Drei Sommer in Tirol – Das Grödental

von Ludwig Steub

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Das Wildfremde dieser Thäler sowohl in ihren abenteuerlichen Berggestalten, als in der Sprache und der Art der Bewohner übt in neuerer Zeit einen mächtigen Reiz auf wißbegierige Reisende. Ehemals blickte der eilige Romfahrer, wenn er am stolzen Schlosse zu Trostburg vorüberzog, wohl gleichgültig in den engen Bergriß, aus dem der Grödnerbach herausstürzt, ohne zu ahnen, was da Anziehendes dahinter liegt; jetzt aber nimmt sich schon mancher die Mühe hineinzuklettern, um dort für Geognosie oder Ethnographie zu sammeln. Es versteht sich daher von selbst, daß wir den Leser auch dahin führen müssen.

Eines Tages im Augustmonat 1842 zog ich mit einem Gefährten vom Salrainer Wirthshause auf den Ritten fort. Wir stiegen und sprangen in genöthigter Eile den steilen Fußsteig hinunter, der von der Hochebene an der Wand herab nach Atzwang führt. Damit waren wir in einer Stunde wieder aus dem nordischen Pflanzenwuchs und dem kühlen Windzug des Rittens in das Land der Rebe und der Feigen und in die warme südliche Luft der Niederungen gekommen. Und in der That war hier im engen Thale an der Straße eine drückende Hitze und wir betrachteten mit mißgünstigen Augen den jähen Berghang, der gleich über dem Eisack emporstieg, und uns nun wieder gerade so hoch hinaufführen sollte als wir so eben heruntergekommen waren, nämlich in die Hochebene [410] von Vels und Seis, die dem Ritten in gleicher Erhabenheit gegenüber liegt.

So erfreuten wir uns also eine Zeitlang der frischen Kühle in der weiten Stube des Wirthshauses zu Atzwang und gingen dann über die Brücke und stiegen mühselig und keuchend und schweißtriefend den steinigen Bergweg hinan, zuerst noch zwischen Weinbergen, dann durch Getraidefelder und an Höfen vorüber, die zerstreut auf den schiefen Fluren lagen. Hie und da suchten wir nach Wasser, um den brennenden Durst zu löschen, aber ehe nicht die volle Höhe erreicht war, fanden sich nur laue, wenig erfrischende Brunnen. Es ist überhaupt ein Uebel in der Gegend von Bozen, daß das Wasser fast überall lau und schlecht ist. In der Stadt benützt man die Fluthen der Talfer zum Trunke; auf dem Ritten und zumal in den Dörfern an der Straße zwischen Bozen und Meran steht’s damit noch schlimmer. – Endlich standen wir auf der Höhe von Vels, den weißgrauen Schlern über uns, rechts und links Höfe und Dörfer, Wiesen und Felder, auch Wald und Dickicht, und wenn wir uns rückwärts wendeten, so sahen wir, nur durch die tiefe Schlucht des Thalweges getrennt, den weißen Villenhaufen von Klobenstein und das schöne Hochland des Rittens.

An den Ausläufern des Schlernkofels zogen wir hin und kamen in den Hauensteinerwald, aus dem die Burg dieses Namens in zerrissenen Mauern aufragt. Sie war ehedem, als die alten Hauensteiner abgegangen, der Sitz Oswalds von Wolkenstein des jetzt oft genannten ritterlichen Dichters, und hier starb er auch im Jahre 1445, des irdischen Lebens müde. Zu Neustift bei den Chorherren ward er begraben. Sein schöner Denkstein steht im Kreuzgange des Domes zu Brixen. Herr Oswald führte ein unruhiges Leben und hatte zumal viele Feindschaft mit Herzog Friederich, dem Freund der Bauern. Er war bei allen Adelsbünden gegen den Landesherrn und wäre ihm nicht unlieb gewesen, wenn Tirol wieder ans Reich gekommen wäre. Wenn’s ihm daheim zu heiß wurde, ging er auf Reisen und Kriegszüge „gen preußen, littwan, tartarey, türkey, über mer gen frankreich, lampart, yspanien,“ [411] wobei er „frantzöisch, morisch, katlonisch und kastilian, teutzsch, latein, windisch, lampertisch, reuschisch und roman, die zehn sprach“ hat gebraucht. Auch eine Kreuzfahrt ins gelobte Land und einen Zug gegen die Hussiten überstand er glücklich. Einen Lebensabriß des siegreichen Kriegsmannes gab Freiherr von Hormayr im historischen Taschenbuche von 1824. Von seinen Liedern finden sich zwei Sammlungen, die eine aus dem Jahre 1425 zu Wien, die andre von 1432 zu München bei einem seiner Enkel. Letztere ist mit einer, freilich nicht sehr leserlichen Zuschrift von König Sigmund, dessen Rath sich Oswald nannte, an Herzog Friedrich zu Oesterreich versehen. Der Text der Lieder scheint von des Sängers eigener Hand zu seyn. Vorne ist sein gleichzeitiges Bildniß, ein rundes kräftiges Gesicht mit breitem Munde, doppeltem Kinne, einäugig, mit leisen Spuren von Narben um den Mund. Hellbraune Haare in dichtem Wulste umgeben es. Ueber seine Dichterweise und ihren Zusammenhang mit den poetischen Leistungen seiner Zeit fehlt noch eine Arbeit. Auf keinen Fall dürfte es sich herausstellen, daß es passend gewesen, ihn „den großen Geistesverwandten Homers“ zu nennen.

