von Ludwig Steub
Von da nach Lannersbach herunter führt ein anmuthiger Pfad am Bache hin. Aus tiefer Dämmerung schimmerten endlich die spitzthurmige Kirche und die hölzernen Häuser, die zwar etwas ansehnlicher sind, als jene in Hinterdux, aber ebenso schwarzbraun und rußig. Man sollte es nicht denken, daß zwischen hölzernen Häusern ein solcher Abstand seyn könnte, wie zwischen den Hütten in Dux und den Palästen im Bregenzerwald. Uebrigens ging ein sehr kühler Nachtwind, denn das Klima von Dux ist kalt und rauh. Dank der hohen Lage – 4666 Wiener Fuß über dem Meere – und der Nachbarschaft des Ferners.
Im untern Wirthshause zu Lannersbach saßen zwei Landsleute beim Weine, Gymnasiasten von München, deren einer, als leidenschaftlicher Geognost, eine Menge von Zeichnungen und stenographischen Notizen, auch einige gesammelte Felsstücke bei sich trug. Er freute sich, jetzt mehr und mehr in reichhaltige Gegenden vorzudringen, und hatte sich versprochen, den derben Hammer, den er bei sich führte, im Steinreich [513] mächtig walten zu lassen. An einem Stücke gelobten Landes war er freilich schon vorbeigegangen, denn die östlichen Nachbarthäler von Dux, die ihre Wässer in den Zillerbach ergießen, verbergen unendliche Schätze für Mineralogen wie für Botaniker. Für erstere zumal ist der Greinerberg als Fundgrube berühmt. Ich beklagte im Stillen des Scolars jungen Rücken, dem der geognostische Eifer so viel zu tragen gab über Berg und Thal, und seine Stenographie sprach mich in Dux fast ebenso seltsam an, als die lackirten Schuhe der schönen Zillerthalerin. Wir fanden uns bald in lebhaftes Gespräch hinein und es war daher sehr unwillkommen, daß ein betrunkener Hintenbauer, ziemlich jungen Alters, sich zu uns setzte, welcher die Unterhaltung jeden Augenblick durch ungeschickte Reden stören wollte und nach allem tappte, was der Geognost der Belehrung halber auf den Tisch legte, nach all den werthvollen Felsstücken, nach den mineralogischen Zeichnungen und selbst nach den stenographischen Notizen. Als wir ihn baten, er möge das unterlassen, nahm er unaufgefordert den wissenschaftlichen Hammer und hieb damit in den Tisch, daß die Gläser alle klirrend in die Höhe sprangen und selbst die Felsstücke dröhnend aufhüpften. Dabei lachte er gerade wie der Teufel, nämlich ungemein dämonisch. Wir sahen uns bedenklich an, er aber hielt eine Rede, von der wir keine Sylbe verstanden. Ich glaube auch, es ist nur ein Blendwerk des Bösewichts gewesen, lauter mystische Worte, ohne Sinn und Zusammenhang. Gleichwohl verlangte das Ungethüm, wir hätten es verstehen sollen, und als wir nach unsrer Ueberzeugung erklärten, das sey uns unmöglich gewesen, schlug er mit dem Hammer wieder in den Tisch, daß das Haus in seinen Grundfesten erbidmete. Mich nicht verstehen? rief er dann – ja freilich, ein Herr ist ja kaum ein Mensch, höchstens halbwegs. S’ ist dieß schon aller Ehren werth, wenn der Bauer ein ganzes Vieh ist, erwiederte der Geognost in schnellem Gegenschlag. Dadurch fand sich aber der idyllische Zecher übel getroffen und brummte mit steigendem Getöse an einer Antwort, welche jedenfalls sehr herbe zu werden drohet, als Jörgel, der Wirth, herantrat und ihm unter [514] schlimmen Trümpfen allen Umgang mit uns untersagte. Der Aelpler nahm darauf knurrend seinen Branntwein und begab sich an den andern Tisch. Am andern Tische und zwar in der Ofenecke saß übrigens auch, den breitrandigen Hut tief ins Gesicht gedrückt und dazu noch von dem Lichte der dünnen Kerze nur unsicher beleuchtet, das Duxer Maidele, ruhig und schweigsam, denn sie litt an einem bösen „Schinken“ (Schienbein). Sie war längst verschwunden, als wir zu Bette gingen; vorher hatten wir sie nicht angeredet.
Es war Samstag, der 3 September 1842. Die Studenten waren in der Frühe davon; ich dagegen wollte warten bis auf den Sonntag, den Kirchweihtag von Lannersbach. Die Duxer Kirchweih war in den Tagen, wo das Volk noch offen und vor aller Welt sich seines Daseyns freuen durfte, eine Musterkirchweih, wie die zu Zell am Ziller. Liebhaber des Volkslebens kamen von fern und nah in das abgelegene Thal, um die Duxer fröhlich zu sehen. Die Duxer sind nämlich so zu sagen die Schooßkinder der gefürsteten Grafschaft in Schimpf und Ernst, und ihrer Kindlichkeit gönnt man auch gerne diese Auszeichnung. Es ist kein zweites Thal im Lande, das mit dem ihrigen verglichen werden könnte. Der natürlichen Lage nach ein Zuthal des Zillerthales, welches ohnedem schon ein Seitenthal ist, hat es doch seine Sonderphysiognomie gerettet in Tracht, Sprache und Lebensweise. Die Zillerthaler, ehemals wohl in den meisten Stücken ihren Hintermännern ähnlich, haben neuerer Zeit durch bekannte Verhältnisse in der Verfeinerung solche Sprünge gemacht, daß sie jetzt für das weltläufigste, geschliffenste Bauernvolk in Tirol gelten können; die Duxer aber sind in ihrer alpenhaften Geistesjugend geblieben wie vorher, noch immer keine Fernzügler, sondern gern am heimischen Herde, unverlockt durch die abenteuernden Handelschaften der andern, ehrlich und ohne Falsch. So müssen sie sich zwar wie alle alterthümelnden Bevölkerungen manche hirtliche Naivetät nachsagen lassen, sind aber gerade deßwegen so beliebt bei den Landsleuten, die in ihnen das Bild der Väter, die ächtesten Enkel der „Thölderer“ von ehemals verehren.
[515] Den ganzen Samstag wartete ich also ruhig auf den Sonntag. Nachmittags ging ich etwas lustwandeln auf den Bühel jenseits des Baches. Es sind dort Preißelbeeren in Menge, aber eine sehr beschränkte Aussicht. Das Thal ist schmal und nicht lange zu verfolgen, da sich oben und unten das Gebirge bald wieder in einander schiebt. Die düstern Häuser stechen lebhaft ab von dem hellen Grün; die Kirche steht tempelhaft in der Au. Heerdengebrüll und Glöckchenklang versteht sich von selbst; ebenso daß auf den Berghängen weithin lockende Sennhütten zu sehen sind. Hinten erhebt sich ganz weiß und bedräulich die gefrorne Wand, aus welcher der Duxer Ferner zu den Kasern herabsteigt.
Als ich mich da an der Betrachtung der Lannersbacher Flur gelabt hatte, stieg ich wieder abwärts und lernte den Schulmeister kennen, von dem mir schon Abends vorher die beiden Studenten erzählt hatten, weil sie ihm auf dem Wege von Zell herein begegnet und über seine Belesenheit in Staunen gerathen waren. Es ist ein Duxer Bue von zweiunddreißig Jahren, ganz in die Thaltracht gekleidet, auch sonst in Thun und Lassen von Duxer Art, nur in der Sprache mit einem Anfluge städtischen Schliffes. Er sagte mir’, wie er von Jugend auf Lust am Lesen gehabt, wie er dann allerlei Bücher, deren er habhaft werden konnte, durchgegangen und sich besonders an Raffs Naturgeschichte und Stolbergs Geschichte der Religion Jesu erfreut habe. Nach diesem und andern Autoren hatte er einen Abriß der Weltgeschichte gemacht, in einem dicken schweinsledernen Quartband. Dieser war ursprünglich von seinem Vater, dem Meßner bestimmt worden, die Geheimnisse des Kirchendienstes aufzunehmen, aber der Alte war des Schreibens bald müde und so blieb der Quartband als ein theures Vermächtniß dem Sohne, der, als er zu seinen Tagen gekommen war, auf den leeren Seiten seine ersten schriftstellerischen Versuche anstellte. Ferner hatte er aus einem „epischen“ Gedichte die Historie des Feldzugs, welchen Herzog Theodo I von Bayern gegen die Avaren unternommen, prosaisch ausgezogen. Dieser Schulmeister, Georg Mariacher mit Namen, hat etliche dreißig Knaben unter [516] sich, wogegen die Mädchen unter einer Lehrerin stehen, welche ebenfalls ein Bauernkind von Dux. Dafür verdient er den Winter über vierundsechzig Gulden, den Sommer arbeitet er bei seinen Eltern auf dem Felde und im Hause, wie ihn denn die Münchner gerade getroffen, als er ein Last Brod für seine Mutter aus dem Zillerthale hereinschleppte. Mir machte er viel Vergnügen mit den Erzählungen aus seiner Bildungsgeschichte. Das große Reich des Wissens und die Bücherschätze, die bei glücklichen Leuten in Deutschland aufgestapelt sind, standen in träumerischer Glorie vor seinem innern Auge. Insbesondere, meinte er, müsse es eine Seligkeit seyn, Friedrich Schillers Werke zu lesen, denn, das habe er schon oft gehört, das sey gar ein schöner Autor, vielleicht der schönste in deutscher Sprache.
Solche bäuerliche Schullehrer sind in den Alpenorten überall zu finden. Die Bestallungen sind sehr dürftig und das Lehramt, das überdieß nur den Winter über geübt wird, kann also für sich seinen Mann nicht nähren. Es wird daher allenthalben von jüngern oder ältern Burschen als Nebenverdienst betrieben, da in der schlimmen Jahreszeit ohnedem auf dem Felde nichts zu thun ist. Die dazu Berufenen sind jene, welche sich schon in der Schule durch Fleiß, Anlagen und Sittsamkeit hervorgethan. Sie bereiten sich einige Zeit auf ihr Amt vor und unterziehen sich dann einer Prüfung. Wenn dieß geschehen, sind sie verfügbare Lehrer, werden von dem Pfarrer den Bauern vorgeschlagen und treten nach freiem Uebereinkommen mit den Betheiligten in den Dienst, einen Winter da, den andern dort. Wenn nämlich auf schroffem Abhange oder in einem entlegenen zur Winterszeit schwer begehbaren Zuthälchen ein halb Duzend Höfe beisammen stehen, so entschließen sich die Bauern gerne einen Schulmeister einzustellen, um ihre Kinder nicht den Gefahren eines weiten Ganges auszusetzen; sind sie dann mit seinen Leistungen nicht zufrieden, so wählen sie nächstesmal einen andern. Wie sich übrigens der Schulmeister als Bauernbursche gibt, so wird er auch als Bauernbursche genommen. Die Aktionäre weisen ihm nacheinander in der Gesindekammer neben [517] Knecht und Dirne seine Liegerstätte an und Einbrennsuppe, Plentenknödel und Türkenribel ißt er Tag für Tag abwechselnd bei den Bauern. Etwas unbequem wird die Stellung, wenn sich etwa ein halbherrischer Junge, allenfalls ein armer Bürgerssohn aus der Stadt in diese Ländlichkeit verirrt hat. Man hört dann manche stille Klage, wie schwer sich mit der Rohheit und den Vorurtheilen der Bauern abzufinden sey, wie der Schulmeister immer die Herren beim Landgericht zu vertheidigen habe, wenn sie etwas verordnen, was den Aelpler ärgert; und über menschliche Kräfte sey es gegangen, den guten Kaiser Franz zu rechtfertigen, wenn einmal die Bauern zu politisiren anhoben.
Jörgel, der Schulmeister, versprach damals auf das Octoberfest nach München zu kommen, hielt es aber nicht. Als ich im zweiten Jahre darauf wieder in Dux war und mit einem Reisegefährten in seiner bescheidenen Wohnung zusprach, erfuhr ich zwar wenig Triftiges zu seiner Entschuldigung, – ich habe stark gezweifelt, sagte er, ob ich wohl den Weg thäte finden – aber dafür erzählte er, daß er jetzt ein Krämer geworden sey. Ja, dem Schuldienst hat er nicht mehr recht vorstehen können, weil er die Orgel nicht zu spielen weiß und so haben die Duxer einen andern erwählt, der auch auf dem Chor ein Meister ist. Jörgel ist jetzt, obgleich er fünfhundert Gulden für die Krämerei ausgegeben, ziemlich wohl auf, verwendet viele Zeit auf die Wissenschaften und wünscht nur auch einen Tabaktrafik zu bekommen. Dieß ist aber trotz der heißesten Wünsche in Innsbruck nicht durchzusetzen gewesen, weil, wie die Herrn sagten, kein Bedürfniß dazu vorhanden, massen in Lannersbach schon ein anderer mit dem Tabakverschleiß betrauter Handelsmann ist. Die Leser wissen ohnedem, daß in Oesterreich der Tabak ein Monopol der Regierung ist, die den Kleinverschleiß an bestimmte Krämer abgibt, welche, glaub’ ich, vom Gulden Erlös einen Groschen Profit haben. Jörgel schlug den Zuwachs an Einkünften, der ihm jährlich dadurch zu Guten kommen würde, auf dreißig, vierzig oder fünfzig Gulden an und dieß ist in Dux allerdings eine Summe, die seine heiße Sehnsucht entschuldigt.
[518] Wie die Gebirgsvölker findig sind, so wußte er auch gleich etliche Fragen zu stellen zur Aufhellung, ob ich nicht etwa in Innsbruck „Connexionen“ hätte, die seine Lieblingsgedanken zur schönen Wirklichkeit werden lassen möchten. Ich hatte viele Noth, ihn genügend zu überzeugen, daß ich nichts für ihn thun könne.
Uebrigens standen wir bei dieser Unterredung um den Herd herum und suchten uns am Küchenfeuer zu wärmen. Die alte Mutter meinte nun nicht anders, als, weil wir Gäste, müßte sie uns auch etwas vorkochen. Die Vorrathskammern in Dux sind aber sehr einfach ausgerüstet und dießmal waren nur Eier vorhanden. Sie wurden indessen mit so freundlicher Aufdringlichkeit geboten und die Mutter wußte den „Koch,“ den sie daraus bereiten wollte, als so schmackhaft zu schildern, daß uns nur die Aussicht auf die nächstbevorstehende Abendtafel im Wirthshause veranlassen konnte, das Ehrengeschenk dankend abzulehnen. Doch wurden wir nicht eher entlassen, als bis wir aus einem hölzernen Weidling frisch gemolkene Milch getrunken hatten.
Als ich nun damals von der Wanderung auf dem Bühel jenseits des Baches und aus der Hütte des Schulmeisters wieder ins Wirthshaus zurückkam, fand ich es gedrängt voll, denn der alte Ruf der Duxer Kirchweih hatte auch dießmal noch gezogen und es waren manche Fremde herzugewandert, die zusammen mit den Duxer Bauern, welche den Vorabend des Festes mit etwas Branntwein begehen wollten, alle Tische füllten. Auch der Rosenwirth von Matrei war mit einem „Collegen“ durch das Thal von Navis, an der Lizumer Alm vorbei, über zwei Jöcher herüber gestiegen, um in seinem Leben auch einmal der Duxer Kirchweih anzuwohnen. Ein Viehhändler, ein weitgereister, von Schlitters im Zillerthale gebürtig, war eine Standesperson mehr. Der alte Metzger von Gossensaß, den ich auf dem Joch verlassen hatte, als ich mit dem Duxer Mädchen „Ferner schauen“ ging, ruhte träumerisch in einer Ecke, fern von mir, und nickte hin und wieder bedeutsam mit dem Haupte, ob im Schlafe oder zur Anfeuerung des Gespräches, das um ihn her zuweilen hell [519] auflärmte, das konnte ich nicht entnehmen. Einige andere außerthalische Gestalten waren da und dort zwischen die Bauern eingestreut.
Die zwei Wirthe, der weitgereiste Viehhändler und der bayerische Herr saßen beisammen und unterhielten sich geschmackvoll über verschiedene Gegenstände, bis auf einem andern Tische das Singen anhob. Dabei nahmen Theil der Wirth, das Duxer Maidele, und Ferdinand Mariacher, der Organist, des Schulmeisters Bruder, der aber erst aus dem Bette hatte geholt werden müssen.
Der Wirth von Lannersbach, Georg Stock, den die Duxer schlecht und recht Jörgel heißen, ist eigentlich ein geborner Zillerthaler und hat aus seinem Mutterländchen eine Statur hereingeheurathet, wie sie von den Duxern so hoch und ansehnlich keiner aufzuweisen hat. Dabei trägt er ein heiteres, väterliches Gesicht von erzgesunder Farbe und bewahrt immer eine ruhige, aber gute Laune. Da er auch sonst ein verständiger Mann, so kann er mit den Thälerern alles ausrichten und ist nicht ohne Grund ihr Hauptmann, der Capitän der Duxer Schützencompagnie. Bei dem Feste, welches 1822 zu Innsbruck gefeiert wurde, marschirte er an der Spitze seiner Mannschaft an den Kaisern von Oesterreich und Rußland vorüber und machte dabei aus dem Stegreife so herrliche Sprünge und ich glaube sogar Buzigagelen (Burzelbäume), daß ihn der gerührte Franz zu Tische zog. Auch dabei verursachte er den beiden Potentaten unendliches Vergnügen, und er erzählt mit Offenheit, wie sie das Lachen gar nicht mehr halten konnten, wenn er bei Tafel hin und wieder eine unhöfische Alpenmanier heraustreten ließ, oder wenn er etwas sagte, was den beiden andern nicht gescheidt genug vorkam. Kaiser Alexander drückte ihm damals den Wunsch aus, er möchte wohl auch ein halbes Tausend solcher Schneebauern haben, worauf ihm Jörgel, ich weiß nicht welches Compliment sagte. Durch seinen eigenen Werth und durch die Auszeichnungen die ihm damals die zwei Monarchen angedeihen ließen, ist Jörgel eine im ganzen Lande bekannte Person geworden und der Wirth von Lannersbach genießt durchweg [520] einer großen Popularität. Er ist gar nicht unzufrieden, daß die Fremden endlich auch einmal den Weg „ins Düx“ gefunden haben und freut sich ihres guten Zuspruchs. Nur zufällig fand ich ihn dazumal etwas gereizt gegen ein paar Reisende aus Berlin, die er nicht recht hatte verstehen können. „Ich weiß nicht, sagte er, warum diese Leute ihre Muttersprache so verläugnen mögen.“ Man ist in Dux nämlich nicht mit Unrecht stolz auf den alten, feinen, unausgeschliffenen Dialekt, der in vielen Stücken dem Schriftdeutsch um ein Gutes näher steht, als die andern Mundarten des Landes. Auch die gebildeten Tiroler erkennen seine Tugend gerne an und man hat zur Erklärung sogar schon die sonderbare Behauptung aufgestellt, der hochdeutsche Anstrich des Duxer Dialekts rühre von einem Geistlichen her, welcher der Gemeinde so viele Bücher zu lesen gegeben, daß sie zuletzt unwillkürlich sich die Büchersprache eigen gemacht.
