von Ludwig Steub
Wenige Fremde gehen von Meran, ohne einen Ausflug nach Passeier gemacht zu haben, zur Heimath Andreas Hofers, des Sandwirths und Obercommandanten von Tirol. Sie ist [347] zu Fuß oder zu Pferde in drei bis vier Stunden zu erreichen. Man geht an der Zenoburg vorbei über Riffian nach Saltaus, einem Edelhofe, der jetzt dem Bürgermeister von Meran gehört. Er ist zum Wirthshaus eingerichtet und der letzte Ort, wo auf dieser Seite die Rebe gezogen wird. Nachher wird der Pfad sehr schmucklos. Die wilde Passer strömt im engen unbebauten Thale; rechts und links sind hohe Berge, auf welchen spärliche Ansiedlungen.
St. Martin, das erste Dorf, das erreicht wird, erfreut sich der Wallfahrt zum rosenfarben Blut, wohin Andreas Hofer laut seines letzten Briefes seinen Seelengottesdienst verordnete. Eine Viertelstunde weiter steht die Wirthschaft „am Sand,“ ein einfaches Haus nach der Landesart, mit einer Laube versehen, mit Scheiben geschmückt und einem Schild, der eine Krone weist und die Namen: Andre von Hofer und Anna von Hofer geb. Ladurner. Neben dran steht ein hölzerner Schopfen, weiter draußen eine Capelle. Die Passer rauscht dran vorbei – mächtige Steinwehren stellen sich ihrem Andrange entgegen. Ein Brunnen sprudelt vor dem Hause, etliche Bäume umsäuseln es.
Wir betreten die Schwelle, die Kellnerin kommt und bringt den Wein, fragt allenfalls auch gesprächsweise, ob wir „des Sandwirths Sachen“ besehen wollen, und wir vertrauen uns ihrer Leitung.
Zuvörderst führt sie uns ins Gemach wo er schlief und seine Frau neben ihm. Die Bettstellen sind noch dieselben. An der Wand hängt das Bleistiftporträt seiner schönen Tochter, die ledigen Standes als Fräulein gestorben. Dort ist ferner der bekannte, auch von Lewald mitgetheilte Brief, den er vor seinem Tode von Mantua aus an den Hrn. von Pichler schrieb. Ade mein schnede Welt, sagt der Sandwirth da – so leicht khomt mir das sterben vor das mir nit die Augen naß werden. Es ist eine gewöhnliche Bauernhandschrift ohne Zittern und ohne Correctur, ruhig und fest, wie er selbst war in der letzten Stunde seines Lebens.
Dann läßt man sich auch neben andern weniger erheblichen Merkwürdigkeiten Hofers Gewand zeigen, sein grünes [348] „Hemd,“ das ist seine Jacke, seine Hosen und seine Hosenträger, seine Sporen und seinen Hut mit den gestickten Worten: Andre Hofer, Obercommandant von Tirol – ein Werk der englischen Fräulein zu Meran; seinen Gürtel der die Anfangsbuchstaben der nämlichen Worte zeigt. Dieses Gewand hat zum letztenmale öffentlich getragen der Schwiegersohn des Sandwirths bei der Huldigung auf Schloß Tirol im Jahre 1838. Sonst hat man immer große Sorge, es vor den Engländern zu hüten, welche verschiedene Summen dafür geboten, auch verstohlener Weise schon manchen Fleck weggeschnitten haben, gleichwie sie in Italien und Griechenland von den Bildsäulen die abgeschlagenen Nasen als Andenken mitzunehmen pflegen.