Nicht weit von Hauenstein liegen noch andere gebrochene Burgen, Saleck und Aichach, und ihrer Verwitterung gegenüber recht freundlich anzusehen das Dorf Seis, in weißen steinernen Häusern breit auseinander gelegt. Eine halbe Stunde aufwärts geht nunmehr ein schlängelnder Pfad zwischen Tannenwald unter den Schlernkofel hin, immer näher an seine Vorhörner auf das Bad Ratzes zu, wo wir unsre Nachtherberge nahmen.

Das Ratzeserbad liegt versteckt in einer waldigen Rinne, die der Seiserbach durchströmt. Hinter dem Bade verliert sie sich bald im Hochgebirge. Die nächste Umgebung hat auf ebenem Plane wenig Reiz, in der Höhe ist sie gewaltig und erhaben, denn der Schlern streckt seine himmelhohen Köpfe zum schwindelnden Anblick empor. Ratzes ist übrigens ein sehr besuchter Badeort und ohne Prunk mit allen angemessenen Behaglichkeiten ausgestattet. Zwei anständige Häuschen, mit vielen kleinen Kammern versehen, sind aus Stein erbaut, ein [412] drittes das dahinter steht, ist von Holz. Auch hier ist für ärmere Leute durch mäßigeren Tisch und billigere Herberge besonders gesorgt. Die reichern Gäste führen dasselbe nährende Leben wie zu Ulten, wozu wir den Abendimbiß, dem wir beiwohnten, zum Zeugen nehmen. Vorher wurde in der Badcapelle von einem Geistlichen der Abendsegen gebetet, wobei Reich und Arm erschien. Die frommen Verrichtungen des Tages, an die der Tiroler in der Heimath gewohnt ist, will er auch als Gast im Bade nicht missen. An Priestern hiefür ist selten Mangel, da auch die Geistlichen ihre Sommerfrischen am liebsten in den Bädern zubringen. Auch dießmal waren ihrer etliche sechs an der Tafel und saßen oben auf; dann kamen ein paar Familien aus Bozen, dann die beiden Herren aus Bayern, dann etliche junge Leute uns unbekannter Herkunft – in allem etwa dreißig Personen und eigentlich nur der Rest der Gesellschaft, die im vorigen Monat drei- und viermal zahlreicher gewesen. Durchschnittlich soll in guten Sommern die Gesammtzahl der bessern Leute auf 500 steigen. Der bekannteste darunter ist der Mondscheinwirth von Bozen, der hier schon viele, viele Jahre her seine Sommerfrische hält, und deßwegen auch bei seiner Ankunft mit knallenden Böllern empfangen wird, eine Ehre, um die ihm schon mancher neidig gewesen seyn soll. Nach allem was wir an andern Orten gesagt, ist es wohl überflüssig auch hier wieder von freundlichem Empfang und liebreicher Sorgfalt der Wirthsleute zu sprechen.

Auch der Tirolerbote liegt zu Ratzes auf; sogar ein Ansatz zu einer Badebibliothek ist gemacht und für dichterische Ergießungen, die nicht selten scheinen, steht das Fremdenbuch offen. In diesem fand ich auch eine Aufzeichnung der Meereshöhen verschiedener Orte der Gegend in Wiener Fußen nach Dr. Jos. Oettl. Laut dieser ist die Spitze des Schlernkofels 8720, das Ratzeserbad aber 4161 Fuß über dem mittelländischen Meere. Andere Angaben finden sich im eilften Bändchen der neuen Zeitschrift des Ferdinandeums. Nach diesen wäre der Rücken des Berges 8094, das Bad 3885 über dem Meeresspiegel.

[413] Was das Wasser selbst betrifft, so sprudeln hier zwei Quellen. Die eine davon führt Eisen, die andere Schwefel. Erstere entspringt westwärts eine halbe Stunde ober dem Bade, die andre auf der östlichen Seite in schauerlicher Wildniß. Beide werden durch hölzerne Röhren ins Badehaus geleitet, dort getrunken und in mannichfachen Leiden zu Bädern benützt.