Maidele, des Wirthes Tochter, war damals einundzwanzig Jahr alt und ein schönes Mädchen mit dunkeln Haaren, schwarzen, feurigen Augen und rosigen Wangen. Es hat der Jungfrau keine Freuden eingetragen, daß die Welt sie für Lewalds „schöne Duxerin,“ für das Mädchen hielt, das der berühmte Tourist auf der Kirchweih zu Zell einst kennen gelernt, dann im Halbdunkel eines engen Gäßchens wieder gefunden und mit ihrem Vater, dem Alten, den Gebirgspfad hinaufgeführt hat, gleich „als hätte er eine Dame von hoher Bedeutung am Arm.“ Er fühlte sich, wie er gesteht, seliger dabei! Wenn man bedenkt, wie viele Maler, Studenten und andre scherzhafte, junge Leute jährlich zu Lannersbach zukehren, so ist es allerdings nicht zu verwundern, daß die Duxer und so auch Jörgel und sein Haus von der Begebenheit in dem Halbdunkel und allem, was darauf folgt, vernommen haben. Wie es nun gekommen, daß man die Geschichte auf dieses Mädchen bezogen, ist mir unbekannt. Maidele konnte indessen auch die leiseste Anspielung darauf nicht ertragen und es war ein Glück, dies zeitig genug zu merken, ehe sie, ihr Vater, der Bruder und das ganze Hauswesen verstimmt waren. Uebrigens hatte sie auch keine Gründe, [521] sich etwas gefallen zu lassen, denn im Jahre 1834, als Lewald die schöne Duxerin kennen lernte, war die Wirthstochter von Lannersbach etwa dreizehn Jahre alt. Die wahre schöne Duxerin aber, wenn sie anders je auf Erden wandelte, soll nach der Aussage unterrichtet seyn wollender Gewährsmänner zur Zeit eine geschickte, etwas ältliche Köchin zu Innsbruck seyn.
Der Wirth also und sein Töchterlein und der Organist setzten sich zusammen und sangen anmuthige Lieder nach Art der Zillerthaler, und eben so schön wie diese konnten sie auch jodeln. Unter den Gesängen gefielen mir am besten ein Zigeunerlied und hie Frau Nachtigall, und endlich ein Alpenlied, das im Thale entstanden und mit einer sehr hübschen Melodie begabt worden ist. Als die längern Stücke vorübergegangen, erholten sich die Sänger an den Schnaderhaggen, den kleinen vierzeiligen Liedchen, die aus dem Zillerthale und dem bayerischen Gebirge allmählich in die gesammte deutsche Welt wandern. Mitunter ließ auch einer der Anwesenden eine Strophe hören. Hin und wieder trällerte Vater Jörgel sogar ein erotisches, mehr oder minder heikles „G’sangel,“ wobei denn Maidele den Hut etwas tiefer in die Stirne drückte, aber geschämig und folgsam accompagnirte. Es war große Heiterkeit in der Stube und die meisten Gäste gingen erst nach Mitternacht zu Bette.
Den andern Tag, an der Kirchweih, vor dem Gottesdienste kamen die Vorderduxer und die Hinterduxer alle auf dem Platze bei dem Wirthshause zusammen und der fröhliche Lärm schallte als Weckerruf in die hölzerne Prachtkammer, die mir Jörgel zum Schlafen gegeben hatte. Ich stieg also in den untern Raum des Gasthofes hinab, und gewahrte, daß der Wirth zu Lannersbach seine Vorkehrungen gut zu treffen gewußt. Maidele zwar, das Maidele war nur halb dienstfertig, aber dafür war ihr Schwester gekommen, die auf einem Bauernhofe im Thale verheirathet ist und mit ihr der Mann, ein schöner und flinker Bursche, noch jung an Jahren, und mit ihnen dasselbe schöne Mädchen mit den lackirten Schuhen, das noch vorgestern auf der Flur von Hinterdux mit der erwachsenen Jugend Kurzweil getrieben [522] hatte und dem wegemüden Wanderer mit so freundlichem Willkomm entgegengetreten war. Sie hatte sich auch bereden lassen bei der Kirchweih auszuhalten, aber nur, wenn etwa Herrenleute kommen sollten, nicht bei den Bauern. Sie trug natürlich ihren besten Putz und in ihrem fräuleinhaften Feiertagsglanze stand sie wirklich recht fremdartig da unter den Branntweintrinkern von Dux und ihren schmucklosen Töchtern; ihr literarisches Innere mochte freilich noch mehr abstechen von dem analphabeten Bewußtseyn der schlichtesten aller Hirten.
Vor dem Hause waren indessen mehrere Anstalten erstanden, von denen man des Abends zuvor nur erst schwache Andeutungen gewahrt hatte. Zu Gunsten der ständigen Kegelbahn, welche dem Wirth gehört, hingen aus den Fenstern des obern Stockes herunter zwei seidene Halstücher festlich neben einem neuen Hute und auf dem Anger stand an einen Pfahl gebunden ein schöner Widder, alles Preise des Schiebens, welche der Bestgeber, Georg Stock, ausgesetzt hatte. Aus der zierlich gefertigten Ausschreibung, die an Jörgels hölzerne Wand geklebt war, entnahm ich, daß man hier die Preise mit dem alterthümlichen Namen Kleinod benennt, was mich sehr erfreute. Neben der ständigen Bahn hatte aber Ferdinand Mariacher eine fliegende aufgeschlagen, dafür auch Halstücher und einen Hut ausgestellt, welche vom Söller des Nachbarhauses herab den Ehrgeiz der Duxer mächtig anregten. Auch er hatte ein schöngeschriebenes Proclama angeheftet, worin er die verehrlichen Gäste freundlichst zur Theilnahme an seinem Kirchweihschieben einlud. Für schlechte Liebhaber des Kegelspiels wäre hier zu bemerken, daß in Lannersbach der Laden auf beiden Seiten mit Leisten eingefaßt ist, so daß sich die Kugel wenigstens auf dem Wege nicht verirren kann. Ein alter Pfannenflicker hatte ebenfalls ein Kleinod ausgeboten, welches durch Würfel zu gewinnen war. Dann hatten zwei junge Schuster von Zell, schmucke Bursche tänzerhaften Anstandes, die offene Halle eines nahen Hauses eingenommen und dort ihre lederne Waare ausgelegt. Ferner war ein Hutmacher aus dem Zillerthal erschienen, um sein Lager auszubieten. Weiter unten gegen die Kirche zu saßen ein Duzend [523] Weiber, welche Obst und Brod verkauften. Endlich waren auch eine Menge Säue auf die Kirchweih gekommen, welche zeitenweise den Gästen vorgeführt und dann wieder in den Stall getrieben wurden. An ihnen hatte besonders der weitgereiste Viehhändler seine Freude; er ließ sie des Tages über, wenn er Langweile hatte, noch oft vor sein Angesicht kommen, bloß um die Augen an ihnen zu weiden. Zu all dem ist als nothwendiger Rahmen und Einfang immer wieder nicht zu vergessen das hölzerne schwarzbraune Dorf von Lannersbach, das grüne Gebirge zu beiden Seiten und der weiße blinkende Ferner am Ende.
Zwischen jenen Festanstalten standen nun plaudernd die Duxer und Duxerinnen jeglichen Alters und Geschlechts, die Heimer, d. h. jene, welche des Sommers über zu Hause bleiben, und die Melcher oder Senner, die von den Almen herunter gekommen zur Kirchweih. Die Tracht der Männer, die ehemals wohl auch im Zillerthale galt, ist aus den wohlfeilsten Stoffen zusammengesetzt und gewährt ein schlichtes und ernstes Ansehen. Die graue Jacke vom gröbsten Loden erreicht kaum das Knie; sie heißt das Hemd, wogegen das, was andre Leute Hemd heißen, Pfait, Pfoad genannt wird. Das G’saß ist von gleichem Zeuge oder von Leder; die Strümpfe sind blau. Eine Weste wird nicht getragen, um den Leib aber liegt ein breiter, meistens schön gestickter, lederner Gurt, Fatsche, mit dem Namen des Inhabers, oft auch noch mit einer Gemse, einem geistlichen oder weltlichen Spruch verziert. Das Haupt deckt ein rundes Hütchen mit niederm rundem Kopfe. Die Sennen erschienen zumeist in schönen Bärten, da sie sich des Sommers über nicht zu scheeren pflegen. Wegen neuer Wäsche machen sich die biedern Hirten auch wenig Noth; sie bleiben bei der Pfait, mit der sie gen Alm fahren und wechseln nie bis sie herunter kommen. So ist der Schmutz der Wäsche ein Gegenstand des Ehrgeizes geworden, denn wer das unflätigste Hemd nach Hause bringt, glaubt das beste Zeugniß mitzuführen, daß er den Umgang mit dem Vieh und seine Pflege nie vernachlässigt habe. Tabak scheint ihnen allen ein unentbehrliches Bedürfniß. Sie [524] gebrauchen ihn in dreierlei Gestalten, zum Schnupfen, zum Rauchen und zum Kauen. Als Kautabak heißt er Käutel, und ein solches Käutel findet sich fast in jedem Munde. Es ist widerlich, die Gesichter, so frisch und ausdruckvoll, durch den ekligen Knäuel in der Wange verunstaltet zu sehen, noch widerlicher aber ist die gelbe Jauche, die das Käutel im Munde erzeugt. Die Liebhaber scheinen indessen nicht davon zu leiden, denn sie scheuen sich nicht, durch dieß Medium hindurch zu essen und zu trinken. Bei der zarten Jugend ist die Pfeife mehr beliebt; man sieht sechsjährige Knäblein schmauchend mit einander spielen. Das Geld für den Tabak gibt, wie mich so ein Söhnchen unterrichtete, die Mutter her; die kleine eiserne Pfeife, welche sechs Kreuzer kostet, bringt wahrscheinlich der heilige Niklaus. In neuester Zeit ist gegen diesen überfrühen Tabakgenuß von Seite des Guberniums eingeschritten und allen Jungen unter sechzehn Jahren das Rauchen verboten worden; indessen ist der Mißstand um so schwerer zu beseitigen, je abgelegener die Thalgegend ist und je weniger die Eltern etwas Unrechtes in dem Vergnügen ihrer Kindlein zu sehen vermögen. Ehemals waren auch die tirolischen Weiber dem Tabake höchlich zugethan. Auf ältern Trachtenbildern haben die Zeichner nicht ohne Grund mancher Bauersfrau ein Pfeifchen in den Mund gegeben. Es ist aus Lewald bekannt, daß Frau Anna Maria Ladurner, verehelichte Hofer, in ihren höhern Jahren die gramstillendem Düfte der ungarischen Blätter gerne einschlürfte. Auch im Vorarlberg, wo früher auf den Feldern von Frastenz eine Fülle von Tabak gebaut wurde, hatten sich die Weiber an den Genuß gewöhnt. Auf den Wochenmärkten zu Feldkirch sah man die Landmädchen von Frastenz, Nüziders, Sateins gar häufig schmauchend bei ihren Kirschen sitzen.
Die Tracht der Weiberleute ist nicht minder einfach als die der Männer. Sie tragen dieselben grünen Hütchen, führen um den Hals ein seidenes Tuch, das durch einen Ring gezogen wird, gehen in dunkelfarbnem Rocke, einem blauen Fürtuch und grauen lodenen Ueberjacken. Die Taille ist sehr kurz, Mieder sind unbekannt und der Busen steckt in breiter [525] wulstiger Hülle. Diese Tracht der Duxerinnen war ehemals auch bei dem andern Geschlecht im Zillerthale üblich. Seit zehn Jahren ist aber die freilich viel kleidsamere Mode des Innthales, der hohe Spenser, der ragende Hut, bis Zell und Mayrhofen vorgedrungen und den alten Schnitt bewahren daselbst nur ältere Mütterchen und wenige Mädchen des ärmsten Volkes.
Sonst ist der Schlag durchaus germanischen Ansehens, der Wuchs durchschnittlich um ein Gutes niederer, als im Zillerthale, aber stark und stämmig. Die männliche Jugend, wie sie vor dem Wirthshause versammelt war, zeigte viele sehr individualisirte, schöne Köpfe, fast alle mit blonden Locken zierlich bekränzt. Etliche Knaben, gerade auf dem Uebergange ins Jünglingsalter, fielen mir besonders auf durch weiche, ideale Züge. Ein besonders schmucker Bursch ist Seppel, der Sohn des Wirthes. Die Duxer Mädchen gelten am Lande als reizend und schön, und nebenbei weiß man auch, daß sie der harten Arbeit willen sehr früh verblühen. Sie erfreuen sich einer sehr weißen Haut und hochrother Backen, sind aber meiner Beobachtung nach mit ausdruckslosen Zügen begabt und sehr klein gewachsen. So kann ich leider ihren guten Ruf nicht bestätigen, abgesehen von Jörgels Maidele, welche weitaus die schönste war.
Es war schon etlichemale in Predigt und Amt geläutet worden, und die Weibsen hatten sich bereits alle in die Kirche begeben. Auch die Männer zogen sich mehr und mehr gegen den Friedhof hin, doch blieb eine ziemliche Anzahl vor dem Wirthshause stehen und manche setzten sich sogar zusammen aufs Gras. Sie hielten sich wahrscheinlich entschuldigt, weil die kleine Dorfkirche doch nicht alle aufnehmen wollte, so daß viele außerhalb des Gotteshauses im Schatten der Kirchenwand sitzen mußten. Als endlich das feierliche Amt vorüber war, brach der graue Haufe mit vielem Gedränge heraus und strebte den beiden Wirthshäusern zu. Im unsrigen war bald die Zechstube gefüllt und noch ein großer Gaden und der Tanzsaal, den Jörgel in lustigern Zeiten, vielleicht auch für lustigere Zeiten, die wieder kommen sollen, hat erbauen lassen. Die dienenden Leute, der Wirth, die Wirthin, Seppel, Resele, [526] Resele’s Mann, die Dirne liefen geschäftig durch einander, Maidele und des Müllers Töchterlein standen am Herde. Die Bauern gingen ans Mittagessen und erlabten sich an großen Stücken Schweinfleisch und „Gsträunens“ mit weidlichem, von langen Tagen her geschärftem Appetite, denn die Duxer Küche erhebt sich nur fünfmal des Jahres zu dieser Leckerei, an der Kirchweih, an Ostern und an den drei Weihnachtstagen. Heute war sie aber im Ueberflusse vorhanden, doch fanden auch die mit Topfen gefüllten Kirchweihkrapfen günstige Aufnahme. In der Sage lebt es noch fort, daß man ehemals auf der Duxer Kirchweih stets sechs Kreuzer zahlte und dafür auf Mittag so viel essen konnte, als man vertragen mochte. Jetzt richtet sich die Zeche freilich, wie in der äußern Welt, nach der Verzehrung, aber auch so noch liebt es Jörgel, seine Gäste sehr billig zu halten.
In der vordern Stube saß indessen ein ausgezeichneter Lump, ehemaliger Jäger, Schreiber und Anderes, der schon in verschiedenen Anstalten seiner Besserung hatte obliegen müssen, eine erbärmliche, schäbige Gestalt. Jörgel hatte ihn schon gestern nur unter der Bedingung aufgenommen, daß er sich heute wieder fortbegebe. Heute aber legte er recht deutlich die Absicht dar, uns den ganzen schönen Tag auch noch zu widmen. Jörgel führte ihn anfangs etwa alle halbe Stunden einmal aus dem Hause, doch wußte er zuletzt auch seinen Eifer abzustumpfen und um Mittag saß er bereits ganz unbehelligt bei seinem Branntwein, hatte auch schon einen Rausch, den er sich kreuzerweise zusammengebettelt. So bescheiden ich auftrat, so hatte er mich doch bald erfragt und plötzlich stand er auf und rief: Vivat der König von Bayern! der hat mich angestellt! Es war Vater Max gemeint, der dem Burschen, eh’ er ein Lump geworden, einmal ein kleines Jägerdienstchen verliehen. Und eh’ ich mich’s versah, fuhr der schieche Mensch wieder in die Höhe, schwang das Glas zum zweitenmale und schrie: die Bayern sollen leben – worauf er dann noch Mehreres zum Lobe dieser Nation hinzufügte, was, wenn es von mehreren unbetrunkenen und sonst biedern Männer wiederholt würde, derselben allerdings sehr zu Ehren kommen [527] möchte. So aber war’s mir zum Ekel; ich ärgerte mich und ging hinaus, schenkte ihm auch keinen Pfennig für seine Sympathien, obgleich er wenigstens einen Groschen erwartet hatte.
Nun kam mir aber ein anderes Mißgeschick entgegen. Im hintern Gaden nämlich saß an einem Tisch voll Duxer Buben, die mir etwas minder fein erschienen als die übrigen, derselbe Bauer, der uns vorgestern durch den geognostischen Hammer so sehr beunruhigt hatte, und gefiel sich einen brüllenden Stier nachzuahmen. Das schien so seine Kirchweihfreude zu seyn und er setzte es mit kurzen Unterbrechungen bis zum Abend fort. Es gelang ihm zwar die Natur täuschend wiederzugeben, aber es war doch nicht schön, obwohl er von seinen Freunden vielen Beifall erntete. Ich ließ mir jetzt den Namen dieses Viehmalers sagen, erfuhr, daß er Brunnhäuser heiße und ging wieder meiner Wege.
Im Tanzsaale war jedoch meines Bleibens auch nicht lange. Die Tische zeigten sich so dicht besetzt, daß für einen beobachtungslustigen Gast kein Plätzchen mehr übrig war. Einige freundliche Hirten „brachten mirs,“ das heißt sie reichten mir ihr Glas um ihnen Bescheid zu thun. So viel konnte ich noch bemerken, daß weniger Wein getrunken wurde, als mir lieb war. Wenn schon im reichern Hauptthale des Inns das natürlichere Getränk dem künstlicheren weichen mußte, weil die erzielte Gemüthsstimmung durch seine Hülfe mit wenigern Kosten zu erreichen ist, so darf man sich in diesem armen Thälchen noch weniger wundern, daß Männer und Weiber dem Branntwein ergeben sind. Zuweilen wagt sich jetzt auch ein Fäßchen Bier herein, aber es ist ebenfalls zu theuer und die Nachfrage gering. Der Wein wird übrigens aller übers Joch getragen, denn es führt kein Fahrweg in das Thal. Die Träger laden eine halbe Ihrn, siebenundzwanzig Maaß, auf und erhalten dafür 1 fl. 15 kr. Traglohn. Bei all dem kostet das Seidel nicht mehr als am Lande, nämlich sechs Kreuzer.
Da also auch auf dem Tanzboden nicht viel auszurichten war, begab ich mich in die Küche und hielt mich an das Maidele und des Müllers Töchterlein. Das war auch das Beste [528] – das waren die gemüthlichsten Gemüther auf der ganzen Kirchweih und bei ihnen drohte keine Gefahr, denn sie hatten weder Lust, den hochseligen König von Bayern leben zu lassen, nach zu brüllen wie ein Stier. Dagegen waren sie bemüht, mir einen Stuhl zu schaffen und stellten ihn neben den Herd, gaben mir auch zu essen und tränkten mich mit dem besten Wein, den sie hatten. Und während ich da am Herde meine Mahlzeit hielt, waren sie freundlich und mild und gesprächig, und hatten einen guten Einfall nach dem andern. Das Sommerfrischmädchen ließ auch auf angenehme Weise seine Bildung glänzen und recitirte mehrere Strophen aus jenem Gedichte, welches da anhebt: In einem Thal bei armen Hirten.
Als wir so eine gute Weile geplaudert hatten, machte ich mich wieder auf und suchte den obern Wirth heim, um auch von diesem reden zu können. Der vielerfahrene Viehhändler von Schlitters, welcher, was ich bisher anzuführen vergessen, eine polnische reich gebänderte Jacke trug und überhaupt ein frischer Gesell war, begleitete mich auf diesem Kneipzug. Das Ergebniß ist indessen unbedeutend. Wir fanden den Wirth und sein Gesinde sehr gefällig, die ganze Anstalt aber, obgleich von Stein erbaut und ansehnlicher als der untere Gasthof, bei weitem nicht so heimlich, als Jörgels hölzerne Herberge. Beim Herausgehen fiel mir ein, dem Organisten einen Freundschaftsdienst zu erweisen und einen Zwölfer auf sein Kleinod zu verschieben. Damit legte ich große Ehre ein, trug aber keinen Gewinn davon. Die Seitenwände führen zwar die Kugel richtig bis an die Kegel, aber dann hängt’s doch wieder von Glück und Uebung ab, ob sie viel oder wenig niederreißt. Die meinigen haben wenig umgerissen. Du wirfest nicht güt, sagte der Duxer Bue, der als Kegelschreiber aufgestellt war.
