Frau Emma Hellenstainer und ihre Zeit – Der kleine Eduard

Stellwagen-Seppele hatte aus einer aufgelassenen Kapelle ein Altärchen erworben und brachte es heim. Großer Jubel bei den drei Jüngsten! Wo wird es aufgestellt? Nirgends anders, als in der Stragenegg-Stube; die alte Frau steute sich auch darüber. Den ganzen Tag drängte die Arbeit, aber zum Rosenkranz kniete sie sich nieder, „damit ihre allen, armen Augen rasten konnten“. Jetzt konnte sie dies vor dem Altärchen tun. Der kleine Eduard hatte nun viel zu tun, denn es war „aufzurichten“, anzuzünden, abzulöschen, Andachten abzuhalten.

Nur mit den Ministranten war es schlecht bestellt, da waren Luise und Hermann, die sich aber nicht immer dazu herbeiließen. Einmal kam es vor, dass der kleine Pfarrer beim Messelesen auf dreifache Art in Anspruch genommen war: mit einer Hand hob er den Kelch empor, mit der anderen musste er als gleichzeitiger Ministrant läuten und er hätte noch eine dritte gebraucht, um sich die Tränen abzuwischen, die er ob seiner Verlassenheit geweint. Die Messgewänder fertigte Frau Stragenegg aus buntem Papier an. Einmal gab es eine lustige Hochzeit. Der kleine Post-Ferdinand und Luischen vom Schwarzadler wurden getraut. Die kirchliche Zeremonie ging rasch und ohne Zwischenfall von Statten. Das große Hochzeitmahl mit vielen Geladenen wurde im Schmiedanger gehalten. Es gab zuerst eine Suppe aus Zuckerwasser mit Semmelbröcklein, die von allen ausgezeichnet befunden wurde. Darauf kam eine Schüssel mit Salat: Rosenblätter, nudelig geschnitten, mit zerpflückten Stiefmütterchen vermengt, wunderschön. Er wurde herumserviert, aber man fand es zu schade, dieses Schaustück zu zerstören. Darauf kam der Braten: eine Ente, braun und knusperig, nicht größer als eine Nuss, auf goldgerändertem Porzellanteller — leider war dieser leckere Braten aus demselben Material, wie der Teller, noch dazu an diesem angewachsen.

So musste man sich damit begnügen, ihn herumzureichen. Damit man nicht hungrig vom Tische aufstand, gab es noch Kaffee. Die Postmeisterkinder hatten ein Puppenkaffeeservice, welches das ganze Jahr im Glasschrank angestaunt wurde. Heute gab es die Postmama aufs Betteln heraus. Die Kannen wurden gefüllt mit Milch und aufgelöstem Feigenkaffee, der reinste Mokka, wenigstens der Farbe nach. Das Service war für sechs Personen, jedoch die Gäste in doppelter Zahl, aber man richtete es so ein, dass jeder Hochzeitsgast den Genuss eines Schlückchens aus den fingerhutgroßen Tassen haben konnte. Nun meinte einer: „Wir haben ja das Klausemachen vergessen, das muss bei jeder richtigen Hochzeit sein: es müssen dem Brautpaare nach dem Kirchgänge Schranken aufgerichtet werden, wo es sich dann loszukaufen hatte. Wer soll dazu aufgestellt werden?“

Der unternehmungslustige Bräutigam meldet sich nun auch für dieses einträgliche und kurzweilige Amt, obwohl nicht einzusehen war, wie es sich mit seiner Hauptrolle vereinigen ließe; indess man gibt es schließlich zu, doch kommt die Einwendung, der „Klausemacher“ habe maskiert zu sein.

In Ermangelung etwas Passenderem wird dem kleinen Ferdinand ein Weiberrock übergeworfen. Tief gekränkt über eine solche Schmach — er ist aber auch stolz auf seine Höslein — fängt der Hochzeiter an zu weinen und zu zetern, und das Fest, das so schön begonnen, nahm kein harmonisches Ende.

Unser Eduard nahm sich vor, ein Geistlicher zu werden. Aber das Gasthaus? Wie oft hörte er die Mutter seufzen: „Wenn nur Eduard einmal die Jahre hätte, mir die Last abzunehmen!“ Es gab nur einen Ausweg: „Frühmesser werden“. Neben dem Schwarzadler befand sich das Benefiziatenhäuschen, wo der Frühmesser ganz nahe seiner Kirche wohnte. Herr Franz Xaver Maierunterecke hatte dort im Winter um 6 Uhr, Sommerzeit um 5 Uhr die heilige Messe zu lesen. Eduard kalkulierte, dass dieser Beruf sich mit dem des Gastgebers vereinigen ließe, — da konnte er schon wieder beizeiten als Wirt auf seinem Posten sein.