Am andern Morgen stiegen wir auf die Seiser-Alpe. Die Seiser Alpe ist eine ungeheure Wiesenebene, die mit dem Schlern zusammenhängt und gegen Castelruth, gegen Gröden und gegen das Fassathal sich ausstreckt, zehn Stunden im Umfange hat und in dieser Art einzig dasteht in Tirol. Sie hat einen berühmten Namen; zumal in Bozen und auf dem Ritten hörten wir viel Schönes von dieser Alm erzählen, die bei dem Gang auf den Schlern gewöhnlich mit besucht wird. Ihre Höhe ist wechselnd, doch nirgends unter fünfthalbtausend Fuß.

Von Ratzes aus führt ein gepflasterter Saumweg hinauf, angenehm zu gehen, bald durch offene Wiesen, in denen Bauernhöfe stehen, bald durch finstern Wald. In einer Stunde mag man auf der Höhe seyn.

Ehe wir noch das Blachfeld selbst betraten, zeigte sich ein kleiner Tannenschopf am Wege. Bei diesem hielt ein wälscher Knabe aus Fassa Markt, welcher zu Bozen Aprikosen und Birnen eingekauft und dann die schwere Last auf dem Rücken herauf getragen hatte, um an den Mähdern auf der Seiseralm und zufälligen Wanderern sein Gewinnstchen zu machen. Er schien sich zum Nutzen seines Handels die deutsche Sprache schon vorlängst eigen gemacht zu haben und wußte ganz gut damit umzugehen. Wir ehrten seine Betriebsamkeit dadurch, daß wir uns alle Taschen mit seiner Waare füllten, worüber er große Freude und Dankbarkeit zu erkennen gab.

Und nun traten wir auf die Alm, auf die liebliche Alm, die nach allen Seiten leicht hinan stieg, und im Frühthau glänzte stundenweit – eine schöne wellenförmige Fläche, überall [414] mit Schwaigen und Sennhütten bedeckt, hin und wieder durch einen Ansatz von Fichtenhain unterbrochen, überall von unsichtbaren Bächlein durchrieselt, jetzt als zur Zeit der Heuernte weit und breit voll Mähder und Mähderinnen, die in langen Reihen nach einander hinarbeiteten. Von nah und fern umschlossen wilde Berge die grüne Ebene, der Schlernkofel zunächst, der aber hier ein ganz anderes Ansehen hat, da die beiden Wassergüsse den Leib des Unthieres fast völlig verdecken; über das Grödnerthal hin steigen beschneite Dolomiten auf.

Die Seiseralm gehört zumeist den Bauern von Castelruth und ist für sie eine Quelle reichlichen Einkommens. Im August ziehen sie mit allem Hausgesinde herauf, um das Gras zu schneiden. Das rege Leben zu solcher Zeit so hoch oben über den Thälern ist höchst anziehend und belohnt gewiß für den ohnehin sehr bequemen Aufstieg. Wir machten bei einer der Schwaigen eine längere Rast, um dem Mittagmahl der Mähder beizuwohnen. Es fand sich der Herr, ein ansehnlicher Bauer dazu ein, und der Knechte und Mägde waren es etwa ein halbes Duzend. Darunter auch ein Wälscher, d. h. ein Grödner aus St. Christina, noch jung, um nebenher beim Mähen deutsch zu lernen. Bald ließen sich alle zum Tischgebet auf die Knie nieder. Das Essen wurde in großen Schüsseln aufgetragen und auf dem Rasen liegend eingenommen; sehr anständig und unter heiteren Tischgesprächen. Und zur selben Zeit, als sie vor unsrer Schwaige zu Tische saßen, saßen auch nah und fern mehrere hundert Mähder auf dem Rasen, um Mittag zu halten. Die Nahrung muß bei der anstrengenden Arbeit kräftig seyn und daher auch hier, wie im Etschland, fünf Mahlzeiten des Tages. Wenn die Sonne hinuntergesunken, so nimmt man das Abendmahl ein, und dann gehen alle schlafen, das Gesinde in der Dille, nämlich dem Heustadel, wo es im Heu sehr süß und warm sich ruht, der Herr in der Schwaige, wo ihm ein Bett bereitet. Der Bauer, bei dessen Mahl wir saßen, gab gerne Antwort auf unsre Fragen. Von ihm erfuhren wir mancherlei, zum Beispiel, daß der Lohn der verdingten Arbeiter ein Gulden und dreißig [415] Kreuzer ist für die Woche. Ein Hauptreiz der schönen Ernte-Zeit auf der Seiseralm war ehemals das Sonntagessen. Da mußten nämlich dem Feiertage zu Ehren vertragsmäßig verschiedene leckere Gerichte aufgesetzt und dazu nach Bedarf Wein gegeben werden. Dieß Mahl reichen indessen heutzutage nur noch drei oder vier Bauern in Natur wie vor Altem, mit Fleisch und Krapfen und Zubehör; die übrigen zahlen ihren Leuten lieber zwei Zwanziger in Geld dafür.