Allmählich wurde es Abend. Der Tanz ist zwar verboten, jedoch ließ sich in der Dämmerung halblaut eine Fidel hören. Die Klänge hatten bald einen frischen Haufen zusammengelockt und so ging’s denn fröhlich auf den Tanzboden. Ein junger Hirte spielte einen Ländler und Jörgel, der sich seiner Jugendlust erinnerte, fing mit einem andern Landsmann [529] ländlerisch zu tanzen an, voll jugendlichen Anstandes, trotz seiner fünfundfünfzig Jahre und der schneeweißen Haare. Ach, ich habe so einen frischen Sinn, sagte der alte Tänzer, nachdem es vorüber war. Wenn ich’s Essen hätt’, fügte er mit einem humoristischen Schlage auf sein Wämschen hinzu, wenn ich’s Essen hätt’, ich wäre so viel ein freudiger Kerl! Dann sprach er noch mehreres, alles zusammen eine milde Elegie über die Wonnen dahin gegangener Tage.
Nach und nach wurde sogar mit den Weibsen getanzt. Dabei war’s ein großer Behelf, daß untertags eine schmucke Wirthstochter von Kolsaß angekommen war, die sich den Anforderungen sehr gewachsen zeigte. Nach des Müllers Tochter wurde auch umgesehen, aber diese hatte sich schon vor dem Einnachten wieder in die Weiden von Hinterdux zurückgezogen; das Maidele mußte auch zusehen, wegen des bösen Schinkens, den wir schon einmal erwähnt haben.
Das war übrigens alles nur so im Vorbeigehen, je nachdem es dem jungen Volke ankam, hatte auch wieder sein Ende, als Jörgel verkündete, es wäre Zeit etwas zu singen. Nun setzten sie sich zusammen, wie sie schon gestern beisammen gesessen waren, der Vater, die Tochter und der Organist; nur that heute auch Resele mit, welche einen schönen Discant singt, so daß die Lieder noch um ein Gutes schöner klangen. Resele hatte überhaupt einen weichen, wehmüthigen Ton in ihrer Stimme und sie selber, die verheirathete Alpenmaid, war eine lebende Elegie. Was ihr fehlte, war nicht zu erfahren; daß sie litt, aber deutlich zu entnehmen aus den klagenden Augen, dem stillen Schmerzensausdruck des Gesichtes und dem trauernden Klang der Stimme. Ich saß nicht weit von ihr, als sie die fröhlichen Almenlieder so melancholisch hinaus jodelte und dachte mir, was etwa der jungen Frau gebreste. In meinen Gedanken verglich ich sie mit einer welkenden Lilie. Derweilen kam der Viehhändler von Schlitters heran, richtete den Blick auch auf das Resele und sagte: was muß dem Weibsen seyn? schaut aus wie ein krankes Kaibel!
[530] Die Lieder waren meist von der Art, wie sie die Rainer und die Leo durch halb Europa gesungen haben. Das Almenlied, das der Schulmeister von Finkenberg gedichtet, mit seiner schönen Weise, erfreute sich wieder der günstigsten Aufnahme, etwa fünf oder sechs Gesänge mochten gesungen seyn, als Maidele erklärte, sie werde nicht mehr fortsingen; man wisse schon, daß sie das Singen nicht leiden könne. Resele redete ihr zu, doch noch ein bischen auszuhalten; sie wollten ein lustiges singen. Die lustigen mag ich schon gar nicht, versetzte Maidele, ein trauriges muß es seyn. Resele, die schwermüthige, sang lieber die lustigen; Maidele, die lustige, hatte ihre Freude an den traurigen.
Als der Gesang zu Ende war, fielen etliche Burschen darauf, den Badertanz vorzuführen. Dieß ist eine mimische Darstellung eines Patienten, dem von einem Bader und seinem Gesellen verschiedene chirurgische Dienste geleistet werden. Zuerst nehmen sie ihm mit einem großen Küchenmesser den Bart ab, dann lassen sie ihm mit einem Beil zur Ader und so fort. Sämmtliche Operationen gehen in rhythmischen Bewegungen vor sich und richten sich im Tacte nach den Schnaderhaggen, welche die Umstehenden singen. Die improvisirte Komik der Gebärden, die albernen Gesichter des Behandelten und der beiden Andern, die lächerlichen Instrumente, welche diese zu ihrem Gewerbe verwenden, machen den Badertanz für ein bäuerliches Publicum zu einem sehr gerne gesehenen Schauspiel.
Nach dem Badertanz kam wieder ein anderes Kunststück, nämlich das Kaminkehrerlied. Dabei sitzen zwei Sänger auf niedern Schämeln einander gegenüber, jeder mit einem kurzen Besen in der Hand, singen einen Gesang, der sich auf Dichten und Trachten eines Kaminkehrers bezieht, und schlagen nach dem Tacte mit den Besen auf den Boden oder werfen sie in die Höhe, um sie rhythmisch wieder aufzufangen. Das Ding, wenn es gut eingeübt ist, ist anmuthig zu sehen und zu hören.
Somit war’s denn schon ziemlich spät. Der Gerichtsdiener von Zell, der den ganzen Tag über, wenig bemerkt, [531] vorhanden gewesen, wollte um eilf Uhr abbieten, wurde aber verhöhnt. Die ältern Gäste waren schon alle nach Hause und nur die Buben standen noch in ziemlicher Anzahl auf dem Platze. Der Aufführung nach hätte man Jörgeln für den jüngsten halten sollen, denn heute war er in der herrlichsten Laune. Zumal freute es ihn, daß sich seine Gäste so wohlgezogen benahmen und daß kein erheblicher Unfug ausbrach. Einige Ansätze zu Raufereien, die sich mitunter ergaben, wurden immer glücklich im Keime erstickt; aber das konnte nicht verhindert werden, daß der Brunnhäuser dem Metzger von Gossensaß den Hut „antrieb,“ so daß der Cylinder über Ohren und Nase hinunter fuhr, die harte Stirne des alten Gothen den Deckel sprengte und nun sein rothes Gesicht sich aus dem Hute, als aus einer Halsbinde, leuchtend erhob, wie die Herbstsonne über grauem Nebelgewölk. Der Metzger, der in der besten Absicht auf die Kirchweih gekommen, aber jetzt betrunken war, nahm die Sache nicht so gar übel. Er betrachtete wehmüthig den Deckel seines Hutes, den man ihm wieder zugestellt hatte, und legte sich dann mit lächelndem Grolle schlafen unter die Bank. Dort fand ihn noch die Morgenröthe. Die Andern zogen nunmehr still nach Hause, zumeist auf Jörgels Bemerkung, wie fein es wäre, wenn man jetzt auseinanderginge, ehe noch etwas Unfeines vorgefallen. Es war um Mitternacht und das war die Duxer Kirchweih.
Andern Tages brach ich auf nach Zell. Resele, die gute menschenfreundliche Resi, war bis zum letzten Augenblick bemüht, mir Liebes zu erweisen, und da ich gestern schon dem Organisten gesagt hatte, er solle mir das Finkenberger Alpenlied abschreiben lassen, so fragte sie, ob dieß geschehen sey und da es nicht geschehen war, so erbot sie sich selbst, es mir anzugeben, und da sie fand, daß sie keine Zeit finde, so führte sie mich bei Maidele ein, welche ihres Uebels wegen heute im Bette lag und mir willfährig zu dictiren anfing, mit hochdeutschen Anflügen, die sie in der Schule und zu Innsbruck gewonnen haben mochte, denn auch sie war ihrer Bildung willen schon etliche Monate in der Hauptstadt gewesen. Ich habe schon zweimale behauptet, daß das Lied eine schöne [532] Weise habe, Gedanken und Worte aber sind nicht mehr ganz alpenrein, zeigen vielmehr deutliche Spuren von Lectüre. Damit übrigens der Leser selber urtheilen könne, wie die Schullehrer zu Finkenberg dichten, so mögen hier etliche Strophen folgen:
Und am Morgen, wenn der Alpenvogel schreit,
Steh’ ich auf und treib’ die Kühheerd’ auf die Weid’,
Und die Heerdenglocken schallen fort und fort,
Und die Sonne glänzt am kühlen Ferner dort.
Lustig ists auf dem Hochalmträt *)[3]
Wenn die Kühe so brüllen und die Sonn’ aufgeht.
Und wenn einmal der Herbst und Sanct Mlcheli kimmt,
Wo der Melcher von der Alm den Abschied nimmt,
Steck’ ich meinen Rautenstrauß auf meinen Hut,
Fahr’ durchs Thal voran, daß ’s Kling, Klang thut.
Leb’ nun den Winter wohl, Hochalmenträt!
Ich geh’ jetzt ge schau’n, wie’s den Heimerlen geht.
Wenn ich komme dann in meiner Heimath an,
Begegnen mir die feinen, lieben Heimer schon.
Gott grüß euch all’, ihr guten, lieben Heimer mein!
Auf der Almen oben, da war’s fein.
Wie geht das Leben euch, seyd ihr wohl g’sund?
Ich hab’ wohl herunter denkt schier alle Stund.
Nachdem ich das Lied aufgeschrieben hatte, nahm ich bei Maidele Abschied, wobei ich freundlich eingeladen wurde, das nächste Jahr wieder zu kommen. Auf Wiedersehen sagte sie, hat es aber nicht gehalten. Unter dessen war Resele beschäftigt gewesen, mir einen Rautenstrauß auf den Hut zu heften, und der Wirth belehrte mich, das sey das edelste und vornehmste Gewächs, welches nur mit der größten Lebensgefahr von den unersteiglichsten Schrofen könne herunter geholt und seiner besondern Eigenschaften willen müsse aufs höchste geschätzt werden. Allbereits nickte der Rautenstrauß, der sammt der Wurzel angenäht war, hoffnungsgrün vom Strohhut und nun sagte ich mein B’hüt Gott den besten Wirthsleuten schier, die ich in Tirol getroffen, und nahm Abschied von Jörgel, Seppel, Resele, so wie auch von der Mutter [533] und dem Schullehrer und seinem Bruder, bat sie alle, sie möchten mir das schwarzlackirte Müller-Töchterlein, wenn es wieder einmal in Heimgarten käme, schönstens grüßen und zog davon.
Den Rautenstrauch betreffend, so mag hier eine schöne Sitte des Hochlandes hervorgehoben werden. Wenn nämlich ein Gast sey es auch nur kurze Zeit unter fremdem Dache zugebracht und die Zuneigung der Hausleute gewonnen hat, so wird ihm zum Abschiede von der Tochter des Hauses ein Blumenstrauß überreicht. Im höhern Gebirge, wo die Gartenblumen seltener sind, wird statt derselben die Edelraute gewählt und dem Gaste auf den Hut geheftet. Es ist ein unscheinbares Kraut mit blaßgrünen Blättchen und winzigen gelben Blüthchen, dem man anfangs gar nicht ansieht, was es denn eigentlich wolle, denn auch der Geruch ist sehr schwach. Wenn die Raute aber trocken geworden, verbreitet sie einen herrlichen Duft und nun läßt man sichs gerne gefallen, daß die Aelpler sie so hoch in Ehren und für das vornehmste Gewächs auf Erden halten.
Als ich Lannersbach damals verließ, lag also das schöne Maidele im Bette und als ich zwei Jahre darauf wieder hinkam, lag sie im Grabe. Sie war, ich glaube an einer Brustentzündung, wenige Monate vorher gestorben. Es war ein kaltes Herbstwetter und der Kirchtag schon vorüber. Im Wirthshause herrschte große Stille. Jörgel war schon schlafen gegangen, denn er geht jetzt frühzeitig zur Ruhe; er singt mit seiner Tochter und dem Organisten keine schönen Lieder mehr. Am andern Morgen erschien er und sprach traurig seine Sehnsucht nach dem Maidele aus: „So viel mängeln thu’ ich das Madel!“ Wir waren zu zwei und besuchten den Kirchhof. Dort hat ihr der Vater einen Grabstein setzen lassen, den schönsten im stillen Gefilde. Im Thale erzählt noch Jung und Alt von ihr; sie hatten sie alle sehr lieb gehabt.
Von Lannersbach geht der Weg durch ein Tobelthal in zwei guten Stunden nach Finkenberg. Dies ist ein freundliches Dorf, das zwischen Obstbäumen auf einem hügeligen Gereute steht, und man hat von da aus eine liebe Aussicht [534] auf den weiten Grund von Mayrhofen, das tief unten im Zillerthale den spitzen, weißen Kirchthurm aus schönstem Wiesengrün emporhebt. Ungeheure steilaufsteigende Bergstöcke breiten oben ihre Halden aus, der Zillerbach aber strömt unten ansehnlich durch das Thalgelände und belebt eine Landschaft, die mit Recht zu den gepriesensten in den Alpen gehört.
In Finkenberg und zu Hippach im Zillerthale waren die meisten jener dissentirenden Auswanderer zu Hause, die zu Neu-Zillerthal in Schlesien eine zweite Heimath gefunden haben, über der sie freilich die alte, auf den angestammten Alpenfluren nicht vergessen können. Der Nachruf, den sie hier zurückgelassen, ist ein guter. Die Finkenberger behaupten, ihre ausgewanderten Nachbarn seyen zum größten Theile recht ordentliche, besonders wohlthätige Leute gewesen und denen, die Geld hätten, ergehe es laut eingelaufenen Briefen in Schlesien ganz erträglich und die übrigen müßten sich dort quälen, wie daheim. Man erzählt noch viel von dem traurigen Abschied zwischen Eltern und Kindern, Brüdern und Schwestern und dem noch traurigern zwischen Liebenden und Verlobten. Das Mitleid zeigt sich noch zur Zeit sehr groß und bedenklich ist, was man munkeln hört, daß die ausgewanderten Protestanten die Minderzahl und daß die mehreren zu Hause geblieben, sich fügend und wartend auf eine Aenderung der Umstände. Man ist so ziemlich allgemein der Meinung, daß die Sache zunächst durch den übertriebenen Eifer eines Priesters verdorben worden sey, der die Seelen seiner untergebenen Heerde einerseits durch seinen Fanatismus plagte, andrerseits durch rohes Benehmen ihr Zutrauen ganz einzubüßen wußte. Er war es, der einmal entrüstet auf die Kanzel stieg, entrüstet, weil die Zimmerleute vor der Kirche nach gethaner Arbeit zwei Schragen übereinandergestellt, wie dieses boshafte Geschlecht überall thut, während es doch nach seiner Meinung ein abscheulicher Frevel, da diese Stellung nothwendig unreine Gedanken erwecken müsse. Die Regierung hatte den „Inclinanten“ den Wunsch, eine protestantische Gemeinde zu bilden, abgeschlagen, dagegen erlaubt, sich an die im Kaiserreiche [535] anderswo vorhandenen anzuschließen. Dieß begehrten aber die wenigsten, die meisten zogen in die Fremde.
Das war das letzte öffentliche Auftreten des Protestantismus, der bei seinem Beginne in Tirol viel Anhänger gezählt und viele Aufregung verursacht hat. Der Ursitz war jeweils zu Schwaz, wo die reichen Silberwerke etliche Tausend Knappen beisammen hielten, während von nah’ und ferne, zumal aus den Erzgebirge, wandernde Bergleute ab- und zugingen. Auf diese Art kam die neue Lehre ins Land und von Schwaz aus verbreitete sie sich über Brixen ins Pusterthal, zumal nach Taufers und Ahren, nach Brunecken und selbst in die wälschen Gebirge von Buchenstein und Fassa. Sie wurde mit den damals gebräuchlichen Mitteln wohl bald glücklich unterdrückt, flackerte aber doch von Zeit zu Zeit wieder bedenklich auf. Ein abgedankter Soldat, Balthasar Dosser, aus dem Thale Lüsen, spann im Jahre 1558 eine wiedertäuferische Verschwörung an, wurde jedoch nach etlichen Jahren zu Brixen hingerichtet, ebenso wie seine Anhänger zu Meran und an andern Orten. — In neuerer Zeit thaten sich im Brixenthale des Unterinnthales die Mannhardtisten auf, welche den öffentlichen Gottesdienst nicht mehr besuchen wollten, weil sie die Weihe ihrer Priester nicht anerkannten. Etliche Abgesandte, die sich nach Rom begaben, wurden aber dort über ihren Irrthum belehrt und belehrten dann nach ihrer Rückkunft auch ihre übrigen Meinungsgenossen. – Ins Zillerthal kam übrigens der Protestantismus aus dem salzburgischen Pinzgau, aus demselben, das in dem letzten Jahrhunderte seinem Erzbischofe schon einmal Veranlassung zur Austreibung seiner Unterthanen gegeben. Dann begünstigten auch die Wanderungen der Handschuhhändler die Einfuhr von Bibeln und protestantischen Erbauungsbüchern. So kam es denn, daß auf die kaiserliche Verordnung vom 12 Jänner 1837 sich 126 Familienväter aus den Gemeinden Zell, Mayrhofen, Brandberg, Finkenberg und Hippach zur Auswanderung bereit erklärten. Im September desselben Jahres sind sie dann mit 288 Angehörigen (darunter 131 unmündige Kinder) nach Preußen ausgezogen, nach Nothdurft unterstützt von Seite der österreichischen [536] Regierung sowohl als der Nachbarschaft. Neun Personen übersiedelten nach Steiermark und Kärnthen. *)[4] Indessen gibt es schon seit mehreren Menschenaltern auch im Vinschgau und in Ahren etliche widerborstige Berghöfe, welche von geistlicher und weltlicher Obrigkeit ungeschoren, sich eines stillen unbekannten Separatismus erfreuen.
Im Wirthshause hatte mich ein Metzger von Hall erreicht, der so eben das Duxerthal durchstrichen hatte, um Einkäufe zu machen. Beide wurden wir aufmerksam gemacht, daß wir nahe vor dem Dorfe ein abseits liegendes Naturwunder übersehen hatten, den Hochsteg nämlich, den jetzt der Wirth den Fremden zuliebe den Teufelssteg heißt. Sein Söhnchen übernahm es, uns dahin zu führen. Der Teufelssteg ist ein Balken, mit einem Dache und einem Geländer bekleidet, der über einer grausigen tiefen Schlucht liegt, in welcher der Duxer Bach sich ruhig fortwälzt in blauen Wirbeln oder auch, wenn er angeschwollen, tobend und schäumend dahinrast. Jenseits des Steges geht es hinauf in die grüne Flur vor Dornau, wo ein kleines Alpendörfchen beisammensteht, in traulicher Abgeschiedenheit von wilden Schrofen umgränzt, aus denen ein schauerlicher Pfad nach Mayrhofen hinunter führt. Dießmal gingen wir aber nicht auf dieser Seite, sondern der Knabe führte uns von dem Teufelssteg wieder etwas abwärts an die Klamm. Die Felsenwand jenseits ist da ganz glatt abgeschnitten, die diesseitige geht sogar einwärts, und wer sich der Länge nach niederlegt und den Kopf hinausstreckt, der hat eine schauerliche Aussicht auf die Wirbel des Baches und den Ueberhang unter sich und auf die glatten Wände gegenüber. Wer gar keinen Schwindel hat, wie der Sohn des Wirthes, der mag sich dem Abgrunde bis auf den letzten Zoll nähern und stehend hinunter schauen; auch allenfalls versuchen, ob er wie der Wirthssohn und Kaiser Max den halben Fuß über den Felsen hinausstrecken und mit dem andern einen Kreis darüber schlagen kann.
[537] Nachdem wir den Berg herabgestiegen, waren wir im Zillerthal und kehrten in Mayrhofen ein, in seinem letzten Dorfe. In der kleinen Ebene, die es umgibt, kommen vier Bäche zusammen, aus den vier innern Thälern, in welche sich hier das Hauptthal verästet. Von Mayrhofen sind zwei Stunden[WS 6] nach Zell, ein lieblicher Weg durch freundliche Dörfer. Zell selbst ist ein stattlicher Ort mit großen steinernen Häusern, einer bedeutsamen Kirche und achthundert Einwohnern.
