Frau Emma Hellenstainer und ihre Zeit – Endlich Ruhe

Die letzten Lebensjahre verbrachte sie im Winter in Meran, im Sommer in Niederdorf, am liebsten in Prags. — Jetzt konnte sie rasten; sie saß am See, dem dunkelgrünen, mit dem Hintergrund der hohen Felsen und ließ die bewegten Bilder ihres Lebens, der Vergangenheit, an ihrem Geiste vorüberziehen und die Wellen sangen ihr ewiges Lied dazu. Heiß war das Tagewerk gewesen, desto süßer die Ruhe, friedlich flossen die Tage und Wochen dahin.

Aber einmal, im Hochsommer des Jahres 1902, trat ein Ereignis ein, welches auf lange Zeit ihre Seelenruhe trübte. Ein junger Priester war vom Seekofel abgestürzt. Derselbe, Kapuziner Edmund aus Burghausen, einer distinguierten Bürgersfamilie in München entstammend, wohnte in dem zum See gehörigen Schacherhof in St. Veit in Innerprags.

Er hatte am 18. August die Kaisermesse zelebriert und die Sommerfrischler, die dem Gottesdienste beiwohnten, freuten sich über seine wohlklingende Stimme; tags darauf fand er seinen Tod in den Bergen. — Der Seekofel, 2810 Meter hoch, beherrscht das Südende des Wildsees. Seine ungeheuer steilen Wände scheinen fast senkrecht in den See abzufallen; die rötliche Farbe des Dolomitgesteins und das leuchtende Grün des Wassers bilden einen herrlichen Gegensatz, seine Besteigung ist aber viel weniger schwierig, als sie von dieser Seite erscheint; sie ist wohl etwas beschwerlich, aber ohne eigentliche Gefahr, der Weg gut markiert, an einer bedenklichen Stelle durch ein Drahtseil gesichert. Man wandert durchs „Nabige Loch“ in etwa viereinhalb Stunden zum Gipfel. Pater Edmund, der allein und führerlos ging, hatte den Gipfel, welcher früher durch eine trigonometrische Pyramide von weitem erkenntlich war, glücklich erreicht, war aber beim Rückweg in Nebel geraten und bei den sogenannten „Hintern Öfen“ etwa 150 Meter tief abgestürzt, totgefallen. Das Unglück ist offensichtlich auf die führerlose Einzelwanderung zurückzuführen, da ein Ortskundiger auch bei Nebel den richtigen Weg nicht verfehlt hätte. Man fand den Verunglückten auf einer leicht zugänglichen Geröllhalde, von wo ihn zehn Führer zum Südende des Sees herabbrachten.

Es war zehn Uhr abends, als mehrere durch Fackelschein beleuchtete Boote langsam zum Landungssteg des Hotels dahinglitten. Selten mochte man einen Trauerzug von so ergreifender Düsterheit sehen. Die Boote trugen die Bergführer, einen Geistlichen und den Gemeindearzt. Im größten Boote befand sich der schwarz bedeckte Sarg. —

Während die leichten Nachen in der Finsternis langsam dahinglitten, ertönte von denselben leises Gebet herüber, vom Türmchen klang Glockengeläute. Auf der Landungsbrücke erwarteten den Verunglückten Herr Hellenstainer und die Angestellten des Hotels mit brennenden Kerzen in der Hand. Schwer zu schildernde Wehmut ergriff alle Zeugen der Szene, als nunmehr die düstere Prozession unter stetem Gebete sich zu dem nur wenige Schritte entfernten Blockhäuschen bewegte, das in eine Kapelle verwandelt worden war und wo der abgeschiedene Gottesmann zunächst über Nacht ruhen sollte. Vor der improvisierten Kapelle wurde der Sarg zu Boden gestellt, die Teilnehmer mit Lichtern gruppierten sich im Kreise und verrichteten mit dem Priester andächtige, manchmal durch Schluchzen unterbrochene Gebete. Sodann wurde Pater Edmund aufgebahrt und sollte am nächsten Morgen nach Niederdorf gebracht und dort beerdigt werden.

Die Hotelgäste und Touristen, welche dieser überaus ergreifenden Feier beigewohnt hatten, nahmen den tiefsten Eindruck mit sich und gedachten mit schmerzvoller Bekümmernis des jungen, gottgeweihten Menschenlebens, das hier ein so tragisches, frühes Ende gefunden hatte.

Nächsten Tages kam telegraphische Nachricht von seiner Familie, Generalarzt Buchetmann, wodurch seine Überführung nach München angeordnet wurde.

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Veröffentlicht von josefauer.com

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