Nun bestiegen wir auch die Höhe von Puflatsch, am Rande der Alm, wo sie gegen Castelruth abfällt. Allda ist eine erhabene Aussicht über viele Gebiete des mittäglichen Tirols, freilich nur die Hälfte von jener, die auf der Höhe des Schlerns einzuholen ist. Aber die stolzen Nonsberger Gebirge und der Oertles, die Ferner von Oetzthal und von Stubei geben sich die Hand zu einem prächtigen Reigen um das Etschland, und in seinen Tiefen ist der Gang des Stromes weit hin zu verfolgen bis in die blauen Gegenden von Wälschland.

Von Puflatsch geht’s wieder jäh hinab im Runste eines Baches gegen Gröden. Ehe dieß aber erreicht wird, zeigen sich noch weite Feldungen und in diesen liegen am jähen Abhange zerstreut die Häuser von Pufels. Dieß ist auf dieser Seite das erste Dörfchen, wo die kauderwälsche Sprache erklingt, die auf der ganzen Erde Niemand spricht, als die dreitausend schnitzelnden Grödner. Wir hatten uns schon lange im Stillen gefreut, diese Sprache einmal in ihrer Heimath zu belauschen, in ihren eigenen Stuben und an ihrem eigenen Herde, und daher beschlossen wir auch in Pufels eine ausgiebige Rast zu machen und schleunigst noch einige linguistische Studien zu unternehmen, um nicht ganz unvorbereitet in die Hände der fremdzungigen Grödner zu fallen.

Die Häuser sind hier zumeist von Stein, aber mit hölzernen Scheunen vergesellt. Sie waren zu jetziger Jahreszeit auf allen Seiten mit Garben verkleidet, die in eigenen Gestellen an den Wänden hinauf zum Trocknen aufgesetzt waren, und so in der warmen Abendsonne eine goldene [416] Tapetenverkleidung bildeten. Im Dörfchen regierte tiefe Stille und wollte uns fast bedünken, als wenn alles fort wäre, um so mehr als wir auch im Wirthshause die Thüre verschlossen fanden. Doch gelang es uns durch die Scheune einzudringen und auf diesem Wege endlich auch die Wirthin zu erschreien, die im Speicher mit ihren Vorräthen beschäftigt war. Sie sprach deutsch, wie es die Grödnerinnen sprechen, d. h. immer mit einem wälschen Rückhalte und mit großem Anstoß am R. Es wurde ihr eröffnet, daß wir geschwind noch grödnerisch zu lernen gedächten ehe wir ins Thal hinunterstiegen und über diese Absicht, so wie über die Eilfertigkeit, mit welcher wir sie betrieben, fing sie herzlich zu lachen an. Wir blieben gleichwohl fest bei unserm Vorsatze und hielten fürs Beste uns zuerst mit ihrer Bibliothek bekannt zu machen. Wir fragten also, ob sie keine grödnerischen Bücher habe, was sie freundlich bejahte. Sie ging darauf an einen hübschen Schrank und holte ein schönes Buch heraus in schwarzen Saffian mit goldenem Schnitt gebunden. Dieß schlugen wir hastig auf, fanden aber nichts anders, als ein italienisches Gebetbuch, gedruckt zu Trient oder Bassano. Ja, habt ihr denn nicht etwa ein grödnerisches Buch, ein Buch in der Sprache von Gröden? Nein, sagte sie, anders kann man unsre Sprache nicht drucken, als so wie da – mit welchen Worten sie eigentlich ganz in ihrem Rechte war. Nachdem also auf diesem Wege nichts zu erreichen, so versuchten wir’s auf mündlichem und baten sie, uns das Vater Unser zu dictiren. Auch dieß that sie mit großer Bereitwilligkeit, aber wir hörten schon an den ersten Worten, daß hier zu Lande das Gebet des Herrn in italienischer Sprache verrichtet werde und ersparten uns die Mühe es nachzuschreiben. Dagegen fragten wir die Frau, ob sie denn nicht auch grödnerisch zu beten wisse, sie aber antwortete, das grödnerische Vater Unser sey längst abgeschafft und nur einige alte Männer führten’s noch im Munde, die andern beten es alle „klugwälsch.“ *)[1]