Es war der Dinzeltag der Schuhmacher, der Handwerksjahrtag dieser Zunft. An solchen Festen ist noch Musik und Tanz gestattet, und so gab sich erwünschte Gelegenheit, die Zillerthaler[WS 7] tanzen zu sehen, was jetzt selbst auf der Zeller Kirchweih nicht mehr möglich ist. Von dem Tanz der Zillerthaler hat Lewald eine sehr lebendige Schilderung gegeben; viele andere thaten auch das Ihrige, um die seltsame, fast außerweltliche Fröhlichkeit, die dabei walten soll, zu zeichnen. Gleichwohl scheint sich nun auch hierin mehr Ruhe und Mäßigung eingestellt zu haben, wenigstens entsprach das Groteske dieser Leibesübung an jenem Tage keineswegs den Schilderungen die davon zu lesen sind. Man spielte beim Neuwirth in zwei Stuben auf; in der untern ein Geiger und ein Zitherer, in der obern eine Geige und ein Contrabaß. Die beiden Tanzböden waren sehr ärmlich ausgestattet – wenige Kerzen mit Kloben in die Wand gesteckt, verbreiteten ein höchst zweifelhaftes Licht. In diesem Halbdunkel glaubte ich gleichwohl einige schöne Umrisse jungfräulicher Gesichter zu erkennen und ich habe kaum zu viel gesehen, denn andern Tages fand ich bei hellem Sonnenscheine alles bestätigt, was man von der Schönheit der weiblichen Thaljugend sagt. Die Balltoilette der Mädchen war ziemlich sorgfältig; die Buben stacken zumeist in schmutzigen Hemden und hatten der Bequemlichkeit wegen die Joppen abgelegt. Der Wirth that sich am meisten hervor, und wagte trotz seines Wänstchens die höchsten Sprünge. Der Neuwirth spielt noch so den alten Zillerthaler fort; nicht ohne heimliches Lächeln seiner einheimischen Vertrauten, jedennoch zum großen Vergnügen fremder Gäste, [538] welche die nur ihnen bestimmten Schnurren für seine alltägliche Laune halten.
Andern Tages auf dem Wege nach Fügen, das fast am Ende des Thales liegt, bekam ich das Gelände von Anfang bis zum Ausgang zu sehen und fand daß es sehr freundlich und mild ist, wohlbebaut und fruchtbar. Mäßig erscheinende Höhen – denn die hohen Jöcher liegen außer dem Gesichte – bis oben hinauf mit Wald bewachsen, der an vielen Stellen gelichtet ist, um Weiden und Ansiedlungen Platz zu machen, unten eine breite grüne Thalflur mit schönen Dörfern, aus denen spitze Thürme ragen, mitten durch der Zillerbach mit reichem Uferschmuck schöner Erlenauen; aber keine Wasserfälle, keine Lahnen, keine Schrofen, keine Schlösser und keine Burgruinen; nur im fernen Hintergrunde als einzige, aber sehr ernste Großartigkeit ein ragendes Gletschergebirge. So ist jeder Punkt für sich sehr schön; der ganze Zug aber von Mayrhofen bis Fügen oder Schlitters sich selbst zu ähnlich, um dem Durchwandernden nicht hin und wieder etwas einförmig vorzukommen.
Fügen ist ein großes, unregelmäßig durcheinandergestelltes Dorf von achthundert Einwohnern, mit einem stattlichen Schlosse, das ehemals den Grafen von Fügen gehörte. Als zweiter Ort im Zillerthale hat es immerhin seine landschaftliche Bedeutung, ist auch der Sitz eines Landgerichtes, doch ärgert es die Fügener, daß man den Spruch: Es gibt nur ein Fügen und ein Wien in der Welt – schon öfter gedruckt hat, und sie behaupten, ihre Eitelkeit sey nie so weit gestiegen, diese Nebeneinanderstellung im Ernste gut zu heißen. Es mag wohl damit dieselbe Bewandtniß haben, wie mit dem andern Gedächtnißverse:
Stuhlfelden ist sich selber gleich,
Mittersill gar ein Königreich –
welchen die Pinzgauer verfertiget haben, aber nur um selbst darüber zu lachen. Berühmt ist die große Aussicht auf dem Kellerjoche, das sich über Fügen erhebt und gewöhnlich von diesem Dorfe aus bestiegen wird.
[539] Zu Fügen im Hacklthurm sitzt zur Zeit Joseph Rainer, einer der berühmten Gesellschaft, die einst mit so ungeheurem Beifall den Zillerthaler Jodler in Großbritannien erschallen ließ. Nach der Zurückkunft von seinen Kunstreisen hat er den Hacklthurm, der ehemals ein adeliger Ansitz der Herren von Hackl war, käuflich an sich gebracht und zum Gasthofe eingerichtet. Es ist ein einstöckiges Gebäude mit einem niedlichen Garten, mit Lauben und einer grünen Veranda vor dem Hause. Englische Kupferstiche, Porträte, Seeschlachten, Fuchsjagden und ähnliche Vorstellungen hängen in allen Zimmern und erinnern an das Land, wo die Rainer groß geworden. Nachdem ich mich etwas in dem gastlichen Herrensitze umgesehen, ging ich, die Kirche zu betrachten. An der Außenseite ist jener vielbeweinte Leichenzug dargestellt, welcher zu Hall am 11 August 1838 gehalten wurde. Es waren nämlich damals die Compagnien des Landsturmes aufgeboten worden, um bei der Huldigung, die der Kaiser Ferdinand von der gefürsteten Grafschaft einnehmen wollte, in Innsbruck zu erscheinen. Die Fügener zogen nach Hall und ihrer dreizehn junge, schöne Bursche fanden eine Unterkunft in dem Hause des Gilgenbräus, das des Nachts einstürzte und sie alle erschlug. Ihre Leichenmäler stehen hier und dort auf dem Kirchhofe.
Nach diesem ging ich einen stillen Pfad dem Zillerbache zu, schritt über einen schmalen Steg und stieg dann die Anhöhe hinan auf den Hartberg. Es ist dieß eine mächtige Halde, vollkommen begrünt von der Wurzel an bis zum Joche, allenthalben mit Gehöften, mit Scheunen und Schoppen übersäet, mit Feld, Wiese und Wald in schöner Abwechslung gezirt. Hart, der Mittelpunkt, ist ein kleines, aus Kirche, Widdum und zwei Wirthshäusern bestehendes Dörfchen, in dessen steilen Fluren der Vicar eben lustwandelte, um der Abendluft sich zu erfreuen. Ich sprach ihn an und fand einen freundlichen Herrn, der mir die kleinen Sehenswürdigkeiten seiner Curatie gerne zeigte. Eine niedliche Einsiedelei, am Hange eines Tobels angelegt, mit Treppchen, Bänkchen und andern kleinen Hermitage-Anhängseln, ist nicht übel zu betrachten. [540] Während wir da so herumkletterten, fielen uns zwei versprengte Fräulein in die Hände. Sie schienen zu der Herrschaft zu gehören, die Nachmittags vor dem Hacklthurm angefahren war, und man kann nicht gut stehen, ob es nicht gar die Kammerjungfern gewesen. Sie waren von Wien und liebenswürdig, machten dem Curaten wenig Mühe und dies Bischen haben sie süß vergolten. Er zeigte ihnen die Kirche und sie ahmten ein Erstaunen nach, als wenn sie zum erstenmale in St. Peters Dom zu Rom einträten. Die eine der Damen stand voll Entzücken vor einem geschundenen Bartholomäus, den ein unbekannter Bauernmaler angefertigt und betheuerte, der Eindruck werde ihr nimmermehr vergehen. Die andere fand den Rococoplafond der schnörkelreichen Dorfkirche völlig unvergleichlich. Ach, diese Verzierung, lispelte sie, ganz im allerneuesten Geschmacke! Und doch, fügte ich hinzu, und doch von einem längst dahingegangenen Künstler geformt, aber in der Ahnung, daß das Ewigschöne immer wieder Anerkennung finde. O ich bitte, entgegnete das Mädchen und schlug erröthend die Augen nieder. Alles was zu sehen war, der Altar, die Leuchter, die Fahnen und eine Menge anderer Dinge wurden für ganz superbe erklärt, und als man hinaus ging, um die Aussicht zu betrachten, brach die „Passion“ von neuem aus und riß selbst den Kältern mit ins Gefühl hinein. Ja, sagten sie beim Abschied, dieser Abend und Ihre werthesten Persönlichkeiten werden uns unvergeßlich bleiben. Ich habe mich bedankt dafür, aber der Curat wußte kaum mehr was er sagen sollte, so sehr hatte ihn der Enthusiasmus der beiden Damen alterirt. Er schlug mir darauf vor, mit ihm ins Wirthshaus zu gehen, wo er sich wieder erholen wollte.
Abends erzählte mir Joseph Rainer, der Wirth im Hacklthurm, von seinen und seiner Geschwister kleinen Anfängen und spätern Großthaten; wie er selbst, ein unbekannter Viehhändler, der viel in Mecklenburg und Preußen verkehrt, zu Leipzig eine Ankündigung gelesen, die vier singende Tiroler-Kinder verheißen hatte, während diese doch nur vier tirolisch gebildete Jungen unbekannter Herkunft waren; wie er sich des Beifalls, den sie trotz ihrer schlechten Kunst gefunden, entsetzt [541] und ahnungsvoll seinen Geschwistern geschrieben, jetzt sey die Zeit gekommen, in alle Welt zu gehen und zu jodeln, und sie möchten sich aufmachen und schicklichkeitshalber etwas Leder und Handschuhe mitnehmen, damit man eine Ausrede habe, wenn es mißlinge; wie sie dann, fast beklommen, zu Freisingen an der Isar zusammengekommen und dort vor schmalem Publicum gesungen, worauf es dann immer besser gegangen, bis im Jahre des Heils Eintausend achthundert und achtundzwanzig der Großherzog zu Karlsruhe die Geschwister mit der Aufforderung überraschte im Theater zu singen, damals für sie eine nie gehoffte Auszeichnung, obwohl dann bald auf ihrer zweiten Reise, welche nach England ging, die Zeit kam, wo ihnen die besten Freunde abriethen, sich im Theater hören zu lassen, damit sie nicht die Möglichkeit vernichteten, in Fashion zu kommen. Und richtig fand man sie dieses guten Rathes willen selbst für den Hof von England nicht zu schlecht. Von dem Zuge nach Großbritannien brachten sie 56,000 Gulden nach Hause und was sie später verdienten war auch noch ansehnlich – der geistigen Schätze, darunter vor allem der gründlichen Kenntniß der englischen Sprache, ganz zu geschweigen. So wurde der Wohlstand der Familie geschaffen, die ehedem ein hölzernes Bauernhaus oben im Dorfe zu Fügen inne hatte, während jetzt Joseph Rainer im Ansitz zum Hacklthurm sitzt, Franz Rainer Wirth zur Krone, Felix Bauer in Fügen, Maria daselbst verheirathet, Anton Postmeister in Schwaz ist. Franz Rainer war damals mit jüngern Verwandten in Nordamerika, wohin er als Verstärkung berufen worden, nachdem ein Mädchen, das bei der Gesellschaft gewesen, einen Amerikaner geheirathet hatte. Jetzt sind wieder alle zurück, nur die Verheirathete ist jenseits des Oceans geblieben.
Es ist eine bekannte Thatsache, daß nach den Rainern noch viele andere Sänger aus dem Zillerthale auf Reisen gegangen sind. Am besten hat es unter den späteren den Geschwistern Leo geglückt; auch sie ersangen sich ein beträchtliches Vermögen. Viele andere, die nachher kamen, fanden kältere Aufnahme und verzehrten unterwegs wieder, was sie [542] erjodelt hatten. Die Zillerthaler reden übrigens gerne von ihren weitgereisten Landsleuten und ihre Bildnisse hängen an vielen Wänden. Man sieht sie mitunter auch dargestellt, wie sie in England vor dem Könige sangen und bemerkt, daß sie dort manches angenommen, was sich zu ihrer heimischen Einfachheit kaum recht zu schicken scheint. Die Männer tragen da einen breiten Hermelinbesatz an den Jacken, und das Mädchen, welches in der Mitte steht und die Guitarre spielt, erscheint gar in einem atlassenen Ballkleid mit nackten Schultern wie die Stadtdamen, statt in dem schönen, kurzen Röckchen der Jungfrauen von Fügen.
Uebrigens ist Herr Rainer zum Hacklthurm ein sehr billiger, freundlicher Wirth, und jetzt seit Jahren mit einer stattlichen Frau verheirathet. Er hat drei seiner Kinder, zwei Mädchen und einen Knaben, das älteste zur Jungfrau erblühend, das jüngste kaum erst schulpflichtig, bereits herangeübt, um die Gesänge zu singen, die sein Glück begründet haben, und als ich Abends allein beim Essen saß, begannen sie alle, der Vater als Bassist auch dabei, unter der Thüre eine schönes Alpenlied. Die wohlklingenden Stimmen und der gutgeübte, tactfeste Vortrag geben ein hübsches Abbild dessen, was einst die Engländer so höchlich entzückt hat.
Als ich ein andermal ins Zillerthal zog, ging ich von Schwaz herab und vorn herein. Es war in der Frühe des 8 Septembers 1844, eines Sonntags. Wir schritten unser zwei durch den Morgennebel, aus welchem Tratzberg leuchtete, am Ufer des schönströmenden Inns hinunter nach Margreten, um die Wirthstöchter zu sehen, deren Schönheit zuliebe jeder sinnige Fußwanderer gerne ein Seidel Wein trinkt. Von da kamen wir nach Rothholz, an dessen ansehnlichem Schlosse, mit Namen Thurnegg, wir vorübergingen, hinaufschauend an den Berg, wo sich eben aus dem Dufte die alten Thürme von Rottenburg losrangen – von Rottenburg, wo einst Notburga, die fromme Magd, gewaltet. Von Rothholz gingen wir nach Straß, über dem die ehemalige Einsiedelei Brettfall auf einer Felsennase sitzt, warfen einen Blick hinüber auf die herrliche Ruine von Kropfsberg und erreichten [543] Schlitters, das erste Dorf im Zillerthale. Dort haben wir etwas gerastet und schuldlosen Sinnes ein schönes Mädchen bewundert, die erste der Zillerthalerinnen, die mein Freund im Leben erschaut. Diese kamen von jetzt an sehr häufig vor, alle in stolzer Sonntagstracht, mit dem breitrandigen, hochspitzigen Hut, an dem die goldene Quaste prangt, mit dem innthalischen Spenser, der zuweilen von Sammet, mit kurzen Röcken und weißen Strümpfen. Sie nicken freundlich grüßend und der Pilger steht gern stille, um den Gestalten nachzusehen.
In Fügen sprachen wir im Hacklthurm zu und gingen dann im Dorfe spazieren. Es war heute sehr viel Leben auf den Gassen, denn man erwartete drei Prinzen, die Söhne des Erzherzogs Franz Karl, die in der Frühe nach Zell gefahren waren und jetzt bald zurückkommen sollten. Deßwegen und weil nach den Söhnen auch der Erzherzog Vater angesagt war, Triumphbogen, Inschriften und allerlei Zierrath an den Häusern. Unter anderm fanden wir auch eine schöne Jungfrau auf einer Sommerbank sitzen und ließen uns mit ihr in eines jener harmlosen Gespräche ein, wie sie zwischen Leuten üblich sind, die sich vorher nie gesehen haben. Es ging sehr leicht, denn die Mädchen sind hier liebenswürdig und fürchten nicht es zu scheinen. Während wir nun da sprachen, kam ein schmucker Zillerthaler des Wegs, im Kriegsgewande, d. h. in der Schlachtenjoppe und dem Schützenbrustfleck, wie das heute die Aufgebotenen alle trugen, auch mit einem breiten Leibgurt, worauf in Silber das großbritannische Wappen zu sehen. Es war Ludwig Rainer, der in Amerika gewesen ist und von seinem Oheim dieses Wappen ererbt hat; dem Oheim aber hatte es Georg IV als Andenken verehrt. Wir sprachen etwas englisch zusammen, was ihm ohne alle Beschwer von der Zunge lief. Später beim Einzuge der jungen Erzherzoge sahen wir ihn wieder als Posaunenbläser unter der Schützenmusik.
Bald knallten nun die Böller und wir zogen hinaus zum grünen Ehrenbogen, wo die Fügener Schützencompagnie aufgestellt war, lauter schlanke, großgewachsene Burschen. Die [544] Schützencompagnien des Landes sind allenthalben in ihre Thaltracht gekleidet, allerdings so, daß dabei noch manches schöne Gewandstück festgehalten wird, welches sonst außer Uebung gekommen ist. Im Zillerthale trägt zum Beispiele jetzt unterm Jahre kein Bursche mehr den rothen, silberbordirten Brustfleck, wie er zur Schützenuniform gehört, sondern die neuere Weste, und in Meran sieht man die grünen Hüte, die beim Ausrücken erscheinen, nur noch an den höchsten Festtagen. Die Fügener führen übrigens zur Zeit grüne spitzige Hüte, graue Lodenjoppen, wie sie im bayerischen Gebirge üblich, jenen silberumränderten Brustfleck, schwarzlederne, weißgestickte Gürtel, schwarzlederne kurze Hosen und weiße Strümpfe.
Aus den Schützenreihen wehten zwei Fahnen, eine weiß und rothe, und eine weiß und grüne. Auch führten sie Musik, völlige Militärmusik, mit Trompeten, Posaunen und vier Clarinetten, welche von Feiertagsschülern geblasen wurden, die in der Blüthe der Jugend strahlten. Neben dieser neuern Einrichtung, die man den Schullehrern verdankt, stand aber noch, als ein Denkmal vergangener Zeiten, die alte Schwegelmusik, zwei betagte Knaben von Anno Neune, die noch die alten Märsche wußten, zu denen zwei junge Knaben aus dem vorigen Jahrzehent die Trommel schlugen. Es ist zu fürchten, die Schwegler wachsen auch nicht mehr nach – sie werden nur so Ehren halber noch mitgelassen und schämen sich fast selber ihrer frohen Wissenschaft neben den sinnbethörenden Fanfaren, welche die andern Burschen zu Tage fördern. Es lohnt sich kaum noch, seine Nebenstunden auf die Querpfeife zu verwenden, und die quickenden, einförmigen Weisen zu erlernen, die ehemals der Schrecken der Feinde waren und jetzt das Gespötte der Kinder sind. Ja, mir ging ein Stich durchs Herz, als die zwei verjährten Gesellen, fromm und pflichtgetreu und voll des besten Willens, ihre Schwegeln an den Mund setzten und sämmtliche Schuljugend wie mit einem Schlag zu kichern begann. So war’s auch bald darauf zu Meran, als der Erzherzog Franz Karl gekommen war und die Partschinser und Algunder neben der Triumphsäule auf dem Sande Parade machten. Da prangten die Schützen in [545] voller Galla und standen in zwei Reihen, mit ihren Fahnen und ihren Spielleuten zumeist Partschinsern, welchen der Herr von Goldegg die schönen Instrumente angeschafft und so durch seine Opfer eine wohlgeübte Dorfbande hergestellt hat. Etliche „Herrische“ waren auch darunter, die man an den weißen Knien erkannte, denn die Bauern haben braune. Neben allen diesen machten aber drei Männer einen absonderlichen Eindruck, drei alte verwitterte Kriegsmusikanten, zwei Schwegler und ein Trommler. Der eine der Schwegler, so ungefähr der wichtigste von den dreien, hatte die Zeit, wo er eine gute Hose besessen, schon lange hinter sich und mußte daher willkommen seyn, obgleich er eine sehr abgeschabene trug. Der Trommler, der Mayer von Verdigen, spielte auf einer französischen Trommel, die er selbst erbeutet. Wenn er anhob mit seinen zitternden Händen die Schlegel zu rühren, dann ließ er das Haupt fast bis auf das Trommelfell sinken, so daß nur der ungeheure schwarze Hut zu sehen war, unter dem er sich lauschend versteckt hielt, gleichsam abgezogen von der Mitwelt und nur begierig, die alten, seltsamen Töne in nächster Nähe einzuschlürfen. Der Dritte schmächtige stand hinter den beiden und blies verschämt, nur stellenweise sichtbar, auf seiner Schwegel. Es war ein sehr wehmüthiges Schauspiel, wenn die rauschende Blechmusik aufgehört hatte, und der hüpfende Kriegsmarsch von Anno Neune begann. Dann wendete sich der schäbige Vorschwegler aufmunternd der Trommel zu, den Fuß mit schwerem Schuhe zum Tactschlage hoch erhebend und der Andre versank träumerisch in den summenden Wirbel und der Dritte blies in schüchternem Verstecke geschäftig seine Weise. Die leichtfertige Jugend lachte zwar wie sich die drei Musikanten so abmühten und doch nichts Rechtes zu Wege brachten, aber den Alten mag es durch den Kopf gegangen seyn wie ein vergessener Traum von Kriegsgeschrei und Blut und Brand.