Und nun öffnen wir auch das rothe in Saffian[WS 1] gebundene „Gedenkbuch,“ welches, laut des Titelblattes, der Familie Hofers durch das theilnehmende Wohlwollen des k. k. Obersten im Infanterie-Regimente Großherzog von Baden, Grafen von Wimpfen, gewidmet worden ist. Man sagt, dieser elegante Denkstein sey von dem Widmer aus Paris verschrieben worden. Eine kurze Schilderung von des Sandwirths Leben und Thaten geht voran. Dieser hat Erzherzog Johann am 30 Jänner 1835 die Worte nachgesetzt:
„Vorstehende Schilderung ist die beste, welche über diesen treuen, edlen Mann voll Einfalt, Redlichkeit und seltener Uneigennützigkeit gemacht wurde. Er war der, welcher sein biederes Land so schön vertrat – er war der Blutzeuge von Tirol.“ – Es ist nicht zu verwundern, daß das Gedenkbuch fleißig benützt wird, um schöne Gedanken abzusetzen. Ich habe es lange durchblättert, gleichwohl nicht viel gefunden, was mich ansprach. Sehr zahlreich kommen darin die Engländer vor und die Tiroler Studenten. Einer von letztern gab als seine Gedanken an dieser Stelle Folgendes:
Ganz nahe an der Passer Strand
Ich Hofers kleines Häuschen fand.
Wohl, dacht’ ich mir, du großer Held,
Dich nennet schier die ganze Welt –
Doch leb’ ich lieber ungenannt,
Als wie gestorben weltbekannt. [349] Ein Engländer, Robert Milman, schrieb folgende Verse ein, vielleicht die besten, die darinnen zu finden:
Stranger, spare the idle sigh –
For the stream gushing by
And the wild wind rushing nigh
And the free and noble eye
Of those for whom thou didst die,
Make the fittest elegy,
Purest son of liberty!
Weiter lesend bemerkte ich aber auch eine bedeutende Verwüstung in dem Gedenkbuch. Mehrere Blätter waren herausgeschnitten und so die Einträge mehrerer Wochen verloren. Maidele erzählte auf Befragen, das sey eine trübselige Geschichte; da sey vor kurzem ein junger Mensch über Nacht geblieben und andern Tages, als er wieder fortgezogen, habe sich in dem Buche ein Gedicht gefunden, ein schönes Gedicht, das den Leuten, die darnach gekommen, sehr gefallen habe. Andere hätten dann noch allerlei eingeschrieben, was zu dem Gedicht gepaßt, aber eines Tages sey ein vornehmer Herr aufgetreten, habe den Landrichter rufen und Alles herausschneiden lassen. Ich fragte neugierig nach dem Inhalt des Gedichts. Maidele wollte anfangs nichts davon wissen, aber allmählich gestand sie mit jungfräulicher Verschämtheit, sie habe auch ihre Freude daran gehabt, und es vom oftmaligen Lesen im Kopfe behalten. Nach längerem Zureden gab sie mir dann folgende Verse an:
Eh’ du zum Tod in Mantua gegangen,
Da schriebst du: Lebe wohl, du schnöde Welt!
So wenig ist mein Herz an dir gehangen.
Daß mir für dich jetzt selbst die Thräne fehlt!
Hast du geahnt, was spätere Tage brachten?
Wie fromm dein Hoffen und wie falsch die Welt –
Wie deine Thaten sie zu Nichte machten
Und deinen Wünschen die Erfüllung fehlt?
Sie nennen dich der Freiheit kühnen Helden
Und singen viel von deiner Siege Ruhm –
Was weiß dein Volk von diesem Sieg zu melden?
O sieh dich nicht nach seinen Früchten um! –
Sie preisen dich ob deiner ächten Treue,
Mit der du starbst, wie du in ihr gelebt. [350]
Was thaten sie, damit dein Volk sich freue
Des schönen Zieles, dem du nachgestrebt?
Sie haben dir ein Wappen angehangen,
Ein stolzes Von dem Namen beigefügt.
Der Freibrief, den dein Thun und Tod verlangen,
Sag’ alter Hofer, sag, wo der jetzt liegt?
Sie haben zu den Fürsten dich begraben,
Du darfst dereinst mit Fürsten auferstehn.
Sie wollen todt dich noch im Auge haben,
Dein Volk nicht, nur die Fürsten sollst du sehn –
– – – –
Ja wohl, Ade du falsche Welt, du schnöde!
Schlaf fest, Andreas, hörst, sie lachen ja,
Sie schelten dich einfältig jetzt und blöde;
Dein Volk vergißt, was es einst that und sah –
– – – –
Du bist kein Held, hast keinen spielen wollen,
Doch du warst fromm und warst dir selbst getreu:
Das ist’s, woran die Deinen denken sollen –
Und dann, Tirol, wirst du vielleicht einst frei.