[417] Wir sprachen so einige Zeit hin und her ohne sonderliche Ergebnisse für unsre Wißbegierde, bis ihr plötzlich ein Gedanke kam, der unserm Unternehmen sehr förderlich war. Sie lief nämlich in ein Nachbarhaus und brachte einen Jungen mit, einen gescheidt aussehenden Jungen von etwa vierzehn Jahren, mit Namen Johann N. N., den sie uns mit den Worten vorstellte: der kann euch lehren die Sprach’ von Gardena besser als ich. Und in der That war der Knabe dem Geschäfte sehr gewachsen, da er ein Pufelser von Geburt, bei Verwandten in Bozen des Schulbesuchs wegen sich aufhielt, gegenwärtig nur zur Sommerfrische im Geburtsort verweilend, der deutschen Sprache vollkommen mächtig und in grammatischen Dingen wenigstens so weit erfahren war, daß man ihm nicht zu erklären brauchte, was unter Geschlecht und Beugung, unter Gegenwart und halbvergangener Zeit zu verstehen sey. Johann N. N., unser Lehrer, setzte sich also auf einen Stuhl, dem gegenüber wir ein Seidel Wein für ihn aufstellen ließen und somit begannen die Forschungen in der Sprache von Gardena. *)[2]

Unser ernsthaftes Geschäft wurde sehr heiter und unter vielem Lachen betrieben. Der Junge so gut als die Wirthin war Anfangs der Meinung, es liefe alles nur auf einen Spaß hinaus, da sie bis dahin noch von keinem vernünftigen Menschen gehört, der sich im Ernst mit der Grödnersprache beschäftigt hätte. Und wenn’s ihnen schon lustig vorkam, daß wir uns mit diesem Wälsch einen Spaß machen wollten, so schien es ihnen fast noch komischer, als sie sahen, daß es der bitterste Ernst sey. Auch kam es vor, daß wir zu lachen anfingen, wenn der Junge eben aufgehört hatte, denn da er nur das Deutsche schulgerecht zu behandeln wußte, aber das Grödnerische nie von dieser Seite betrachtet hatte, so dünkten [418] ihm oft die einfachsten Dinge räthselhaft und manchmal übersetzte er das, was wir ihm vorgesagt, ganz fehlerhaft, so daß wir selbst als seine Verbesserer auftreten mußten, was ihn öfter ganz verblüfft machte. Indessen kam ihm bald eine Hülfe und uns, da wir den Blick für alles Schöne offen hielten, eine angenehme Augenweide. Wir hatten, nämlich kaum eine Viertelstunde miteinander gearbeitet, als des Knaben Schwester hereintrat, ein Mädchen von sechzehn Jahren und von schöner Gestalt, mit römischem Gesichtsschnitte und feurigen Augen. Sie trug das Köpfchen unverhüllt und die reichen schwarzen Haare waren nach der Landesart in Flechten um die Stirne und Schläfe gelegt, ein zierlicher Reif um das ernste liebliche Gesicht. Ihr Eintritt unterbrach die Forschungen auf eine kleine Weile, aber da wir bemerkten, daß sie darüber roth wurde, fuhren wir wieder emsig fort. Auch dauerte es nicht lange, bis sie näher kam und sich hinter den Stuhl ihres Brudes stellte und abermals über eine kleine Weile fing sie selbst mit an sprachzuforschen. Sie war in Meran in die Schule gegangen, hatte dort etwas deutsche Bildung genossen und zeigte sich bald nicht weniger lehrreich, als ihr Bruder. Insbesondere nahm sie sich des weiblichen Geschlechtes an, das der andere bisher gar nicht berücksichtigt hatte, ja ich glaube, daß gerade diese Vernachlässigung sie gereizt und getrieben hat, sich in der Linguistik zu versuchen. Wir hatten nämlich eben gefragt: Was heißt ich bin gegangen – und darauf hatte Johann geantwortet: ie son git. In diesem Augenblicke aber öffnete sie ihren lieblichen Mund und ließ zum erstenmale ihre süße Stimme erklingen und sagte in schüchterner Weise ergänzend: Und wenn’s ein Weibsbild ischt, so sagt sie: ie son gita.

Nach ein paar Stunden schlossen wir die Untersuchungen, da es Abend werden wollte und noch etwa eine Stunde nach St. Ulrich, dem Grödner Hauptort, vor uns lag. Nachdem wir allen dreien für ihre Bemühungen herzlich Dank gesagt hatten, eilten wir bergabwärts. Oben indessen hatten wir auch gelernt, wie es auf ladinisch lautet; wenn man fragt: wie weit ist es nach St. Ulrich. Dieß heißt also: Dang longsch [419] ie’l pa da tlo fin a Urteschei. Urteschei (Urticotum) ist nämlich der grödnerische Name von St. Ulrich. Diese Phrase übten wir so lange ein, bis wir sie mit voller Geläufigkeit zu Tage bringen konnten. Wir freuten uns aufrichtig als wir alle Schwierigkeiten überwunden hatten, und nahmen uns auch gleich vor, sie bei erster Gelegenheit zu benützen.