Die Oficiere der Schützencompagnien sind größtentheils noch lauter bewährte Männer aus den Kriegszeiten. Sie werden durch eine andre Farbe des Hutes oder durch einen Federbusch kenntlich. Manchmal sieht man sie mit ausländischen [546] Orden geziert, die sie im Krieg erbeutet haben und zur größern Auszeichnung anhängen. Die Befehlshaber der Fügener hatten große winkende Büsche auf den Hüten und bedenkliche Degen an der Seite, welche aussahen als seyen sie ehemals in fremden Diensten gestanden. Der Hauptmann ging an der Fronte auf und ab, und war sehr besorgt, daß alles ordentlich ablaufe. Wir standen gegenüber und schauten seinem Walten mit Theilnahme zu. Endlich kurz vor der Ankunft der Prinzen rief er: Wenn ich Vivat schreie, so schreit es a! Nachdem in dieser Art die kommende Begeisterung geregelt war, rollten die jungen Erzherzoge heran, stiegen aus, wurden von den Beamten empfangen, und gingen sammt ihren Hofherren an der Linie hinab. Die Schützen präsentirten und als der Hauptmann Vivat schrie, schrien sie ohne Zögern alle nach. Darnach zogen sie hinter drein und unermeßliches Volk mit ihnen. Vor dem Landgerichte sangen die Rainer und Alles, was in Fügen die Kunst des Gesanges treibt, ein prächtiges Alpenlied und darauf fuhren die Prinzen davon.
Von Fügen aufwärts, eine gute Stunde zu gehen, liegt das Dorf Ried. Hier ist im vorigen Jahrhundert Peter Prosch geboren worden, ein Bauernsohn, der von Jugend auf im Auslande herumzog, keine großen, aber viele lächerliche Begebenheiten erlebte und sie später beschrieben und herausgegeben hat. Ich wendete einmal viele Mühe daran, das Buch zu erfragen. Eine Frau, die ich auf dem Eisenhammer bei Uderns kennen lernte, wußte mir zum erstenmale etwas davon zu sagen. Sie hatte es gelesen und nach eigenem Geständnisse mehr Vergnügen darin gefunden als an der schönsten italienischen Oper und dem wohlklingendsten Concerte. Sie wies mich an die Töchter des Peter Prosch, zwei alte Weiber von denen ich die eine in Uderns fand – die andre war auf dem Felde – jedoch ohne das Buch erhalten zu können; sie hatte es einer guten Freundin in Hall geliehen. In Ried erfragte ich abermals ein Haus, aber da hatte es der Rothgärber in Fügen zu lesen. Nach Fügen wollte ich nun nicht mehr zurück und so tröstete ich mich mit der Hoffnung, daß es mir ein guter Stern vielleicht noch anderswo [547] im Lande entgegenführen würde. Und so kam mir denn auch, was ich im Zillerthale nicht gefunden, eines Tages zu Meran vor Augen und zwar unter dem Titel: Leben und Ereignisse des Peter Prosch, eines Tirolers von Ried im Zillerthale – oder das wunderbare Schicksal. Geschrieben in der Zeit der Aufklärung. München 1789. Ich hatte mir eine Art spanischen Schelmenromans vorgestellt, die Abenteuer eines kecken, schlauen, überlegenen Schalks, der seine Talente unter alpenhafter Naivetät zu verbergen gewußt, aber aus der Selbstbiographie geht eher hervor, daß der Held gutmüthig und sehr furchtsam gewesen und dem hingebenden Gleichmuth mit dem er die lustigen Quälereien seiner vornehmen Gönner ertrug, bei weitem mehr zu danken hatte, als der Feinheit seines Verstandes. Er war im Jahre 1745 auf einem Söldenhäuschen zu Ried geboren, als das jüngste von eilf lebendigen Geschwistern. Im neunten Jahre verlor Peter seine Mutter – der Vater war schon lang vorher gestorben – und der älteste Bruder hatte ein böses Weib geheirathet, welches die jüngern Geschwister schnell alle aus dem Hause jagte. An einem schönen Nachmittage, erzählt die Lebensbeschreibung, um die Zeit der Weinlese, wenn die Blätter anfangen gelb zu werden und bei dem geringsten Lüftchen von den Bäumen fallen, wenn alle Getraidefelder leer sind und die Kühe in kleinen Heerden über die Berge und Felder hinweiden, kam der Knabe auf einem einsamen Fußsteige den Berg herab. Er war barfuß, aber seine schwarzbraunen Füße hatten sich ohne Verletzung über spitzige Steine hinzugehen gewöhnt. Seine Haut war durch Sonnenschein, Kälte, Regen und Winde so abgehärtet, daß ihn auch das Ritzen der Disteln und Dörner an den Wegen nicht schmerzte. Er war mit einem zerrissenen, kleinen Hemde und erbettelten alten Kleidern behangen. Den runden, vollwangigen, gelockten Kopf bedeckte ein zerfetzter, alter, grauer, großer Hut, durch dessen Spalten die hellbraunen Haare häufig herausguckten. An seiner Seite hing ein alter Brodsack und in der Hand trug er einen starken, haselnen Stock, um die Hunde damit abzuwehren.
[548] Als er so den Fußsteig am Berge herabkam, sah er vor sich eine schöne Wiese und jenseits der Wiese einen Wald, in welchem oben auf der Höhe ein dicker Rauch empor stieg. Rechter Hand einen Steinwurf von dem Wege lag ein Rübenacker, der rundum mit einem Faden umzogen war, an welchem alte Lumpen hingen, die, vom Winde bewegt, das Wild zu verscheuen bestimmt waren.
Der arme Peter eilte hin in die Wiese an den Bach, trank und setzte sich neben einer Erlenstaude auf den Rasen. Da er hungrig war, machte er seinen Sack auf und als er nur einen schmalen Bissen trockenen Brodes fand, gingen ihm die Augen über und die Thränen begannen zu fließen über die braunen Wangen. Seufzend sagte er zu sich selbst: O meine liebe Mutter! nun hab’ ich dich nicht mehr – du hattest immer Brod und wenn ich hungerte, gabst du mir. Er guckte wieder in den Sack, ließ alle Brodsamen zusammenrieseln und letzte seinen Hunger daran. O liebe Mutter! weinte er wieder, da liegst du hinter der Mauer in dem Kirchhofe und dein armer Peter geht nun allein in der Welt betteln, wie ein armes Küchlein, das seine Gluckhenne verloren hat.
Indem er so vor sich hinjammerte, fiel ihm das Rübenfeld in die Augen, aber seine Mutter hatte ihm oft gesagt, es sey nicht erlaubt, zu stehlen.
Nunmehr kam ein Mädchen, welches eine weiße Ziege an einem Bande leitete, um sie auf der Wiese neben dem Rübenfelde zu weiden. Es war ein bildschönes Mädchen, auch beiläufig zehn Jahre alt. Der Knabe machte sich auf und trat zu ihr. Mädel, sagte er, ich möchte gerne ein paar Rüben essen. Gehören sie dir und deinen Leuten? – Ja, wo bist du her? – Lieber Gott, ich habe keine Heimath; ich bin ein armer Bue und heiße Petrus. – Schau, Petrus, sagte das Mädchen mitleidig, du darfst keine Rüben essen. Wenn dich hungert, will ich die Marende mit dir theilen.
Sie zog sodann ein doppelt geschlagenes Butterbrod aus der Tasche und reichte es dem Knaben. Aber, sagte dieser, so hast ja du nicht genug. – O, ich bin nicht hungrig und esse mich den Abend wieder satt. – Alsbald nahm sie auch [549] ein kleines Messer hervor und theilte das Butterbrod in zwei ungleiche Theile, den größern aber gab sie ihm.
Sie beide saßen beisammen und aßen vergnügt. Während ihrer vertraulichen und kindischen Gespräche begann es Abend und kühl zu werden. Peterl, sagte sie, wo wirst du diese Nacht schlafen? – Darf ich denn nicht mit dir ins Dorf gehen? – Ach nein, wir haben einen bösen Ueberreiter[WS 8], der jagt dich fort. Aber siehst du den dicken Rauch dort oben am Berge aufgehen? – Dort ist ein Kohlbrenner, gar ein guter Mann. Der nimmt alle armen Leute in seine Hütte, wenn sie der Ueberreiter fortjagt; da geh du hin.
Jetzt stand der Knabe auf, nahm seinen Stock und nun faßte ihn das Mädchen um den Hals, küßte ihn und ging mit ihrer Ziege gegen das Dorf. Er aber wanderte fort und dem Kohlbrenner zu.
Als er durch das Laub daherrauschte und auf diesen zukam, fragte er: ob er ihn die Nacht beherbergen wolle. Der Kohlbrenner erkundigte sich zuerst um die Herkunft des Knaben und versprach ihm dann, was er begehrt. Er führte ihn in seine Hütte, gab ihm zu essen und zu trinken und machte ihm ein Lager zurecht, in welchem Peter sehr gut schlief. Am andern Tage bedachte sich der Knabe, und bekam einen Eckel am Bettel, so daß er ihm ganz zuwider wurde. So nahm er seine Sachen zusammen und trollte damit den Berg hinauf, um nach einem Hirtendienst umzusehen. Unterwegs rief ihm aber der alte ehrliche Kohlbrenner von der Hausthüre zu: wo gehst hin, Peterl! dieser antwortete: auf den Berg hinauf, Schafe hüten. Ei, sagte der Andere, ich kenne so viele, die ihr Brod mit einer Handelschaft außer Landes suchen; probier es auch! wer weiß, ob du nicht dein Glück finden kannst. – Wie sollt’ ich es denn machen? ich habe kein Geld; und wer wird mir etwas geben? – Ich will dir Bürge seyn, sagte der Kohlbrenner. Auf seine Worte ging der Knabe zurück und zum Bartlme Hauser, als einem Oel- und Theriakfabricanten. Dieser borgte ihm um drei Gulden neun Kreuzer solcher Waaren.
[550] Peter Prosch ging also im zehnten Jahre seines Alters außer Landes als herumlaufender Oelträger, errang weniger durch seine Handelschaft, als durch zarte Bitten bei den Bäuerinnen in der Küche, und kam ins Schwabenland und bis nach Dischingen. Dort hörte der Fürst Taxis auf der Jagd von dem kleinen weithosigen Tiroler und verlangte ihn zu sehen. Darauf ließ er ihn waschen, in Lauferkleider stecken und nahm ihn unser sein Hofgesinde. Er lernte dem Fürsten und der Fürstin den Rock küssen und bekam viele Teller voll Confect. Der Läufer Augustin hatte ihn in der Lehre und noch drei andre Jungen mit ihm. Sie liefen alle Tage zur Uebung vier Stunden weit spazieren nach Dillingen. Peterl war der begabteste unter den Zöglingen, lief am schnellsten und bekam daher am wenigsten Schläge. Aber in all der neuen Herrlichkeit am Hofe befiel ihn doch das Heimweh und eines schönen Morgens ging er auf die Flucht. Ein schwarzer trotziger Reiter auf einem weißen Rosse holte ihn indessen wieder ein und brachte ihn an den Hof zurück.
Im Herbste zog der Fürst nach Regensburg und Peter sah nun auch diese berühmte Stadt. Der fürstliche Rath Kirchmayr hatte eine besondere Neigung zu dem Knaben gefaßt und die Frau Räthin suchte ihm etwas Bildung beizubringen. Statt: Hoy, was willst? sollte er nunmehr sagen: Was schaffen Euer Gnaden? Dieß war aber noch zu schwer für sein zartes Alter und als er einmal beim schwarzen Elephanten Salzburger Fuhrleute erfragt hatte, ging er mit ihnen davon und kam wohlbehalten nach Hause, wo er keinen Bissen zu essen hatte.
Tausenderlei Gedanken von großen Herren, von Gnaden und Glücksgütern hatte er von der Reise mitgebracht und nun trat dazu noch auf heimischem Boden das Bild der guten Kaiserin Maria Theresia, von welcher seine Landsleute so viel erzählten. Und siehe da! als er eines Abends schlafen gegangen, träumte ihm ganz natürlich, er sey bei der guten Kaiserin mit dem Hut unterm Arm, welchen sie ihm voll Geld geschenkt und sie lasse ihm in seinem Dorfe eine Wohnung und eine Branntweinhütte bauen. Von da an kein andrer [551] Gedanke mehr, als Maria Theresia, Hut voll Geld, Branntweinhütte, Haus bauen. Und nach verschiedenen Begebenheiten und mehreren Wochen stand Peter im Audienzsaale zu Schönbrunn. Maria Theresia kommt herein, der Knabe läuft ihr entgegen, purzelt auf dem glatten Boden rücklings hin, rafft sich wieder auf, kniet nieder und erzählt der Kaiserin, die sich vor Lachen kaum verwußte, seinen Traum. Dieser ging nun nach seinem ganzen Inhalte in Erfüllung und der junge Tiroler kehrte reichbeschenkt in seine Heimath zurück. Es war an einem Sonntage und im nächsten Wirthshaus spielten Musikanten auf. Dahin ging nun Peter zum Tanze unter die Leute, die schon gehört hatten, wie glücklich er gewesen. Er war dreizehn Jahre alt und wurde als ein Wundermensch angesehen, weil noch Niemand aus dem Dorfe nach Wien gekommen war. Buben und Dirnen bewillkommten den Freund ihrer Jugend und schüttelten ihm die Hände. Unter andern war ein hübsches Mädchen da, in seinem Alter, welches ihm die Hand gab und die seinige drückte und sagte: Gehst du nicht einmal mit mir tanzen? O ja, sagte Peter und fing mit ihr den Reigen an. Unterm Tanze aber flüsterte ihm das Mädchen ins Ohr: Peterl, magst du keine Rüben und geschlagenes Butterbrod mehr essen? Es war nämlich dasselbe Dirnchen, das einst neben dem Rübenacker auf der Wiese die Ziege hütete, als der andere von dem Berge mit seinem Brodsack heruntergekommen war. Sie blieben nun beisammen und gingen nach dem Tanze miteinander. Unterwegs umarmten sie sich öfters in unschuldiger Zärtlichkeit, versprachen einander zu lieben und zu heirathen und kamen also nach Hause. Als Peter sein Häuschen ausgebaut und das sechzehnte Jahr erreicht hatte, hielt er Hochzeit und nahm zur Ehewirthin das nämliche Mädchen, welches auch keinen Vater und keine Mutter mehr hatte, wie er. Sie waren zusammen einunddreißig Jahre, sieben Monate und fünf Tage alt.
So weit diese Dorfgeschichte, ungefähr in derselben Weise wieder gegeben, wie sie Prosch niederschrieb. Vielleicht hat der vierundvierzigjährige Biograph diese Jugenderinnerung mit mancher neuen Blume ausgeschmückt; immerhin bleibt sie [552] wenigstens für sentimentale Leser das Anziehendste in der Lebensbeschreibung. Was weiter folgt, ist als Beitrag zur Memoirenlitteratur des vorigen Jahrhunderts nicht ohne Werth. Es enthält manch anmuthiges Detail aus dem Leben der kleinen Höfe in Bayern, in Franken und am Rhein, so wie des großen Kaiserhofs zu Wien. Peter Prosch setzte nämlich seine Züge fort – er rühmt sich, der erste Handschuhhändler aus dem Zillerthale zu seyn, der nach Deutschland gekommen – und machte sich durch seine heitre Laune und die geduldige Ertragung aller, mitunter sehr boshaften Hofpossen, wie sie ihm neckische Cavaliere spielten, überall sehr beliebt; insbesondre thaten der Fürstbischof von Würzburg und der Markgraf von Anspach ungemein vertraulich mit ihm. Allenthalben fand er adeliche Gönner und Gönnerinnen, die er Vater und Mutter nennen mußte. Vom Kurfürsten Maximilian III von Bayern erhielt er eine Ehrenmedaille, die er als einen Orden tragen konnte und ein Decret, wodurch ihm ein jährlicher Gnadengehalt von sechs Tausend neun Hundert und zwölf Pfennigen zugesichert wurde. In Folge dessen hielt er sich berechtigt, später nach dem Tode seiner Frau auf den Titel eines „kurbayrischen verwittweten Hoftirolers“ Anspruch zu machen. Die meiste Ausbeute für fürstlichen Spaß und cavaliermäßige Ungezogenheit gab sein furchtsames Naturell. Er dutzte zwar die Kaiser, die Kurfürsten, Fürstbischöfe und Markgrafen und hunzte sie wenn’s der Augenblick zu fordern schien, auf gut tirolisch aus, aber es scheint, als habe ihm bei diesen Naivetäten, die mit unauslöschlichem Gelächter hingenommen wurden, selbst das Herz im Leibe heftig gezittert. Es kam auch vor, daß ihn seine Gönner durch einen als Bären vermummten Hofbedienten zur Nachtzeit aus dem Bette und mutternackt über den Hof sprengten, oder daß man ihn auf ein tückisches Pferd band und halbtodt vor Angst wieder herunternahm oder daß man etliche Grenadiere auf ihn zumarschieren, ihn als Recruten aufpacken und dann den tödtlich Erschrockenen wieder frei ließ. Einmal mußte er auf des Prinzen Maximilian von Zweibrücken, des spätern Königs von Bayern, Veranstaltung zu Straßburg in das Schifflein [553] eines aufsteigenden Luftballons sitzen, was ihm auch ungemeine Beschwer verursachte, vieler andern Neckereien nicht zu gedenken. Er selbst beruhigte sich zuletzt über alles, wenn es nur den Herren Spaß gemacht hatte und klebte mit treuer Anhänglichkeit an all den großen und kleinen Potentaten, die sich an seinen Aengsten zu ergötzen liebten und ihm deren Gedächtniß durch zahlreiche Kremnitzer Ducaten zu versüßen wußten. Bei ihren Geburts- und Namenstagen unterließ er dann auch nicht einen gereimten Glückwunsch anzubringen, deren mehrere in dem Buche abgedruckt sind. So viel von Peter Prosch, der im Jahre 1804 gestorben ist. In Ried steht noch das Wirthshaus wo der Ehrsame, als er sich zur Ruhe gesetzt, Wirth gewesen.
Der oben erwähnte Handel mit Medicamenten und Oelen, der früher viele „Mithridatträger“ beschäftigte, ist zum Besten des Wohlseyns der Mitwelt schon im vorigen Jahrhundert ganz abgethan worden. Er ernährte in seiner Blüthezeit bei vierhundert Mannsbilder und zur Erzielung der Waare wurden im Zillerthale eine beträchtliche Anzahl bäuerlicher Laboratorien unterhalten. Die Landleute zogen in ihren Gärten Rosmarin und Lavendel; Salbei, Wachholder, Tannzapfen, Kienholz und derartige Stoffe boten die Wälder und die Felder. Im benachbarten Achenthale fand sich ein Gestein, aus dem sie Steinöl gewannen, welches man in Viehkrankheiten als wohlthätige Arznei befand. Die Wälschtiroler trugen lebendige Scorpionen herzu und die Zillerthaler erquetschten daraus das für den Hundsbiß gerühmte Scorpionenöl. So waren alle drei Reiche der Natur der Oelindustrie des Zillerthales dienstbar.
Nachdem wir damals in Fügen die Erzherzoge gesehen, fuhren wir mit dem Stellwagen gegen Zell herauf und hielten zu Kaltenbach, einem kleinen Weiler nächst Ried. Als wir ausstiegen, stand mit offenen Armen ein bejahrter Bauer an dem Schlage und empfing uns mit dem heitersten Gesichte, wie seine Gastfreunde von Jahrhunderten her. O du mein lieber fremder Herr, sagte er zu mir, grüß di Gott viel tausendmal und wie schien is des, daß du auch ins [554] Zillersthal hast einhi mögen. Darauf wandte er sich einem Andern zu, den er schon früher kennen gelernt, und bewillkommte auch diesen: O du mein lieber Freund von Schwaz, wie freut’s mi, daß i di wieder a mal sehen thue und was macht der alte gute Herr Vater? und endlich redete er uns alle zusammen an, wie wir ausgestiegen waren: O es lieben freundlichen Herrn! bekannt und unbekannt, grüß enk Gott viel tausendmal im Zillersthal. I moan, i soll enk alle kennen. Die Fremden sahen sich sämmtlich verwundert an, worauf denn jener Mitreisende aus Schwaz das Wort ergriff und sagte: Ja, meine Herrn, das ist der Nußbaumseppl, ein besonders guter und freundlicher Mann und es ist so seine Art.