Dieser Herr Meierunterecke muss beschrieben werden: Geboren in St. Laurenzen am 28. Mai 1810, kam er als Studentlein nach Brixen. Es gelang den Seinigen nicht, für ihn mehr als drei Kosttage in der Woche zu erbetteln. Und die übrigen vier Tage? Da war seine Verpflegung dem Zufall anheimgestellt. Entweder war es ein mitleidiger Kamerad, der das Brot mit ihm teille, oder er kam früh genug zu einem warmen Süpplein an der Kapuzinerpforte. Später aber wusste er sich durch Stundengeben über Wasser zu halten. Eine Scheune war sein Quartier.

Seine Eltern lebten mit äußerster Sparsamkeit, alles musste für den Studenten erübrigt werden. Die Mutter kochte, was sich mit Wasser und Mehl herstellen ließ. Aber er hielt aus und wurde am 2. Dezember 1824 (am Tage vor seinem Namensfeste) zum Priester geweiht, kam auf verschiedene Kooperatorenposten und am 1. Juli 1841, zwei Jahre vor Frau Emma, nach Niederdorf.

Manchmal erzählte er von seinen Entbehrungen während des Studiums, wie sehr ihn bisweilen hungerte, und jetzt, schloss er, „wo ich mir alles gönnen könnte, jetzt muss mein Magen verschrumpft sein vom vielen Entbehren, dass ich dies, gute Leben kaum mehr ertrage“. „Das gute Leben“ mit jährlich 600 Gulden! Doch seine Wirtschafterin, das alte „Frühmessmoidele“, wusste das Einkommen zu strecken; half in den Nachbarhäusern gegen kleines Entgelt aus, hielt den „Herre“ zurück, zankte ihn wohl auch gelinde aus, wenn er bei der Tarockpartie abends bei der „Post“ ein „Sechserl“ verlor.

Seine Hauptfreude war das Geigenspiel am Chore, er und Tassenbacher sind durch viele Jahre Primgeiger gewesen — und mit welchem Eifer! Wenn die anderen Musikanten und Sänger beim „Allegro kurioso“ zurückblieben, nicht mehr mitkonnten, wie begann er zu stampfen, in seinem Ungestüme sprang eine Violinsaite nach der andern; unbekümmert entriß er seinem Nebenmanne die Geige und versäumte kaum einige Takte. Der Raum im Chor war beschränkt, die Sopransängerinnen in seiner Nähe waren immer in Gefahr; in seinem Übereifer hatte er einmal der Niederdorfer Primadonna den Hut vom Kopfe gegeigt, indem sich der Fiedelbogen darunter verfing.

Er starb am 30. März 1885, nachdem er vorher noch seine Tüchtigkeit und Beliebtheit als Provisor der verwaisten Pfarrerstelle bewies. Dieses Frühmessbenefizium wurde von einem der Herren von Kurz, die in der Niederdorfer Geschichte eine große Rolle spielen, auf ewige Zeiten gestiftet. Des Stifters Frau war eine „Strieglin“; (die Familie Striegl ist seit 600 Jahren als Niederdorfer Ortsangehörige nachweisbar).

Also der Chor in Niederdorf war zu eng. Andreas Kühbacher vulgo Ringler Anderle, zwar selbst kein Musikus, wohl aber „Gönner“, studierte schon lange am Erweiterungsplane des Chores.

Bei der fidelen Abendgesellschaft im „Schwarzadler“ kam eines Sonntags wieder darauf die Rede. Anderle hatte die ganze Frage schon durchgekopft. Gut, nur Papier und Bleistift her. Er macht den Grundriß, — es will aber nicht gehen, das Papier ist zu klein. Der Uhrmacher Kerschbaumer weiß Rat; er schafft das größte Nudelbrett der Küche zur Stelle. Das genügt. Er bringt seinen Plan mit der Kreide zur Ausführung.

Meine Herren! Unsere Pfarrkirche ist, wie sie wissen, im „byzinatischen“ Stil; folglich muss sich die Emporkirche der „byzinatischen“ Richtung anpassen! „Bravo, recht hat er!“, brüllte es im Chorus, „byzinatisch, nur immerhin byzinatisch“.

Anderle war von Beruf Klempner. In seiner Ringlerstube versammelten sich um die Zeit, wo der Städter ins Café geht, alles was im Dorfe auf Intelligenz Anspruch machte, sogar der Sommergast aus Hamburg, Wilhelm Scholwien, der aus seinen eigenen Schiffen nach Amerika fuhr, zu einem gemütlichen Tratsch. Es wurden wohl auch die Weltereignisse besprochen. Anderle hantierte unterdessen zwischen Topfdeckeln und Gießkannen und Häfen. Weil ihn das Augenlicht schon ziemlich verließ, mussten seine Besucher, meistens Spediteur Josef Mayr, durch die Töpfe nach den Löchern gucken und ihm dieselben bezeichnen, sonst lötete er am Ende daneben und damit wären die Hausfrauen natürlich unzufrieden gewesen.

Autor

Veröffentlicht von josefauer.com

Archivbilder und Genealogie

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

weiter zum Onlinekatalog
Historische Fotos und Ansichtskarten online

Weiter zum Ortsregister

X
Schreiben Sie uns gerne, was Sie suchen. Mehr dazu unter >> Bestellung/Kontakt