Später erst hörte ich etwas mehr von dieser trübseligen Geschichte. Das Gedicht stand, vielfach bestaunt, längere Zeit in dem Gedenkbuche, bis der Herr Finanzrath * von Brixen des Weges kam und im Sandwirthshause zukehrte. Er hatte auch sein sechzehnjähriges Töchterchen bei sich, welches als gebildete Tirolerin das Gedenkbuch aufschlug und emsig darin zu lesen anfing. Mitten drinnen rief sie bewundernd aus: Ach Papa, da lies einmal, was das für ein schönes Gedicht ist? Der Herr Vater, der sinnend über dem Weinglase gesessen, nimmt das Buch zur Hand, liest und verliert fast seine ganze Seelenruhe darüber. Das Töchterchen sieht mit Befremden seine Aufregung, hört, wie er nach dem Landrichter schickt, wie sie beide die gewichtigsten Worte wechseln, dann mit rauher Scheere die schlimmen Blätter herausschneiden und einen Eilboten nach Innsbruck entsenden. Der Vater freute sich der erfüllten Pflicht, das Töchterchen aber bedauerte noch lange, daß sie ihr Vergnügen nicht bei sich behalten.
Der jetzige Wirth am Sand ist Andreas Erb, der in erster Ehe mit einer Tochter Hofers vermählt war. Sie starb [351] vor wenigen Jahren. Todt sind auch die drei andern Sandwirths-Töchter, von denen zwei im Thale verheiratet waren, die dritte zu Wien verblich. Dort lebt noch sein Sohn Johann von Hofer, der aber, wie man im Lande sagt, nicht recht gut thut. Des Sandwirths Enkel, Andreas von Hofer, ist im Jahre 1838 mit dem Hofe belehnt worden, den Kaiser Ferdinand angekauft und als landesfürstliches Lehen erklärt hatte. Andreas Erb sitzt jetzt als Pächter darauf.
Ueber den Nachruhm Hofers nur wenige Worte. Was er als volksthümlicher Heros zu seiner Zeit, als rächender Blutzeuge in den Befreiungskriegen gegolten, ist bekannt. Ihn in jener Glorie aufzufassen, will aber den Tirolern in der Gegenwart nur schwer gelingen, schwerer noch den Landleuten, als den Gebildeten. Einmal war sein eigenes Unternehmen fruchtlos – der Landesherr blieb nach dem Kriege derselbe – und ferner entsprach auch der Gang der Dinge nach dem Heimfall an Oesterreich nicht ganz den Hoffnungen, die gehegt worden. So seufzt der Schatten des unglücklichen Helden unter doppelter Verantwortlichkeit – erstens weil er einen Aufstand erhoben, der Gut und Blut seiner Landsleute nutzlos aufzehrte, dann weil er etwas gewollt, was, wenn es die Ereignisse herbeiführten, hinzunehmen war, was aber nicht mit Gewalt hätte erstrebt werden sollen. Die Stunden der Begeisterung sind vergangen – man berechnet jetzt nur die Erfolge. Dieser wegen glaubt man nicht, daß man ihm etwas zu danken habe. So vergißt man gerne „von seinen Tugenden zu reden, von seinem christgläubigen Sterbemuth, von vielem Guten, das an ihm war,“ *)[1] von seiner Milde, setzen wir hinzu, die er gegen die Feinde pflog, von seiner Menschlichkeit im wüthenden Volkskriege, von seiner Redlichkeit und seiner Treue. Man hebt mehr den Sandwirth hervor, der vor Schulden sich nicht mehr anders zu helfen wußte, als eine Rebellion zu machen, der fromm und einfältig nicht bedachte, was er that, der nie einem [352] Rufe hätte folgen sollen, dem er nicht gewachsen war. Solche Ansichten sind verschiedener Fassungen fähig; wir wollen aber nicht zu den grellsten übergehen, keines von den vielen bittern Worten wiederholen, die wir hörten, wenn seines Namens gedacht wurde. Was wir andern in deutschen Schriften an Begeisterung eingesogen für das tirolische Anno Neun, das ist im Lande selbst schwer zu retten vor der kühlen Anschauung der Söhne jener Freiheitskämpfer.