Mir trat das Conterfei vor die Seele, welches neben dem Titelblatte von Peter Proschens Leben zu finden ist und ich meinte, im Nußbaumseppl zu Kaltenbach bei Ried das Abbild jener gutmüthigen freundlichen Züge zu sehen, die einst dem verwittweten bayerischen Hoftiroler angehört; freilich in etwas älterer Erscheinung, denn der Nußbaumseppl ist ein Sechziger und hat schöne weiße Haare, die angenehm um das gutgeröthete Gesicht spielen, welches ruhig auf einem weidlichen Kropfhals sitzt. Auch der milde, süße, singende Ton der Stimme, dachte ich mir, wird derselbe seyn, wie ihn der erste Handschuhhändler von Tirol verwendete, um sich im Auslande seine Bahnen zu brechen und bei Herren und Damen sein Glück zu machen; nur das Herz muß bei seinem zeitgenössischen Doppelgänger um ein Gutes muthiger seyn, sonst hätte er sich nicht solcher Ehren zu erfreuen, wie sie ihm, laut des Folgenden, noch heutzutage zu Theil werden.
Der Nußbaumseppl setzte sich nun aber zu uns – es war wohlgemerkt Sonntag und ihm nicht zu verargen, wenn er nebst seiner Gattin im Wirthshause saß – und erzählte, daß er mit dem rechten Namen Joseph Hellwart heiße und überm Bache drüben Haus und Hof, früher aber in der bayerischen Armee gedient und eine sonderbare Verehrung für seine ehemaligen Landsleute geschöpft habe. Mich hielt der heitere Tischgenosse zuerst für einen Mecklenburger und zwar der Mundart wegen, was nicht auffallen darf, da die Zillerthaler [555] zur selben Zeit auch einen sehr schwäbischen Maler von Constanz für einen Mecklenburger nahmen. Als ich nun meinen neuen Freund nicht ohne Mühe überzeugt hatte, daß ich die angemuthete Landsmannschaft ablehnen müsse, ließ er mir keinen Frieden bis ich ihm sagte, wo ich wirklich geboren, und dieß ist zu Aicha in Oberbayern. Darauf zeigte er, daß er in diesem Städtchen sich ausgedehnte Bekanntschaften erworben und mit Beamten und Bürgersleuten als wandernder Händler viel Verkehr gehabt habe – mich aber hieß er von jetzt an ganz freiwillig den Herrn Assessor von Aicha, womit mir Unwürdigem aber auch wieder zu viele Ehre widerfahren. Nunmehr hob es indessen erst recht an mit den Erzählungen von der Schlacht bei Hanau und der Belagerung von Hüningen und andern Schlachten in Frankreich und von seinem Leben als bayerischer Chevauleger zur schönen Kriegszeit. Und dann begann er fast in rührender Weise seine Dankbarkeit zu äußern gegen den General Hugenpoet, seinen Obersten und gegen den General Von der Mark, seinen ehemaligen Rittmeister, den er lieber habe als alles auf der Erde mit Ausnahme seines neben ihm sitzenden Weibes, der ihm des Jahres einmal und dem er des Jahres zweimal schreibe, weil der Mindere doch immer mehr zu thun habe, als der Höhere und der aus ihm, einem lesensunkundigen, rohen Burschen einen so tüchtigen Mann gemacht. Ja, mein lieber Herr Assessor! sagte der Nußbaumseppl, die Behandlung macht alles, gar alles! und mit seiner Behandlung hat mich mein lieber Herr Rittmeister zu dem gemacht, was ich jetzt bin. Dann brachte er ein munteres Hoch aus auf seine ehemaligen Vorgesetzten und auf die bayerische Armee in der Kriegszeit. Ich muß gestehen, daß mir bei so viel Aehnlichkeit im Wesen auch die Kremnitzer Ducaten einfielen, die weiland der Hoftiroler für seine süßen Sprüche zu erhalten gewohnt war, aber ich hatte mich dieses Verdachtes nur zu schämen, denn der Nußbaumseppl will sich nichts verdienen mit seinen Reden. Auch erfuhr ich gleich hernach, daß er ein wohlstehender, seiner Ehrlichkeit wegen geachteter Mann sey, dem die Nachbarn nichts zur Last legen, als daß er etwas [556] gerne plaudere. Bei der Abfahrt begleitete er seine lieben, fremden Herrn, den lieben Freund von Schwaz und den lieben Herrn Assessor von Aicha wieder an den Schlag, schüttelte uns herzlich die Hand und lud uns alle ein, andern Tags zu ihm auf seinen Hof zu kommen und seine Butter und den guten Kirschbranntwein, den er habe, zu versuchen.
Die sonntägliche Stellwagengesellschaft wurde durch diese Begegnung sehr heiter gestimmt und die Zillerthaler, die dabei waren, erzählten nun allerlei Geschichten. Ein mitfahrender Bauer, einer von den Jungen, klagte sehr bitter, daß die alte Fröhlichkeit im Zillerthale so unbarmherzig ausgerottet werde. Aehnliches hatten wir schon in Fügen vernommen und hörten es wieder zu Zell. Der Bue meinte, daß das Raufen abgekommen, sey nicht Schade, aber daß auch dem Singen und dem Tanzen nachgestellt werde, das sey zu viel. Jedennoch gehe es noch immer nicht recht mit der Traurigkeit; im Zillerthale, meinte der Kecke, sey keine Lustbarkeit eine Sünde, denn man müsse alles wieder hinausarbeiten. Auch seyen die Mädchen zu schön und zu gut und hätten die Buben zu lieb, als daß man zwischen beiden ewige Feindschaft stiften könne. Eine schöne Au, an der wir vorüber fuhren, gab ihm Anlaß, ein früheres Volksfest in Erinnerung zu bringen. Ehemals wurde da nämlich alle Jahre ein Widderstoßen abgehalten zwischen den Fügenern und den Zellern. Beide Gemeinden zogen dazu einen Widder heran und jene, deren Kämpe den Sieg errungen, hatte auch das Recht, das besiegte Thier an sich zu nehmen. Der Bursche behauptet indessen, man habe sich nicht so sehr auf das Widderstoßen gefreut, als auf das Plaisir welches gewöhnlich darauf folgte. Wenn es nämlich die Widder nicht ausmachen konnten und der Sieg, wie oft geschah, unentschieden blieb, so machte es die männliche Jugend aus und es kam dann auf der grünen Au zu einem unermeßlichen schlachtenartigen Ringkampf. Dabei trugen die Dirnen Steine zu, haranguirten die Kämpfer, brachten die Verwundeten aus dem Gefechte und schmeichelten den Muthigen und Tapfern. Dabei wurden aber auch Augen ausgedrückt, Ohren abgebissen und noch gräulichere [557] Dinge verübt. Ein paar Leichen auf dem Felde war nichts Ungewöhnliches. Das letztemal als die alte Sitte noch zum alten Unfug führte, blieb es unentschieden, wer die Sieger gewesen. Der Bursche behauptete, die Fügener hättens davon getragen, aber kaum hatte ers gesagt, als sich der Kutscher vom Cabriolet herein ins Gespräch mischte und in sehr gereiztem Tone dem Andern zurief: Ist nicht wahr, die Zeller. Die beiden Jungen fuhren hitzig gegen einander; der ehemalige Großkampf der Nachbargemeinden schien sich im Kleinen erneuern zu wollen, und wenn der Stellwagen überhaupt für pugilistische Künste eine bequemere Arena wäre, so hätten wir leicht etwas erleben können. So aber gelang es uns durch beruhigende Worte die Gemüther wieder zu beschwichtigen und der Fügener gab am Ende sogar zu, daß dem Vorkämpfer der Zeller, der die Gegner zuletzt zum Einzelkampfe herausgefordert, allerdings keiner mehr gestanden sey.
Also wieder in Zell, wo am 9 September 1844 der Erzherzog Franz Karl vom Pinzgau her seinen Einzug halten sollte. Im Dorfe war den Tag über große Bewegung; es sammelten sich die Schützen und die Zuschauer und der Braüwirth hatte alles aufgeboten, um die Stirnseite seines Gasthofes, den der hohe Reisende zur Nachtherberge ausersehen hatte, recht festlich herzurichten. Wir gingen einstweilen, da noch einige Stunden übrig waren, zur kleinen Goldhütte am Heinzenberg hinaus und besahen uns die Werke. Es wird da amalgamirt und geschlemmt, und den jährlichen Durchschnittsertrag berechnet man zu 29 Mark 11 Loth gediegenen Goldes. Zur Ansicht für den Erzherzog hatte man eine Goldrose in Bereitschaft, einen runden krausen Fladen des edelsten Metalles, wie er hervorgeht, wenn das Quecksilber wieder vom Golde ausgeschieden wird. Die Gruben, aus denen die Erze kommen, liegen gleich zur Seite.
Allmählich war es Abend geworden und als endlich die Nacht sich auf das Thal gelegt, da krachten die Böller von der Höhe des Heinzenbergs und ringsum erglommen die Bergfeuer, die kunstlosen, welche die Hirten zusammentrugen, und ein anderes mit Scharfsinn angelegtes, das den erzherzoglichen [558] Namensbuchstaben und eine Krone darüber darstellte. Zugleich erschien an der Halde des Heinzenbergs eine lange Reihe von Lichtern, die abwärts stiegen. Sie bezeichneten den Gang der Erwarteten. Nun setzten sich die Zeller in Bewegung und zogen hinaus gegen das Goldbergwerk und empfingen den Erzherzog. Böllerknallen, Musikklang, Trommelwirbel, Vivatruf scholl begeisternd in einander und von oben leuchteten die fernen Bergfeuer herein. Dann zog man fröhlichen Lärmes wieder in das Dorf. Die Schützen bildeten ein Spalier vor dem Braüwirthshause, der Erzherzog und sein Gefolge ging mit freundlichen Grüßen hindurch, die Wirthsleute riefen ein herzliches Willkommen, der kaiserliche Herr trat ein und das anhängliche Volk drängte nach, so viel es vermochte. Bei den Vorbereitungen für das Fest hatte man auch der Alpenlieder nicht vergessen und die Leo, drei Sänger und eine Sängerin, warteten oben schon im schönsten Putze, um den Erzherzog durch ihre Jodler zu vergnügen. Dieses gelang auch sehr gut und der hohe Gast sprach ihnen, nachdem der Gesang zu Ende war, in sehr freundlicher Weise seinen Dank aus, gab ihnen auch sonst noch Gelegenheit, Verschiedenes mit ihm zu reden, ja sogar etwas Weniges von ihren Reisen zu erzählen. Nachdem dieses Gespräch beendet war, begab sich der Erzherzog zu Bette und wir andern sammelten uns in den untern Stuben. Es war ein schöner Zug des edeln Reisenden, daß er uns so lustig seyn ließ, als wir wollten, und seinem Schlafe zu Liebe unsrer Unterhaltung keinen Abbruch zufügte, obgleich das Jauchzen und das Jodeln manchmal wohl sehr störend in sein Gemach hinaufhallten.
Wir suchten in die Nähe der Leonen zu kommen, da wir gehört hatten, sie würden unten noch etwas singen. Ich erhielt einen Platz neben dem Schullehrer, einem muntern Herrn, der heute die Joppe anhatte als Vorsteher der Schützenmusik, zu welcher auch Ferdinand Mariacher, der Organist aus Dux, gekommen war. Nach einiger Erquickung ließen die Sänger ihre schönen Lieder beginnen, womit sie bei allen Hörern große Ehre einlegten. Die Geschwister Leo haben freilich als Epigonen nicht jene Berühmtheit erlangt, die den [559] bahnbrechenden Rainern zufiel, sind aber doch auch weit herumgekommen in der Welt. Sie sprechen zwar nicht englisch, aber dänisch und schwedisch. In Scandinavien hat es ihnen vor allen andern Ländern am besten gefallen, in Dänemark und Schweden behaupten sie die menschenfreundlichsten Leute gefunden zu haben; aber in Belgien unter den Wallonen sey ihnen viel Unangenehmes begegnet und sie hätten Manches zu erleiden gehabt von dem Eigennutz und der Geldgier selbigen Volkes.
Andern Tages endeten die Festlichkeiten mit einer Heerschau der Zeller Schützen, welche auf dem Platze vor dem Braüwirthshause aufmarschirt waren. Darauf fuhr der Erzherzog mit seinem kleinen Gefolge davon und Zell kehrte wieder zur alltäglichen Ordnung zurück.
Ein Spaziergang in den ebenen Fluren dieses Dorfes ist zumal an einem Sonn- oder Feiertage eine angenehme Unterhaltung. Die Einwohner der zerstreuten Höfe sitzen dann auf ihren Sommerbänken vor den Thüren und plaudern – aus dem Stübchen tönt oft Zitherklang – im nächsten Hause wird gesungen, vom Berg herab erschallt das Jauchzen fröhlicher Buben. Da die Zillerthaler gar nicht schüchtern, sondern eher etwas dreist sind, so ist gut mit ihnen reden; man geräth leicht ins Gespräch, das sich in heiterm Scherze fortspinnt und endet. Als ich eines Tages nach einer solchen Wanderung wieder dem Flecken zuging, saß vor einem kleinen Hause ein Mädchen, das mich grüßend ansprach. Während wir redeten, kamen mehrere Buben des Weges, welche sich mit Freundlichkeit meinen Tabakbeutel ausbaten um ihre Pfeifen zu stopfen. Endlich erschien noch ein Mädchen, ein schönes Wesen, und nun meinten die Jungen, wäre etwa ein Gesang zu versuchen. Man unterließ nicht zu fragen, wie viel ich dafür hergeben würde, und so machte ich mich anheischig, eine Halbe Wein zu setzen. Nachdem diese Vorfrage erledigt war, sangen sie also, die beiden Mädchen und ein junger Bergknappe, nicht ohne Kunstfertigkeit. Zuerst stimmten sie das schöne Lied an: Es wohnt ein Müller an jenem Teich – dessen Fortsetzung ich mir aber aus Schamhaftigkeit verbat. Dann fielen [560] sie auf das Lied vom schwarzbraunen Engelschmiedsgesellen, den eine schneeweiße Markgräfin liebt, ein Lied, das zwar mit dem Augenmaß der Schicklichkeit betrachtet, auch nicht ganz tadelfrei, aber sonst sehr lobenswerth ist. Es erfreut sich einer weiten Verbreitung in Tirol, denn die Bauern um Meran kennen es eben so wohl, als die Bergknappen am Heinzenberg. In des Knaben Wunderhorn ist dasselbe auch aufgenommen,*)[5] doch erscheint dort ein Zimmergesell statt des schwarzbraunen Engelschmiedsgesellen und außerdem fehlt es auch nicht an Verschiedenheiten im Texte.
Nach diesem wurden noch einige andere Gesänge vorgetragen, zumeist erotischen Inhalts, mitunter auch ziemlich schlüpfrig, was aber kaum geahnt zu werden schien, denn die Mädchen sangen sie so unbefangen heraus, wie eine tugendhafte Gnome, während mir nichts überblieb, als den Hut tiefer ins Gesicht zu drücken, wie das Maidele in Dux. Nachdem es der Lieder genug waren, fingen die Dirnen mit einander zu tanzen an, wozu der Bergknappe begleitende Schnaderhüpfel sang, und nach diesem ging ich mit leerem Tabaksbeutel, den die Jungen ausgeraucht, wieder nach Zell zurück.
Im Auslande ist man gewohnt, den Zillerthaler, den allbekannten Handschuhhändler, für den Typus des Tirolers zu nehmen, und da derselbe, wie die Rainer dargethan, liederkundig und gesanglustig ist, so gilt wohl auch ganz Tirol als ein Land wo alle Bergwände von Singen und Jodeln wiederhallen. Gleichwohl sind die meisten Thäler der Grafschaft so liederlos und gesangarm, als irgend eine Gegend in Deutschland. Gewiß war es einmal anders; zur Zeit aber findet das kecke Schnaderhüpfel nur noch im Zillerthal, im Unterinn- und Pusterthal sein ehrliches Fortkommen. Vielleicht ist ihm auch da keine Zukunft gegönnt und dann mag es nur etwa im bayerischen Gebirge, bei den Jachenauern, bei den Lenggrießern und den Schlierseeern noch fortleben. Diese kleinen Völkerschaften in den bayerischen Vorbergen haben ohnedem um die Pflege und Fortbildung des Alpengesanges [561] Verdienste, die der gerechte Mann, der einmal das zum dringenden Bedürfniß gewordene Buch über die Volkspoesie in den Alpen schreiben wird, jedenfalls zu der ihnen gebührenden Anerkennung bringen muß.
Die Zillerthaler also sangen schon lange Zeit, ehe Joseph Rainer zu Leipzig auf den Gedanken verfiel, ihre Alpenlieder in die große Welt zu tragen. Diese unermeßliche Erweiterung des Publicums blieb aber nicht ohne Rückwirkung auf den Gesang selbst. Zu der Zeit nämlich, als die Geschwister Rainer auf Reisen gingen, war der Schnaderhaggen fast die einzige Form, in welcher sich die Volkspoesie erging. Jetzt aber fand man, daß im jodelnden Kunstgesang der vierzeilige Satz nicht ausreichte – er war schlechterdings zu kurz und die Verbindung unzusammenhängender Strophen schien aus ästhetischen Gründen nicht zu rechtfertigen. Man bemühte sich nun längere Lieder zu finden, von der Art, daß sich am Schlusse jedes „Gesatzels“ ein Jodler anhängen ließ. So sind eine Anzahl Lieder in den Bereich des Alpengesanges gezogen worden, die ursprünglich kaum dafür berechnet waren oder die von studirten Volksfreunden verfaßt wurden. Hie und da versuchte auch ein Aelpler seine Gefühle in längern Gedichten auszuhauchen und den Landsleuten zu brauchbaren Texten zu verhelfen, wie wir das von dem Schullehrer zu Finkenberg wissen. So ergibt sich denn, daß das Meiste, was jetzt im Auslande gesungen wird, eigens, für diesen Zweck gemacht wurde. Das alte, einheimische Volkslied von der Bürgal, welches im zweiten Bande des Sammlers mitgetheilt ist, dasselbe, welches sich Lewald angeblich wieder von Maria, der schönen Duxerin, vorsingen ließ, ist schon längst vergessen.
Ueber die Schnaderhaggen oder Schnaderhüpfel die man im Zillerthale und in Dux schlechtweg Liedeln und G’sangeln nennt, enthält derselbe Band des Sammlers einen gutgeschriebenen Aufsatz, dessen ausgiebige Benützung wir uns wenig zu Gewissen nehmen, weil der Verfasser J. Strolz noch ein andres Zillerthal vor Augen hatte, als wir es kennen. Er erzählt uns wie diese G’sangeln zuvörderst beim öffentlichen Tanze erklangen, und um dieß recht aufzufassen, müssen wir uns [562] in eine große Wirthshausstube denken, an einem Kirchtage oder bei einer Hochzeit, wo alles wimmelt von starken Buben und blühenden Mädchen, wo die Tische voll Gläser sind und die Köpfe voll Wein. In einer Ecke steht eine große Kornkiste und auf dieser bemerken wir im Geiste Zither, Hackbrett, Schwegel, ein paar Geigen, den großen Baß, Maultrommeln u. s. w. sammt den dazu gehörigen Spielleuten, was alles zusammen die Spielleuttruhe genannt wird. Wenn’s nun von neuem angehen soll, so tritt einer der Tänzer mit seinem Mädchen zur Spielleuttruhe vor und wirft dieser sein schnödes Silber zu, bald mehr bald weniger, je nach Stand und Vermögen, oder auch nach Eitelkeit und Ehrgeiz. Dieß heißt einen Tanz anfrümen (bestellen) und im Unterinnthale wurden dazumal für einen einzigen Ländler oft mehrere Kronthaler auf die Truhe geworfen. Dafür durfte nun jenes Paar für sich allein tanzen, und die andern mußten zusehen, bis der angefrümte Ländler vorüber war. Wer sich indessen nicht so viel herausnahm, sondern sein Geschäftchen still und anspruchlos mit den andern fortmachte, der zahlte einen Groschen für den Tag und nochmal einen nach dem Ave Maria Läuten. Aus einer schätzbaren Notiz bei Peter Prosch ist zu entnehmen, daß man zu der Zeit, als dieser jung war, wenn man sich sehen lassen wollte, vier Kreuzer gab. Nachdem also ausgezahlt war, stimmte der Tänzer in einer selbstgewählten Melodie sein Schnaderhüpfel an, und die Musik fiel alsogleich begleitend ein – woraus sich denn deutlich ergibt, daß das Schnaderhüpfel der bojoarische Vertreter der romanischen Ballade ist.