Wir waren also kaum etliche hundert Schritte von Pufels entfernt und hatten eben eine zahlreiche Familie bemerkt, die weit drinnen im Felde mit der Gerstenernte beschäftigt war, als wir beide zu gleicher Zeit über die Stoppeln hinriefen: Dang longsch ie’l pa da tlo fin a Urteschei? Kaum waren die rauschenden Worte erklungen, als sich Vater und Mutter und die Kinder, so wie auch die Knechte und die Mägde schleunigst aufrichteten und uns sprachlos anstarrten. Hierauf wiederholten wir den Ruf; aber nunmehr, da sie gewahrt hatten daß wir landesfremde Wanderer seyen, brachen sie alle in ein schallendes Gelächter aus und schrien uns verschiedene Sachen zu, die wir sämmtlich nicht verstanden. Wir ließen uns indessen durch diese Begegnung nicht abschrecken, sondern machten vielmehr gleich wieder einen neuen Versuch. Da traf es sich nämlich, daß wir an einer jähen Halde hinschritten und unter uns im Gerstenfelde einen Mann bemerkten, der gerade langsam gegen uns herauf stieg und eine breite Garbe über dem Haupte trug, so daß er uns nicht ersehen konnte. Wir riefen also wieder: Dang longsch ie’l pa da tlo fin a Urteschei? worauf er laut und vernehmlich sprach: mezza ora. Diesen hatten wir also wirklich berückt und dadurch fanden wir uns reich belohnt für die kurze Mühe, die wir auf die Erlernung des Grödnerischen gewendet hatten; ließen uns auch nicht irre machen, als der Mann bald darauf den Steig betretend, seine Last von sich warf und uns nachrief, er wisse doch daß wir keine Grödner seyen.

Ein Jahr lang hatte ich den Spruch im Kopfe behalten, und als ich zum zweitenmale über Castelrutt ins Grödnerthal ging, und beim Weiler Rungaditsch vorüber kam, fiel er mir wieder ein. Damals sah ich im Vorbeigehen einen Knecht hinten im Heustadel stehen und rief zu deutsch: Wie weit noch [420] nach St. Ulrich? Der Knecht in seinem grödnerischen Hochmuth aber that, als verstände er nichts und arbeitete lautlos fort. Dadurch empfindlich sann ich auf Rache, und als ich noch ein paar Schritte gemacht hatte und das Stadelthor mich verdeckte, rief ich laut: Dang longsch ie’l pa tlo fin a Urteschei? worauf der Knecht wie ein angeschossener Keuler herausstürzte, weil er’s für Teufelsspuk hielt, daß der fremde Pilger, der so eben vorüber gezogen, in der Zunge von Gröden rede. Als er mich nun aber voll stummen Erstaunens betrachtete, sagte ich: Gehe nur wieder hinein, o Knecht, und da du Deutsch verstehst, so warte künftig nicht mehr, bis dich die Fremden in der Sprache von Gröden anreden, welche im gelehrten Deutschland Niemand erlernen kann, weil alle literarischen Hülfsmittel, insbesondere Grammatik und Wörterbücher vollkommen fehlen. – Da der Knecht aus dieser Rede nicht klug werden konnte, so zog er sich ohne ein Wort zu sagen wieder in seinen Heustadel zurück.

O du liebes, kleines, herziges, vielgeschmeicheltes doch unverdorbenes Thal von Gröden, was siehst du so freundlich aus im Abendsonnenstrahl! Weiße kleine Häuschen mit goldenen Fensterchen und weiße große Häuser mit goldenen Fenstern hockten so heimlich auf den grünen Halden herum und zwischen den Wiesen selbst reiften wieder goldene Kornfelder. Und zwischen Wiesen und Kornfeldern rauschte der Bach und über dem Bach, über Häusern, Wiesen und Kornfeldern dunkelte der Wald, und über dem finstern Wald und über der Freundlichkeit des Thales dräuten, obwohl jetzt rosenfarb angeschienen, deine geisterfarben gespenstischen Schrofen, die ja einmal insgesammt vor langen Tagen glühend aus der Erde gefahren seyn sollen. Jetzt sind sie zwar schon seit geraumer Zeit wieder kalt geworden und es verbrennt sich keiner mehr den Finger daran, aber noch stehen sie da wie dazumal und züngeln titanisch-keck gegen den Himmel und strecken ihre erstarrten Nadeln wie zischend in den Aether.