Ueber den Verrath, der an dem treuen Helden verübt worden, waren die Stimmen noch manches Jahr nach seinem Tode sehr getheilt. Daß ihn ein Passeyrer, Namens Johann Raffel, auf seiner Alpenhütte ausgespürt und dann die Franzosen hinaufgeführt – dieß steht fest. Am verlässigsten erscheint jedenfalls die Erzählung seines letzten Schreibers, des Cajetan Sweth, später Staatsbuchhaltungs-Official zu Innsbruck, der mit dem Sandwirth auf der Pfandlerhütte im Drachenwald gefangen und dann mit ihm nach Mantua geführt wurde. Dieser Bericht erschien zum erstenmale veröffentlicht 1832 im österreichischen Archiv für Geschichte und wurde daraus im Tirolerboten desselben Jahres abgedruckt. Die Erzählung bei Lewald beruht auf derselben Quelle, zeigt aber einige unwesentliche Verschiedenheiten. Früher galt, zunächst nach Hormayrs Zeugniß, der Priester Donay als der Anstifter des Verrathes; Sweths Bericht aber läßt ihn aus dem Spiele, und im Lande selbst scheint sein Andenken von diesem Flecken gereinigt. Die Lebensbeschreibung, die dem Hofer-Album im Sandwirthshause vorgesetzt ist, behauptet auch, jener Raffel sey „im Zustande der Trunkenheit – wolle Gott – unfreiwilliger Verräther“ geworden. Wirklich soll er wie man hört im Wirthshause berauscht verrathen haben, daß er den Zufluchtsort des überall gesuchten Obercommandanten wisse. Der damalige Landrichter von Passeyer habe ihm dann zugeredet, diese Kunde bei sich zu behalten – doch sey die Sache ruchtbar und Raffel vermocht worden den Zug in die Alpenhütte hinauf zu führen. Später erhielt er einen kleinen Dienst bei der Mauth zu München – wie er geendet, ist mir nicht bekannt.
[353] Gehen wir vom Sandwirthshause weiter, so erreichen wir bald St. Leonhard, den Hauptort des Thales und Sitz des Landgerichts – ein hübsches baumreiches Dorf mit vielen steinernen Häusern, von der Passer durchrauscht. Im Winkel des Thales, wo der vielbetretene Weg über den Jaufen anhebt, steht die stolze Jaufenburg, aus deren Fenstern man in die von Löwenberg bei Meran sieht. Sie war einmal der Sitz eines ansehnlichen Geschlechts, jetzt wohnt ein Bauer darin. Zur linken Seite, der Passer nach, gelangt man in die innern Schlünde des Thales, die auf den Timmels führen, von welchem man ins Oetzthal niedersteigt.
Um die beiden Dörfer her, um St. Leonhard nämlich und St. Martin sieht man auf den Halden noch mehrere Höfe, die ansehnlicher sind als gemeine Bauernhäuser, ja mitunter sogar wehrhaft und streitbar wie kleine Bergvesten. Dieß sind die Schildhöfe von Passeyer, ursprünglich eilf an der Zahl. Sie waren sämmtlich landesfürstliche Lehen, mit manchen Freiheiten begabt, wofür der jeweilige Lehensträger bei den alten Grafen zum zeitenweisen Hofdienst auf Schloß Tirol verpflichtet war. Ihr Hauptmann war der Herr von Jaufenburg. Jetzt sind die Höfe alle von Bauern bewohnt – zur Erinnerung an den alten Stand erschienen aber die ehrsamen Mannen nach langem Laufe der Zeiten wieder zum Hofdienst und zur Burgwache auf Schloß Tirol im Jahre 1838 an jenem Tage, als der Kaiser Ferdinand in der alten Veste den Enkel des Sandwirths belehnte.