„Eine andere Gelegenheit, die erwähnten Liedchen zu singen, bietet den Buben das Gasselgehen oder Anfensterln, dasselbe, was man im Bregenzerwalde die Stubet nennt. Wenn nämlich der theure Junge von einem solchen Liebesabentheuer zurückkehrt, stimmt er auf dem Heimwege sein Gassellied an und begleitet es mit einem Jauchzen, wovon die Gebirge wiederhallen. Vor dem Besuche hütet er sich gerne seine Gefühle laut werden zu lassen, besonders auf dem Gang in entferntere Orte, da die Bursch (so heißt die Gesammtheit [563] des ledigen Mannsvolkes einer Gemeinde) mit eifersüchtigen Augen die Schönen ihres Dorfes bewacht, er also Gefahr läuft, im Falle der Entdeckung von derselben geästet, gescheitert oder gewasent, d. i. mit Baumästen, Scheitern oder Wasen (Rasenstücken) geworfen zu werden.
Alte Mütterchen haben schon lange durch schreckbare Spukgeschichten, die Geistlichen durch Kanzelreden, die Beamten durch Arrest- und Geldstrafen dem Gasselgehen entgegen zu wirken gesucht, aber umsonst. Von letztern zumal wurde mancher, der anfangs als Eiferer auftrat, durch unangenehme Erfahrungen dahin gebracht, die Sache bald leichter zu nehmen. Noch jetzt ist die Sitte nicht abgekommen.
Der dritte Ort diese Gedichte zu singen und sie zu verfassen, sind die Alpen. Von aller Gesellschaft durch mehrere Monden getrennt, suchen natürlich die einzelnen Viehhirten ihre Nebenstunden so gut als möglich zu verkürzen. Sie verfertigen aus Farchen– oder Kieferholz eine Menge jener Späne, deren man sich auf dem Lande statt der Kerzen bedient, oder sie flechten aus Latschen– oder Zundelstauden eine Art Holzschuhe, Knospen, für Stall- und Bergleute überhaupt ein nothwendiges Bedürfniß. Viele wissen auch allerlei Hausgeräth, Löffel, Teller, Milchgefäße zu schnitzen. Unter diesen Handarbeiten finden sie nun Muße genug, sich ihrer daheim gelassenen Mädchen zu erinnern und auf sie, oder auch auf ihre Nebenbuhler mancherlei Liebes- und Spottgedichte zu verfassen. In jeder Alpenhütte findet sich überdieß eine Maultrommel, eine Waldflöte, eine Schwegel, eine Zither und dergleichen, so daß diese Sennen auch Gelegenheit haben, eine passende Arie auszusinnen und sich in mannichfaltiger Begleitung zu üben.
Auch auf dem Felde, in den beschwerlichen Bergmahden und bei häuslichen Beschäftigungen werden diese Liedchen, meistens von Mädchen gesungen; sie dienen ihnen zur Ermunterung und lassen sie wenigstens auf eine Zeit die Schwüle des Tages vergessen.“
Die Schnaderhüpfel sind der überwiegenden Mehrzahl nach erotisch oder satirisch; Liebesfreude oder Spott ist der Hauptinhalt; [564] erstere oft sehr zart, oft sehr unzart gemalt, letzterer immer treffend und witzig. Es geht über alles her, was im Wege liegt, über die Fehler der Buben, wie über die Schwächen der Mädchen – über diese freilich lieber, als über jene – über den Nachbar, über die Gemeinde, über die Nachbargemeinde und über das ganze Thal. Es begibt sich keine alberne Geschichte, die nicht ihre Reime erhielte. Das elegische Element, wie es in den slavischen Volksliedern lebt, tritt nur sehr selten hervor; das historische gar nie; ein heroisches nur im skoptischen Trutzlied, das den Gegner zum Raufen fordern soll. Die Grundlage des Versbaues sind dabei die vier Haupttonsylben, von denen je zwei in jeder Vershälfte stehen, wonach denn, da sie herkömmlicherweise vierzeilig geschrieben werden, auf jede Zeile eine Hebung fällt. Die Melodien nach denen sie zu singen sind, lassen sich nach Duzenden zählen, die Schnaderhüpfel selbst nach Hunderten und Tausenden. Viele haben nur ein ephemeres Daseyn; viele leben länger, verschwinden aber auch wenn ihre Zeit um ist – andere sind nur in bestimmten Dorfschaften bekannt, andere gehen durch Steiermark, Pinzgau, Zillerthal, Innthal, durchs bayerische Gebirge und wiederhallen, wie wir aus Ranks Buche ersehen, selbst im Böhmerwalde. Es sind lauter ἀδέσποτα; man weiß auch von den beliebtesten nicht, wer sie gedichtet hat, und selbst die Frage darnach würde lächerlich scheinen. Vielen Beifall finden diese Lieder neuerer Zeit unter den gebildeten Ständen in Bayern. In München sind so viele im Umlaufe und die ganze Materie daher so alltäglich, daß man sich dort billig wundern wird, wie wir hier so viele Worte darüber machen mögen. Auch in andern Städten erlustigt man sich an diesen naiven Ausgeburten des Hochlandes. Wer immer aus Franken oder Schwaben Gelegenheit hatte, einige Zeit in den südlichen Landestheilen zuzubringen, der nimmt gerne ein paar Duzend dieser G’sangeln mit in seine Heimath, wo sie allenthalben einer sehr freundlichen Aufnahme gewiß sind. Man hat in den Städten sogar schon versucht sie nachzuahmen, aber so einfach diese Gedichte sind, so schwierig ist es für alle, die nicht bei Milch und Käsnocken aufgewachsen, den [565] rechten Ton zu treffen. Der Bereich der poetischen Anschauung, Styl und Worte der Darstellung sind so genau abgegränzt, daß es für den Sachverständigen leicht ist, ein herrisches Schnaderhüpfel von einem bäurischen zu unterscheiden. Jedennoch mag allen bojoarischen Herren und Frauen wenigstens der Versuch gestattet seyn, sich in der Dichtweise ihrer Hirten und Bauern zu ergehen, und unser trefflicher Landsmann Franz von Kobell hat darin einen Preis verdient; andersstammigen deutschen Poeten aber möchten wir dringend rathen, sich nie in dieses heikle Gebiet zu verlieren. Es kann nichts ärmlicher klingen, als ein in der Anschauung und im Ausdrucke gleich verfehltes Schnaderhüpfel, wie wir deren schon hie und da bei solchen gefunden haben.
Eine längere Reihe ächter Schnaderhüpfel zu geben ist nun nicht unsere Absicht – wir fürchten das Achselzucken süddeutscher Leser, die nicht hundertmal Gehörtes hier als Neuigkeit wieder zu finden begehren. Doch wollen wir wagen, aus den Anmerkungen welche J. Strolz seiner Sammlung beigefügt hat, einiges herauszuheben, was den Leser allenfalls anziehen könnte, wenn auch vieles davon Antiquität ist. Zu dem bekannten G’sangel:
A Büchsel zun Schießen
Und an Stoßring zun Schlagn
Und a Dienal zun Liebn
Muß a frischa Bue habn!
zu diesem auch von Immermann aufgenommenen Liedchen, welches obgleich schon 1807 gewiß nicht mehr ganz neu, noch immer gehört wird, sagt der Verfasser Folgendes:
Stoßringe oder Schlagringe sind die gewöhnlichen Waffen der Raufer, dienen aber auch dem ländlichen Mannsvolke zur Zierde. Sie bestehen aus eisernen, messingnen oder silbernen Reifen mit einem großen darauf gelötheten Knopfe von gleichem Metalle. Geprüfte Robler bedienen sich dieser Ringe höchst selten, da ihnen die geballte Faust die nämlichen Dienste leistet. – Dieses Liedchen gibt übrigens die Hauptzüge des Volkscharakters im Unterinnthale sehr deutlich zu erkennen. Ein leidenschaftlicher und gleichsam angeborner Hang zur Jagd [566] und zum Scheibenschießen ist zwar dem größten Theile der Tiroler gemein, indessen räumt man doch dem Unterinnthale allgemein ein, die meisten guten Schützen zu zählen. An jedem Sonn- oder Feiertage üben sich die jungen Leute den Sommer und Herbst hindurch sehr emsig in dieser Kunst und bringen es darin zu einer unglaublich hohen Fertigkeit. Eben so groß, als der Hang zur Jagd, ist die Raufluft der Tiroler, oder die Sitte, sich bei Beleidigungen durch einen Faustkampf auf dem Platze Genugthuung zu verschaffen. Diese Kämpfe vertreten gleichsam die Stelle der alten Ordalien und haben, wenn sie im Angesichte des versammelten Volkes geschehen, ihre eigenen Regeln und Gesetze. Werden diese von einem der Kämpfer durch Beißen, Kneipen, Augenstechen und derlei verbotene Kunstgriffe übertreten, so werfen sich alsbald einige aus der Versammlung zu Kampfrichtern auf und stehen dem Uebervortheilten bei. Solche unzulässige Hülfsmittel anwenden, heißt mit dem Kunstausdrucke schelmen. Jedes Landesviertel, jedes besondere Thal beinahe jedes einzelne Dorf nährt gegen die Nachbarschaft eine Art forterbender Antipathie, so daß ein Fest, bei welchem Leute aus verschiedenen Bezirken erscheinen, selten ohne Rauferei endet. Und doch verbindet alle bei öffentlichen Landesangelegenheiten der vollkommenste Gemeingeist. (Für Anno Sieben klingt das sehr prophetisch). Uebrigens ist das Raufen den jungen Burschen oft auch nur eine gymnastische Uebung. – Merkwürdig ist, daß die vornehmsten Raufer, die sogenannten Hagmaier, gewöhnlich die gutherzigsten Leute sind. Sie können vielen Spott mit kaltem Blut ertragen und zeigen ihre Ueberlegenheit lieber, wenn sie bei entstandenen Raufereien aufgefordert werden, die Kämpfenden auseinander zu bringen, als durch Auftreten in eigenem Namen. Reizbar sind sie nur gegen die Nebenbuhler ihres Ruhms, und wenn solche gegenwärtig sind, so unterlassen sie nie, diese durch Stichelreden und Trutzliedeln herauszufordern. Auch schicken sie an weit entfernte berüchtigte Raufbolde eigene Boten mit förmlichen Absagebriefen oder lassen sie auf einen bestimmten Platz, am liebsten einen besuchten Wallfahrtsort zum Zweikampf laden, z. B. nach [567] St. Nothburg zu Eben, auf den Hainzenberg im Zillerthale oder auf die hohe Salve im Brixenthale. Beide Streiter erscheinen unfehlbar und wenn sie sich gegenseitig geprüft haben, schließen sie meistens bei eine Kanne Branntwein ein lebenslängliches Schutz- und Trutzbündniß. – Eine mildere Art, seine Kraft zu versuchen, ist das Hackeln, was darin besteht, daß sich zwei Mannsbilder mittelst der gekrümmten Mittelfinger der rechten Hand fassen und aus der gegenseitigen Stellung zu ziehen suchen. Es ist keine kleine Ehre für den besten Hackler der Gegend erachtet zu werden und manchmal trägt’s auch etwas ein, denn es wird nicht selten um Kühe und Kälber und um beträchtliches Geld gewettet. – So lange übrigens im Gebirge gerauft wurde, und da, wo sich der Gebrauch erhalten hat, noch zur Zeit, galt und gilt die Hutzierde als das Symbol der Ansprüche, welche der Träger auf Muth, Tapferkeit und Leibesstärke macht. Ist einer zur Hand, der den Schmuck außer Verhältniß zur Mannheit des Helden findet, so fordert er ihn zum Kampfe. Unterliegt der Geforderte, so nimmt ihm der Sieger „Feder und Gamsbart“ und pflanzt sie, als Helmdecke, auf den eigenen Filz. Daher die erste Strophe, die der bayerische Hiesel singt:
I bin der bayrisch’ Hiesel
Und kein Jager hat kein Schneid,
Daß er mir Feder und Gamsbart
Vom Hütel abitheit.
„Die wachsende Schärfe der Polizeigesetze in den letztern Zeiten, sagt Strolz, und insbesondre die Verordnung, daß notorisch bekannte Raufer zum Militärdienst abgegeben werden sollen, hatte immerhin die Folge, daß Raufereien in unsern Tagen nicht mehr so häufig vorfallen, als ehedem, während in den achtziger Jahren die Robler noch häufig selbst in der Hauptstadt erschienen, um dort vor den Herrischen ihre Mannskraft zu zeigen – Auch auf die Kunst zu lieben (es spricht noch immer J. Strolz) versteht sich der Unterinnthaler und überhaupt der Tiroler so gut, als jeder andere Bewohner der Erde; nur unterliegt der erstere gewöhnlich mehr als seine übrigen Landsleute dem Fehler, dem priesterlichen Segen [568] vorzugreifen, hält aber dagegen als Ehemann unverbrüchliche Treue. Alte Jungferschaft ist hier zu Lande übrigens so wenig beneidenswerth als anderswo; alte Jungfern gehören, so will es das Sprüchwort, auf das Sterzinger Moos. Dort sieht man zur Nachtzeit die Geister dieser Unglücklichen in irrenden Flämmlein über dem Moor tanzen.“
Jenes Sprüchwort hat in den letzten neununddreißig Jahren an seiner Geltung nichts verloren. Noch heutzutage mag man Jungfrauen, die ihre Hoffnungen auf eine anständige Versorgung allmählich zerrinnen sehen, in die elegische Weissagung ausbrechen hören: I g’hear a schon bald aufs Sterzinger Moos! Der gleichen Anschauung ist gedacht in einem hübschen Liede neuern Ursprungs, das also lautet:
Schön blau is der See
Und’s Herz thut mir weh,
Und wird nimmermehr g’sund.
Bis mei Diendl nit kummt.
Und Diendl, was thätst du
Wenn treffet’ mi’s Loos?*)[6]
Du müßtest halt wandern
Auf’s Sterzinger Moos.
Und wenn i amal g’storbn bin,
Brauch i Weichbrunn koan’n;
Mein Grab’l wird naß
Von mein Diendl sein Woan’n.
Zu einem andern Schnaderhüpfel gibt unser Gewährsmann folgende Erläuterung:
„Da die deutschen Tiroler, besonders die Zillerthaler und alle Bewohner des Unterinnthales, große Liebhaber gebrannter Getränke sind, der eigentliche Branntwein aber doch vielen zu kostbar ist, so suchen sie ihn durch Brennung beinahe aller Obstgattungen und Feldfrüchte, verschiedener Beeren und Wurzeln zu ersetzen. Es gibt Branntwein von Aepfeln, Kirschen, Birnen, Zwetschgen, Weichseln, Roggen, Erdäpfeln, Schlehen, Kranwet (Wachholder), Moosbeeren (vaccinium oxycoccus), Meisterwurzen (imperatoria ostrutium), Enzian und [569] manche andre Arten mehr. Nicht wenige Bauern haben zu ihrem Hausbedarf einen eigenen Brennofen. Im Zillerthale ist für viele Leute, wenigstens weiblichen Geschlechts, das Graben und Brennen der Meister- und Enzianwurzen ein ordentlicher Erwerbszweig. Sie bleiben den ganzen Sommer hindurch auf dem höchsten Gebirge, wo sie eigene Hütten haben. Viele ziehen in dieser Absicht ins südliche Tirol, auch nach Kärnthen, Steiermark und Schwaben. Beinahe jeder Knecht und jede Bauernmagd hat ein Fläschchen solchen Lebensgeistes in der Gewandtruhe verborgen. Es werden auch förmliche Branntweingesellschaften oder Branntweinhoangasten (Heimgarten) abgehalten, bei welchen sich die jungen Leute der Nachbarschaft, besonders in hohen Gebirgsgegenden, wo keine Wirthshäuser sind, in einem Bauernhause durch Trinken, Tanzen oder ländliche Spiele zu belustigen pflegen; gegen diese Branntweingelage sind ebenfalls schon verschiedene obrigkeitliche Maßnahmen ergangen, doch eigentlich nur für die flachen Landesgegenden; denn auf dem Gebirge, dessen Bewohner hie und da im Winter nicht einmal zu ihrer Kirche kommen können und ihre Todten in einer Kammer bis zum Anfange des Frühlings aufbewahren müssen, ist es wohl nicht ahndungswürdig, wenn sie die langen Abende durch diese einzige Unterhaltung abzukürzen suchen.“
An einem andern Orte wird die herbstliche Heimfahrt von der Alm geschildert wie folgt: Der Melcher mit einem Stocke bewaffnet, tritt langsamen Schrittes und unter wunderlichen Geberden voran; sein Stolz steht in genauem Verhältnisse mit der Anzahl der Heerde und ihrer Schönheit. Hinter ihm drein, an erster Stelle geht jene Kuh, welche das Jahr hindurch auf der Alm bei den oftmals veranstalteten Kuhgefechten die meisten Siege erfochten hat. Sie heißt die Mairkuh und unterscheidet sich von den übrigen durch ihren Kopfputz und eine am Halse hängende ungeheure Schelle, ihres dumpfen Tones wegen der Hafen genannt. Hierauf folgen die übrigen Kühe nach der Ordnung. Im Unterinnthale beläuft sich deren Anzahl bei einem einzigen Bauern manchmal auf hundert Stücke. Ein großer Theil derselben ist ebenfalls mit Schellen, Glocken, [570] Blumensträußen und gestickten Schellriemen versehen. Sie verkünden daher durch das lärmende Getöse schon weit vorher ihre Ankunft. An den Zug der Kühe schließt sich der Galterer, mit seiner Galtheerde, Kälbern und Stieren, welche statt eines Halsgeschmeides alle Ketten des Alpenviehes zu tragen haben. Dann kömmt der Gaiser mit den Ziegen, der Schafer mit den Schafen, endlich die Saudirn, welche mit ihren grunzenden Zöglingen den feierlichen Zug schließt. Bei ihrer Nachhausekunft pflegen sie an einigen Orten unter ihre Bekannten kleine, eckige, in verschiedene Figuren gemodelte und von innen ein Kügelchen süßer Butter enthaltende Käse (Alm- oder Butterkasel), auch eine Art Gebackenes (Almnüßel) auszutheilen.
