellung von Toiletteartikeln keine Wahl gelassen zu haben. Mrs. Colquhoun sagte einmal: „Er kauft uns lieber Diamanten als Hemden“. Die Töchter lemten und erlernten beim Schulmeister Franz Egarter während ihres Aufenthaltes in Niederdorf fließend und korrekt die deutsche Sprache.

Miß Isabel kletterte mit einigen jungen Ortsangehörigen auf die Berge und kehrte einmal, von einem Hofstaat enthusiastischer Bergsteiger umgeben, vom Saarlkofel zurück, geschmückt mit einem Diadem von selbstgepflücktem Edelweiß; sie war eine höchst anmutige Alpenkönigin!

Meister Stedile verfertigte ein nobel gearbeitetes Krautfass mit den kunstvoll ausgestochenen Initialen seines englischen Freundes, und sobald es Kohlköpfe gab, wurden sie eingeschnitten und das Fass gefüllt, mit der Bestimmung nach Cannes, Villa Les Mimosas, Boulevard de la Croisette, dem Winteraufenthalt der Familie…

Der Herbst war da. Morgens vier Uhr ging schon das Dreschen los… Am 3. Oktober reisten sie ab mit dem Versprechen, bald wieder zu kommen und in Freundeskreisen Propaganda für Frau Emma zu machen. Von da an war sie auch über dem Meere bekannt. Einen Teil ihres Vorsatzes hielten sie nicht und kamen erst wieder nach Jahren, angekündigt durch einen Brief mit folgender Adresse: „An Frau Emma Hellenstainer, wenn sie nicht mehr lebt, an Postmeister Franz Hellenstainer, und wenn der nicht mehr lebt, an Franz Egarter, Lehrer, oder an den jeweiligen Gemeindevorsteher!“ Alle Adressaten lebten noch; die liebe Familie traf wieder ein, überdies brachte Mr. Colquhoun einen Schwiegersohn in spe mit, „The Right Honourable, the Earl of Limerick von Dromore Castle, Ireland.“ Doch Niederdorf war nicht mehr das vom Jahre 1862. Statt Postkutsche und Stellwagen regierte das Dampfroß. Romantik und Gemütlichkeit waren dahin.

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Veröffentlicht von josefauer.com

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