Beim Stroblwirth zu St. Leonhard ist ungefähr die beste Einkehr. Der Wirth, als der Sohn eines der innigsten Vertrauten des Sandwirths, erinnert sich noch an manches Merkwürdige aus jener Zeit. Oben in dem Schlafzimmer, das uns angewiesen worden, betrachteten wir fast überrascht ein älteres Bild, ein lebendiges Schlachtengemälde, darstellend eine riesige Eiche, in deren Aesten Herrmann Balkhe, der deutsche Ordensmeister, ein hölzernes Castell erbaut hatte, welches vor unsern Augen von den heidnischen Preußen belagert, von den deutschen Rittern vertheidigt wurde. Auf derselben Stelle, wo die Eiche gestanden, soll, nach beigeschriebenem [354] Texte, die Stadt gegründet worden seyn, die noch jetzt den Namen Doorn (Thorn) führt. Das Bild ist voll naiver Einzelheiten, voll deutscher Herren, die in ihren weißen schwarzbekreuzten Kriegsmänteln, wie schmetternde Waldvögelein auf den Zweigen der Eiche sitzen und mit Schwert und Streitaxt, Pfeil und Speer die anklimmenden Heiden abwehren. Das wundersame Bild, das uns aus dem Burggrafenamte, aus dem sonnigen Gau an der Etsch, von der Wiege des tirolischen Freiheitshelden hinweg führte in das nebelige Moor- und Waldland an der mitternächtigen Bernsteinküste, von den „Rittern im Lodenhemde“ zu jenen andern im Eisenpanzer – dieses Bild hing, wie man uns sagte, früher im Pfarrhofe und der Pfarrhof gehört seit vielen Jahrhunderten dem deutschen Orden, der zumal auch in der Gegend von Bozen reiche Güter hat.
Die Passeyrer nennen ihr Thal nicht ungerne ein „warmes Ort“ und in der That wird es von den Seitenthälern des deutschen Südtirols das mindeste rauhe seyn. Die Vergleichung der Meereshöhe von Meran, welche zu 1000 Wiener Fuß anzunehmen ist und jener von St. Leonhard, welche wir zu 2192 aufgezeichnet finden, stellt heraus, daß man im Thale um mehr als 1000 Fuß höher steht, als draußen im Lande, und eben so viel beträgt das Gefäll der Passer auf dem kurzen Laufe von vier Wegstunden. Der Mais kommt hier noch gut fort und wenn er eingeerntet, wird auf demselben Felde noch Buchweizen gebaut. Schade nur, daß die tragbare Fläche so gering ist. Als gutes Obst gelten die Passeyrer Kirschen, zu Meran die Bergkirschen genannt, klein, säuerlich und gesund, welche erst auf dem Markte erscheinen, wenn die großen und ansehnlichen, welche an der Etsch wachsen, schon lange vergessen sind. Die Passeyrer Kirschen und die Erstlinge der Meraner Trauben fallen gewöhnlich in dieselbe Zeit.
Das Thal Passeyer als das nächste am Schloß Tirol, dessen Bewachung seinen Mannen übergeben war, welche nebenbei auch zu den nächsten Kämmerern der Gräfin Margaretha und ihrer Nachfolger ernannt waren, es wurde von jeher gewissermaßen als das fürnehmste des Landes angesehen. [355] Der herrliche Clan der Passeyrer, wie ihn Hormayr nennt, hat auch zu allen Zeiten diesem Ansehen zu entsprechen gewußt. Wenn Unordnung im Lande war, wie 1762 im Burggrafenamt, hielten sich diese Thälerer an Gesetz und Ordnung; wenn aber zum heiligen Kriege aufgerufen, wie 1703 und 1809, waren sie kühn und heldenmüthig vor allen. Ihrer wird von Augenzeugen aus letzterem Jahre nach oft gedacht als biederer edler Kämpen, die das Waffenhandwerk nie mißbrauchten, sondern mitten in der Wuth des Bruderkrieges schonend blieben und menschlich. So erzählt auch der bayerische General Bauer von ihrer ruhigen Ergebenheit in den Tod, und es sey kein Beispiel, daß von mehreren, die nach dem Ausspruche des Kriegsgerichtes hingerichtet wurden, einer anders gestorben sey, als mit der größten Standhaftigkeit. Ihre Heldentugend hat sie auch den Frauen