Ueber die Jagd in Tirol erheben wir nachstehende, Mittheilung: „Daß es früher eine sehr große Menge Gewildes und reißender Thiere, vorzüglich Bären, Wölfe, Luchse, Gemsen und Steinböcke, Wildschweine, Hirschen, Rehe und verschiedene Arten von Federspiel, besonders Schild- und Auerhähne, Birk-, Stein- und Schneehühner gegeben, davon muß den geübten Jäger schon der bloße Anblick der verschiedenen Landesgegenden überzeugen. Die mit mannichfaltigen Holzarten, mit dem fettesten Grase und mit wohlschmeckenden Beeren und Kräutern bedeckten Gebirge, aus deren zahlreichen Quellen sich so viele Bäche, Teiche und Seen bilden, reichen dem Gewilde überflüssige Nahrung und die nackten Felsen gewähren ihm auf ihren beschneiten, von Wolken verhüllten Gipfeln sichern Schutz. Die gebirgige Lage des Landes, macht dem Tiroler die Jagd, vorzüglich jene der Gemsen, äußerst beschwerlich und gefahrvoll; viele müssen sich bequemen, im heißen Sommer bei versiegten Quellen den brennenden Durst mit dem Regenwasser zu löschen, das in den Höhlungen verdorrter Kuhfladen zurückgeblieben; andre müssen die Fußsohlen aufritzen, um sich durch das hervorsickernde, kleberichte Blut auf den schroffen Felsplatten und Eisschollen einen sichern Tritt zu verschaffen. (Diese auch in Schillers Tell berührte vielbezweifelte Uebung soll übrigens sehr selten oder gar nie vorkommen.) Hunderte fanden bei dieser Gelegenheit in den [571] Schneelawinen, in einem Waldstrome, oder im Abgrunde eines Bergschlundes ihr Grab. Es ist unnöthig, hier der Jagdgefahren des unvergeßlichen tirolischen Gemsenjägers Maximilian zu erwähnen, da Melchior Pfinzings Theuerdank ohnehin Jedermann bekannt ist. Einen weitern Beweis von der in Tirol vorhanden gewesenen Menge des Wildes geben die Jagdgesetze der alten Landesfürsten und ihr ausschließlicher Vorbehalt einiger Thiere z. B. der Wildschweine im Etschlande und Unterinnthale, von deren Daseyn in diesen Gegenden keine Spur mehr erscheint; ferners die vielen, in den Schlössern und selbst in Bauernhäusern aufgesteckten Hörner, Geweihe und Waffen von Raubthieren. Die Lichtung der Wälder und Auen, die Beurbarung der öden Plätze, die Austrocknung der Sümpfe, vorzüglich aber die allgemeine Bewaffnung des Landvolkes und die von diesem vernachlässigte Befolgung der Waidmannsregeln durften wohl die Ursachen des sehr verminderten Wildstandes in Tirol seyn.“
Diese Verminderung hat in den letzten dreißig Jahren lediglich zugenommen und das edle Waidwerk belohnt sich wenigstens in den bewohnten Gegenden nur mit sehr dürftiger Beute. Manches wunderliche Gethier, das ehemals die Jagd im Hochgebirge gefährlich und reizend machte, ist entweder ganz von der Erde weggeschossen, oder lebt nur mehr in seinen letzten Sprossen. Wir wollen an diesem wohlgelegenen Orte über den ungefähren Bestand der Gegenwart kurz zusammenstellen, was Staffler darüber mittheilt:
Die Steinböcke und die wilden Schweine sind schon seit langer Zeit vertilgt. Der letzte Eber wurde 1700 in den Reisäckern bei Kaltern erlegt. Erstere hielten sich ehedem sehr zahlreich in der Floite auf, einem Hochthal hinter Mayrhofen, das sammt dem größten Theile des Zillerthales vor der Säcularisirung dem Erzstifte Salzburg gehörte. Sie wurden dort von einigen jagdliebenden Erzbischöfen mit besondrer Sorgfalt gehegt. Man besoldete Wächter und baute ihnen Hütten auf den höchsten Bergen, man verbot sogar Ziegen und Schafe auf die hohen Weidgänge zu treiben. Auch die Kühe, die auf den niedern Alpen weideten, durften keine Glocke tragen und [572] den Melcherleuten war jeder Gesang und alles Jauchzen verboten. Diese Sorgfalt für die Thiere erbitterte aber die Menschen; im Jahre 1694 hatten die Wächter in der Floite noch einhundertneunundsiebenzig Steinböcke gezählt; im Jahre 1706 wurden die letzten zwölf getödtet. Die Hirsche zeigen sich sparsam im Vorarlberg, in einigen Gegenden des Unterinnthals, im obern Vintschgau. Die Gemse kommt in den nördlichen Gebirgen häufiger vor, als in den südlichen. Es ist dort nichts seltenes, Rudeln von achtzehn bis vierundzwanzig Stücken zu gewahren. In Südtirol nährt das Gebirge von Ampezzo die meisten. Rehe und Hasen sind selten; auf hohen Alpen kommt der kleine weiße Schneehase (Lepus variabilis) vor, der wegen des Genusses der edlern Kräuter ein sehr schmackhaftes Fleisch bietet. Außer Tirol und der Schweiz kennen ihn wenige Länder. Das Murmelthier (Marmota alpina) in gewöhnlicher Sprechweise Murmentel, hat nur in einigen Hochgebirgen des Nordens, z. B. im Kaunserthale, im Pitz- und Oetzthale, in der obern Gegend des Paznauns, in den Seitenthälern des Wippthales seinen Aufenthalt. Es hat wenig Werth und das Fleisch ist nicht allgemein beliebt.
An Federwild hegt das Land die edelsten Gattungen, als den Auerhahn (Tetrao urogallus), den Birk- oder Spielhahn (Tetrao tetrix), das Schneehuhn (Tetrao Lagopus), das Haselhuhn (Tetrao bonasia), das Steinhuhn (Tetrao sonatilis) und das Repphuhn (Tetrao perdix). Auerhahn, Spielhahn und Schneehuhn lieben das Hochgebirge, Haselhuhn, Stein- und Repphuhn wärmere Lagen. Das seltenste ist das Haselhuhn, wegen seines zarten Fleisches am höchsten geschätzt. (Für Freunde gebratenen Federwildes kein besserer Ort als das Wirthshaus zu Salrain auf dem Ritten; dort wird der Wißbegierige, der das Hochland auch von dieser schmackhaften Seite kennen lernen will, binnen acht Tagen gründlichere Studien durchmachen, als anderswo vielleicht in Monaten.)
Unter den reißenden Thieren steht obenan der Bär. Er ist in Vorarlberg ganz ausgerottet – den letzten hat ja der Stier bei Sibratsgfäll erstochen – aber in Tirol noch [573] hin und wieder zu treffen, zumeist in den Seitenthälern des Wippthales, im obern Vintschgau, ja im Hochgebirge bis Schlanders herab, im Ultenthale und seiner Umgebung, an der Mendel bei Kaltern, auf dem Nonsberg, in Fleims, selbst bei Vezzano und bei Ala. Auch im Pusterthale bei Sillian läßt er sich zuweilen sehen. Die Bären thun großen Schaden an den Feldfrüchten, vorzüglich in den Weingütern, da sie die Trauben ganz besonders lieben. Vor zwei Jahren ließ sich ein solches Unthier selbst in den Weingärten von Löwenberg spüren. In der That stieg auch ein Jagdliebhaber von Meran zum gastlichen Schlosse hinauf und kam zwar nicht mit dem Bären nach Hause, aber doch mit einem Affen. – Der Wolf ist vorzüglich im Matscher Thale, auch auf dem Nonsberge und in der Valsugana zu treffen. Die wälschen Bezirke sind überhaupt reicher an Bären und Wölfen, als die deutschen. Seltener als beide ist der Luchs; er findet sich nicht ungerne in den Gebirgen, die gegen Bayern abfallen, im Vintschgau und bei Feldkirch. Die kleinern Raubthiere, als Dachs, Fuchs, Marder, Iltiß und Wildkatze, sind allenthalben im Lande verbreitet. Unter den geflügelten Raubthieren sind der Lämmergeier und der Uhu, in Tirol Buhin genannt, hervorzuheben. Ersterer nistet in unzugänglichen Felsgebirgen, letzterer in altem Gemäuer, in den verfallenden Burgen des Tiroler Adels. – Der Wildbann ist theils landesfürstlich, theils im Besitze des Adels, der Stifte und Klöster, der Gerichtsgemeinden und Privatpersonen. Die landesfürstlichen Jagden werden in der Regel verpachtet. Die Erleger der Raubthiere erfreuen sich bestimmter Belohnungen. Für einen Bären werden 30, für eine Bärin 40 Gulden, für Wolf und Wölfin 25 und 30, für Luchs und Luchsin 20 und 25 Gulden bezahlt. Da im Durchschnitte jährlich 20 Bären, 12 Wölfe und 2 Luchse getödtet werden, so hat die Regierung ungefähr 1000 Gulden an Belohnungen (Taglien) zu entrichten. Der leidenschaftlich betriebene Vogelfang der Wälschtiroler ließe sich hier auch hereinziehen und in seinen vielen Reizen schildern; indessen sind wir schon zu lange auf einem [574] Abwege und verlassen daher das Gethier des Waldes und der Luft, um zu den Zillerthalern zurückzukehren.
Das Wesen dieses Thalvolkes schildert sich nun in seinen Schnaderhaggen mit seinen eigenen Worten recht deutlich und greifbar. Es zeigt sich darin eine derbe Sinnlichkeit, viele Freude am Leben und an der Liebe, viele Lust an der eigenen Stärke und am Kampfe, ganz nach Art des bojoarischen Stammes, in dessen Bereiche wie man schon vor sechshundert Jahren wußte:
Von Streiten redet mehr ein Knecht, dann dreißig anderswo.
Die Heiterkeit thut’s dem Ernste bei weitem zuvor; die Satire ist viel ausgesprochener, als die Empfindsamkeit. Nach allen ältern Schilderungen dieses Thalvolkes muß man annehmen, daß sich unter ihm jenes altgermanische „Wüten,“ jene ungebändigte, kräftige Lebenslust am längsten erhalten habe. Viel mag dazu beigetragen haben, daß das Thal fast seit einem Jahrtausend dem Erzstift Salzburg unterthan gewesen und daß man sich in der fernen Hauptstadt um Sitten und Gebräuche der Zillerthaler wenig kümmerte. Manche Gewohnheit und manches Herkommmen ist jetzt verschwunden, ein Abgang, der viel Charakteristisches vernichtet hat, indessen nicht in jedem Stücke zu bedauern ist, da der Gesittung überall ein Recht über die Rohheit zusteht. Wenn man aber alle Fröhlichkeit und jede erlaubte Lebensfreude in Verruf bringen will, so wird das Volk äußerlich zwar trübseliger werden, aber nicht besser. Die Lustbarkeiten des Ziller- Kirchtages hat man abgeschafft und an die Stelle der „eitlen Weltlust“ soll allenthalben die Ascese treten; aber seitdem der Jugend die Erholung im Thale verboten ist, kommt sie desto häufiger auf den einsamen Berghöfen zusammen, wo bei einem Fäßchen Branntwein wie in der guten alten Zeit die Zither schallt, und tief in die Nacht hinein der heiße Tanz dauert.
Jene Richtung ist übrigens hier noch zu neu, um bereits wesentlich eingewirkt zu haben, und der Zillerthaler ist mit seinem Nachbar im Unterinnthale noch immer der fröhlichste der Tiroler. Seine heitere Laune hat ihn auch als Handschuhhändler allenthalben empfohlen und ist nicht der verächtlichste [575] Theil seines Capitals. Indessen wird selbst diese Anlage den Abnehmern zu Liebe kunstmäßig ausgebildet und mit dieser Ausbildung sind denn auch schrittweise die Anforderungen gestiegen, die man im deutschen Reiche, zumal in seinen nördlichen Gegenden an einen ächten Tiroler macht. Bis aber die zwanzig Tausend Duzend Handschuhe, welche diese Bursche jährlich verschleppen, in schwatzhaftem Kaufe an Mann und Frau gebracht sind, ist auch leicht zu lernen was das Ausland eigentlich prätendirt. Der Zillerthaler gibt sich daher draußen ganz anders als zu Hause, wo er sich zwar frisch, lebendig und nicht schüchtern zeigt, aber höflich, gescheid und schicklich; während er dort den naiven, den quecksilberigen Schalksnarren, den alpenhaft derben Rüpel spielt und zur Beglaubigung seiner Aechtheit auch Jedermann dutzt, was so zu sagen eine Hauptsache ist. Liebhabern solch anmuthiger Vertraulichkeit können wir die Versicherung geben, daß diese improvisirte Bruderschaft nur ein Opfer ist, welches der Handschuhhändler seinem Gewerbe bringt, und daß der Gedutzte allen Grund hat sich zugleich auch für den Gefoppten zu halten. Es ist in ganz Tirol kein Ort mehr, wo nicht schon die reifere Jugend recht gut und fertig mit dem Sie oder doch mit dem Ihr (Es) umzugehen vermöchte. Es wills weder der Curat noch der Schullehrer leiden, daß man sie unehrerbietig dutze, und die Tiroler kehren daher zu diesem primitiven Zustand nur zurück, wenn sie einmal über der Gränze sind. Jeder, der die interessante Bekanntschaft des drolligen Handschuhhändlers auf einem deutschen Markte gemacht, wird sich verwundern, wenn er ihn in seiner Heimath wieder findet, wie er da ohne Aufhebens seinen häuslichen Arbeiten nachgeht. Indessen sind die Erfahrungen, welche in der Fremde gewonnen werden, nicht für alle ganz verloren; es gibt immerhin solche gereiste Schelme, welche beim Erscheinen eines fremden Alpenfreundes sich von freien Stücken in die Airs versetzen, die, wie sie wissen, jener für national hält. Sie beginnen also im tiefsten Frieden mit den Füßen zu stampfen, mit den Fingern zu schnalzen, in die Höhe zu hüpfen, Schnaderhaggen zu singen und idyllische Albernheiten [576] zu schwatzen; sie bieten einem reisenden Gelehrten zu hackeln an oder fragen einen decorirten Hofrath: Magst nicht raufen? Die andern etwa anwesenden Bauernsöhne lachen über den Schalk, während der Fremde zur Besiegelung der neuen Freundschaft gerne eine Halbe setzt. Da nun aber das Zillerthal von allen Seitenthälern Tirols am häufigsten bereist wird, und da die meisten, welche da auftreten, sehr dringende Ansprüche auf derlei Productionen mitbringen, und die Tiroler um jeden Preis in ihrer vermeintlichen wahren Gestalt und Art zu sehen wünschen, so ist es begreiflich, daß der Zillerthaler, welcher auf seine Weltläufigkeit nie verzichtet, dem Fremden sehr gerne „die Augen auswischt,“ wenigstens sich im Stillen freut, wenn der Andre einige ihm allein geweihte Schnurren für die Blüthe sinnigen Alpenlebens ansieht. Weil man aber überdieß schon weiß, daß die Fremden ins Thal nur hereinreisen, um recht liebenswürdig zu seyn, und jede Gnade gewähren, um die man in älplerischer Treuherzigkeit zu bitten versteht, so hat sich allmählich unter Jung und Alt eine Geneigheit zu bitten und zu heischen eingestellt, in der zwar der größere Theil menschenfreundlicher Touristen nur Vertraulichkeit und idyllische Naivetät erblickt, die aber doch näher betrachtet, von der Bettelei, wie sie anderswo vorkommt, mehr durch das Local als ihrer innern Natur nach verschieden ist. Wenn man sich zum Beispiele am Sonntag Morgens etwa zu Zell eine Stelle aussucht, an der die Kirchengänger vorüber müssen, so wird man nicht allein der angenehmen Ueberschau der Andächtigen, der schönen Mädchen mit den spitzigen Hüten und der Goldquaste, der schlanken Buben und kräftigen Mander, sich erfreuen, sondern auch genug Gelegenheit finden, eine Menge von Leuten, jeden Alters und Geschlechts, zu verbinden. Zuerst kommt etwa einer, der dich um eine Pfeife Tabak anspricht und auch für seine Freunde in die Tasche schiebt, dann wird dir einer voll Einfalt anvertrauen, wie er schon das ganze Hochamt über so viel Durst ausgestanden, daß er den festen Glauben habe, der gütige Herr werde ihm ein Seidel Wein zahlen; ein frischer, blondlockiger, rothbackiger, helläugiger Junge nimmt dich bei [577] der Hand und geleitet dich lächelnd zu einer lächelnden Höckerin, wo du ihm Zibebenbrod kaufen sollst; ein anderer bittet sich Birnen aus und andre, die theilnehmend herbeigesprungen, zeigen schmeichelnd auf die schönen Aepfel oder die süßen Zwetschgen, die daneben stehen. Ueberdieß findet sich vielleicht auch ein Mädchen, das sich beim Einblick in die offene Börse erinnert, wie gut ihr eine neue Hutschnur stehen würde, oder eine andre, die ein seidenes Halstuch wünscht. Du wirst allmählich etwas vorsichtiger, und so kann es kommen, daß du einem gebückten Greise, der dich mit dringender Herzlichkeit um ein Frackele Branntwein bittet, deine Hülfe aus dem billigen Grunde versagen mußt, weil du dasselbe Begehren in der letzten Viertelstunde schon einem halben Duzend andrer abgeschlagen hast. – Man sieht indessen, daß man da mit wenig Münze viel Gutes ausrichten kann, und so wird diese zillerthalerische Beutelust allerwärts einer wohlwollenden Beurtheilung um so eher entgegensehen dürfen, als es lediglich der gutmüthige Unverstand der Reisenden ist, was sie herbeigeführt hat.
Endlich wollen wir den Wanderstab wieder weiter setzen, hinüber ins Pinzgau, in die Krimmel, um von dort über den Tauern ins Pusterthal hinabzusteigen.
Eigentlich standen noch zwei nähere Wege offen, um nach Brunecken zu kommen, entweder über die Hundskehl oder das Hörnle, Hochjöcher am Ende einsamer, zuletzt wüster Thäler. Beide zogen weniger an, als der Krimmler Wasserfall und der Tauern mit seinem mystischen, vorzeitlichen Namen, der sich zu allen Zeiten so majestätisch in mein Ohr senkte. Beim Licht betrachtet bedeutet er freilich auch nicht mehr, als ein anderes Joch, nur daß dieß Wort erst da beginnt, wo das Pinzgau anfängt.
Es hatte sich eine gute Gesellschaft zusammengefunden, die desselben Weges war, nämlich zwei sächsische Studenten und ein bayerischer. Alle vier zusammen verließen wir an einem schönen Herbstmorgen das Hauptdorf des Zillerthales und gingen der Gerlos entgegen. Die Gerlos heißt das ganze Hochthal, welches die Verbindung zwischen den Gebieten des [578] Zillers und der Salzach bildet, und hat dasselbe seinen Namen von einem Bache, der aus dem Wildgerlosthale hervorströmt, an dem Dorfe, das nach ihm benannt worden, vorüber läuft, und unter Zell in den Ziller fällt. Auch der siebenthalbtausend Fuß hohe Bergkamm, der über Zell in die Höhe steigt, heißt die Gerloswand. Sie ist berühmt wegen der Mannichfaltigkeit ihres Kräutersegens und daher viel besucht von den Freunden gebirgischer Flora.
So stiegen wir also den Heinzenberg hinan, in dessen Fersen die Goldschachte getrieben sind. Oben, wo die Wallfahrtscapelle steht, genossen wir einer lieblichen Aussicht ins Zillerthal hinunter, die noch eine Zeitlang mit uns ging. Darnach führt ein Bergsteig am Wildbache fort, an vielen einzelnen Häusern und Ställen vorbei, zuweilen in offener Gegend, mehrentheils in enger Schlucht, hinein in die Gerlos, zu dem kleinen Dorfe dieses Namens das wir etwa in der vierten Stunde erreichten. Es liegt in einer zierlichen Hochebene, wo die Wässer ruhig durch die herrlich grünen Wiesen fließen. Von der Gerlos gings durch waldige Wege in den Durlaßboden, gegen die Platte, über welche man in die Krimmel geht. Hier nicht weit von der Höhe steht auf einsamem Grunde eine Sennhütte, aus welcher uns ein fünfter Reisegefährte erwuchs, abermals ein Studiosus, der unter den vorbeischlendernden Wanderern einen Jugendfreund erkannt hatte und nun gleich mit uns ging. So setzten wir zu fünfen unsre Reise fort. Rechter Hand hatten wir jetzt die Einsicht in das öde Wildgerlosthal, aus dessen Schneefeldern die stolze Reichenspitze emporsteigt, in drei Gipfel gespalten. Diese und der Olperer Fußstein zwischen Innerschmirn und dem Zamsthal sind nach des Bergpracticanten M. V. Lipold Angabe die beiden höchsten Spitzen in der östlichen Fernerkette. Staffler legt der erstern 9340 Fuß bei; nach Lipold aber müßte sie gegen 11,000 hoch seyn.