Also angelächelt und angeschauert zogen wir durch eine tiefe Schlucht hinab ins große Dorf der Schnitzler, an dessen ersten Häusern uns ein alter, blinder Bettler auf spanisch um [421] eine Gabe ansprach. Während wir uns darüber verwunderten, begann er englisch zu reden; als wir ihm in diese Sprache folgten, flüchtete er sich ins Französische und aus der Langued’oui ins Italienische und zuletzt sprach er holländisch und deutsch. Das hatte er alles auf seinen Fahrten gelernt, die er in bessern Jahren als Kriegsmann gethan haben wollte. Nicht alle Grödner werden reich in der Fremde und der arme Mann scheint’s nie gewesen zu seyn. Jetzt einmal saß er gerade gegenüber einem hohen Hause, das ein anderer Grödner erbaut hat, der vor einigen Jahren mit Hunderttausenden von Thalern aus Valencia, aus demselben Lande zurückgekehrt ist, in dessen Mundart der arme Lazarus am Wege von den Fremden Almosen heischt.

In St. Ulrich war indessen am Matthäustage den 21 September 1843 großer Markt und Ehehaftstheiding, welch’ letzteres sagen will, daß eine Commission vom k. k. Landgericht zu Castelrutt anwesend war, um die Geschäfte der freiwilligen Gerichtsbarkeit am Orte selbst abzuthun. Dieß Ehehaftstheiding hatte seinen Sitz im Wirthshause zum Rössel aufgeschlagen und arbeitete stets bedrängt von Bauern bis in die Nacht hinein, so daß wir gar keinen der Beamten zu Gesicht bekamen.

Der Markt hatte viele Leute zusammengeführt und im Rössel-Wirthshaus waren alle Bänke voll zechender Grödner, welche viele schweinerne Rippchen und geräucherte Schnitze aus der Küche an sich zogen, und überhaupt viel aufgehen ließen, was den jungen Wirthsleuten schöne Hoffnung für die Zukunft zu geben schien.

Die jungen Wirthsleute bestanden aus einem Grödner und einer Klausnerin, worunter man jedoch nicht etwa ein einsiedlerisches Frauenbild, sondern eine Tochter des kleinen Städtchens Klausen, welches draußen am Eisack liegt, verstehen wolle. Er war ein hübscher junger Mann, der aber seine Wanderjahre zumeist in Italien verlebt hatte und nur gebrochen deutsch sprach, sie war eine schöne Frau, die aber kein Grödnerisch verstand, auch nicht italienisch. Daher mußte auch ihr Gatte alles deutsch mit ihr verhandeln. Es mag eine wehmüthige Empfindung seyn für einen liebenden Ehewirth, [422] wenn er alle die süßen Gefühle der Flitterwochen, die so beredt in seinem Herzen liegen, seiner jungen Gattin nur radebrechend zu erkennen geben kann, so daß sie immer doppelt lächeln muß, einmal selig über den Ausdruck seines liebenden Innern und zugleich auch spöttisch über die jämmerlichen Schnitzer, die in seinen Ergießungen mit aufsprudeln. Die Anwesenden waren übrigens sämmtlich in Feiertagskleidern. Die Tracht der Männer ist nahezu städtisch; die Tracht der Mädchen wenig unterschieden von der am Lande, nur in der Fatzelhaube liegt ein Merkzeichen, denn draußen sieht sie einem Zuckerhute ähnlich, hier aber einer langgezogenen Birne. Sie ist dunkelblau und oben darauf liebäugelt ein hellblauseidenes Schleifchen. Alles sprach grödnerisch, wie sich von selbst versteht, bis auf ein paar fremde Viehhändler, die zum Markte hereingekommen waren.

Die Bildschnitzerei die in diesem stillen Thale viele Jahre lang in größter Heimlichkeit verübt wurde, ist nunmehr eine weltbekannte Sache und wer jetzt den Namen Gröden hört, denkt wohl auch unwillkürlich an geschnitzte Pudel, an liebenswürdige Puppen und fröhliche Hanswurste. Die ersten verlässigen und ausführlichen Nachrichten über die Beschaffenheit des Bergländchens und die Betriebsamkeit seiner Einwohner gab J. Steiner, der Pfleger zu Castelrutt, im zweiten Bande des Sammlers für Geschichte und Statistik von Tirol, der 1807 zu Innsbruck erschien. Diese Mittheilungen sind die Grundlage für alle Anderen geworden, die seitdem über das Grödnerthal geschrieben und nach diesem Herkommen erlauben auch wir uns daraus zu nehmen, was für unsern Zweck ersprießlich scheint.