theuer gemacht, und die Tirolerinnen sprechen mit Vorliebe von den Söhnen dieses Thales. In Meran habe ich noch ein betagtes Fräulein getroffen, das, so oft von Anno Neun die Rede war, mit Begeisterung zu reden begann von dem edlen und herrlichen Benehmen der Passeyrer, wenn sie auf ihren Kriegsfahrten in die Stadt kamen. Jetzt in der Friedenszeit zeigen sie sich vor allem fromm, andachtslustig, ruhig und ergeben, eher ernst als heiter, dem alten Herkommen unverbrüchlich treu, ein mildes stilles Völklein, leicht zu lenken durch seine Priester und seine Beamten, wenn es ihnen Vertrauen schenkt. Ihr Vortrag ist singend und weich – ein Ton in dem auch der Sandwirth redete – was indessen mit einer derben, gebirglerischen Ausdrucksweise gar nicht unvereinbar ist. Man hat die Passeyrer lange im Verdacht gehabt, als lebe in ihnen noch eine geheime, sonst unter den Bauern ausgestorbene Erinnerung an die alten Landesfreiheiten, eine überlieferte Kenntniß hergebrachter und vor langen Zeiten verbriefter Gerechtsame, eine volksthümliche Wissenschaft vom alttirolischen Staatsrechte, aber das ist in jetziger Zeit wohl eine grundlose Einbildung. Doch hörte ich eines Tages eine witzige Dichtung lesen „den Jahrmarkt zu Imst,“ worin alle deutsch-tirolischen Thalschaften, jede mit ihrem Dialekte, auftreten. Dabei ist [356] insbesondere der Passeyrer nicht vergessen. Das Stück spielt im Spätjahre 1830, wo Europa unruhig war, und der Dichter läßt daher die wohlunterrichteten Innsbrucker behaupten, die tirolischen Jäger müßten nach Wälschland marschiren, was eigentlich gegen die Verabredung. Deßwegen haucht der Poet in Anspielung auf jenen Zug dem Passeyrer folgende Worte ein:
Die Jager aus dem Lande ze thien –
Das möchte gegen unsre Rechte gien?
worauf denn freilich der loyale Höttinger, aus der Vorstadt von Innsbruck, nichts anders entgegnet als:
Du Dott’l, was red’st jetzt da daher!
Da wird man g’wiß enk Passeyrer fragen –
Gegen unsre Rechte ging noch mehr;
Geh’ nunter zum Kaiser und thu di beklagen!
Indessen, wie gesagt, die Passeyrer haben diese schwierige und heikle Wissenschaft nunmehr auch den „bessern Leuten“ überlassen und leben von dem dürftigen Ertrag ihrer engen Feldungen, verarmen aber immer mehr und nehmen auch alle Jahre ab an Seelenzahl. Die Noth drängt sie zu auswärtigem Erwerbe; viele gehen als Kraksenträger Jahr aus Jahr ein über den Jaufen und tragen das Meraner Obst und die Küchelberger Trauben auf den Markt zu München. Selten kehren sie dann wieder, ohne etwas bayerischen Tabak ins Vaterland zu schmuggeln. Andre sind dem Viehhandel ergeben und treiben sich speculirend in Wälschtirol herum. Dieß soll ihnen aber einen Schliff und eine weltliche Pfiffigkeit verleihen, die sie ihren Brüdern in der Heimath sehr unähnlich machen und von all den Tugenden, die man jenen beilegt, will man bei ihnen die wenigsten wieder finden. Einem jungen bildschönen Sohn des Thales begegnete ich einst in den Gassen von München und erhielt auf die Frage, was er da zu thun habe, die bescheidene Antwort: Modell stehen bei den Malern! Die schöne Gestalt der Passeyrer darf auch wirklich nicht unerwähnt bleiben, und hat noch die Anerkennung aller Reisenden gefunden. Ihre Tracht gleicht in den Hauptzügen jener der Bauern um Meran, doch fehlen die farbigen Aufschläge und die rothe Weste vertritt ein breiter, braunlederner, schön [357] ausgeschnittener Hosenträger. Die üblichen Wollhauben der Weiber sind hier kürbisförmig. Ueber die Reinlichkeit in ihren Häusern läßt sich nicht viel besseres sagen, als über die ihrer Nachbarn an der Etsch.