Vor allem ist also zu wissen, daß der Urheber der Bildschnitzerei in Gröden „und so der größte Wohlthäter seines vaterländischen Thales“ Johann de Mez zu Schuaut bei St. Ulrich geboren wurde. Im Jahre 1703 fing er der Erste an, Bilderrahmen zu schnitzen, und da er mit dem Verdienst zufrieden, richtete er auch seine Söhne und andere junge Leute dazu ab. Die ersten Erzeugnisse dieses Kunstbetriebs waren einfache, halbovale Stäbe, wie sie noch an alten Kupferstichen [423] zu gewahren sind. Allmählich wurden sie etwas verfeinert und nach dem Geschmack der Zeit mit Laub und Muscheln geziert. Als endlich auch dieses Schönste, was bis dahin geleistet worden, aus der Mode kam und den Absatz verlor, begann man Figuren zu Weihnachts-Krippen, Crucifixe, Heiligenbilder und allerlei Spielzeug für Kinder zu schnitzen. Die ersten die dieß versuchten waren die Brüder Martin und Dominik Vinazer, welche zu Venedig einigen Unterricht im Zeichnen genommen hatten und nach ihrer Zurückkunft jene höhere Schnitzerei in Aufnahme brachten.

Nun gewann der Erwerb bald einen weitern Schwung und ungefähr um die Mitte des vorigen Jahrhunderts verbreitete sich die Bildschnitzerei in alle Gemeinden von Gröden. Die Zahl der Schnitzer vermehrte sich in steigender Zunahme und im Jahre 1807 zählte deren Steiner gegen dreihundert. Zu Ammergau im bayerischen Gebirge an der Straße von Partenkirchen nach Schongau, wo derselbe Erwerbzweig schon früher blühte, hörten es gleichwohl die Leute mit Schrecken, daß weit drinnen in Tirol, in einem stillen Thal bei wälschen Hirten die gleiche Liebe zur Holzbildnerei auflebte, und so machten sie sich alsbald auf den Weg und kamen ängstlich hereingewandert, kauften die fertigen Schnitzwaaren auf und machten neue Bestellungen, um sich so wenigstens den Vertrieb zu sichern. Dieß währte indessen nicht lange, denn die Kunst in Gardena verspürte bald, daß sie auf diese Art den größern Theil des Gewinns aus den Händen lasse, und unternahm daher lieber selbst den Versuch, ihre Erzeugnisse im Auslande abzusetzen. Einige, und es waren meist junge, rührige Leute, rüsteten sich und gingen nach Italien, andere zogen nach Spanien und es gelang so gut, daß fast alle diese armen Händler reiche Kaufherren wurden. Und als sie so weit waren, dünkte es sie Verzagtheit, mit ihren Puppen und Hanswursten innerhalb der Säulen des Hercules stehen zu bleiben. In den siebenziger Jahren des letzten Jahrhunderts ließ sich Peter Wellponer in Mexico nieder und später begaben sich andere sogar nach Neu-York und Philadelphia.

[424] Aber die Schnitzwaarenhändler hatten bei ihrer Umsicht im Laufe der Zeit ersehen, daß sich auch in andern Artikeln durch Fleiß und Betriebsamkeit viel gewinnen lasse, und so handelten sie denn bald in allem, was etwas einzubringen versprach. Anfangs hatte dieser erweiterte Verkehr wenig Einfluß auf ihre Verhältnisse zur Heimath, denn die wandernden Hausirer hielten noch lange für gut, von Zeit zu Zeit ins Thal zurückzukehren, und wenn sie im Alter von ihren Land- und Meerfahrten auszuruhen gedachten, so setzten sie sich an den häuslichen Herd auf den Fluren von Gardena und kauften dort die kleinen Landgüter, die wegen der großen Nachfrage auf ungeheure Preise stiegen. Allmählich aber, je mehr sich die Geschäfte ausbreiteten, zeigte sich diese Gewohnheit für den zusammenhängenden Verfolg ihrer Unternehmungen hinderlich und so kam es, daß sich immer mehrere im Auslande für beständig niederließen. So entstanden schon im fünften Jahrzehent des vorigen Jahrhunderts seßhafte Grödner Handlungen zu Pavia, zu Ancona, zu Perugia, zu Neapel und zu Lissabon, deren Häupter nur zuweilen noch in Gröden erschienen, etwa auch aus Eitelkeit, um den Nachbarn zu zeigen, wie sie zu großen Herren aufgeschossen. Die Anzahl dieser auswärtigen Firmen stieg aber in dem Maaße, daß in dem Jahre wo Pfleger Steiner schrieb, deren über einhundertundfünfzig gezählt wurden, die sich in Deutschland, in den Niederlanden, in Italien, Spanien, Portugal und in Amerika aufgethan hatten; ja Steiner bemerkt sogar, das Verzeichniß sey keineswegs vollständig, weil darin mehrere Häuser übergangen, die ehemals in Frankreich geblüht, aber mit dem Ausbruche der Schreckenszeit das unheimliche Land verlassen hatten. Diese Grödner Handlungen übten nun überall den löblichen Gebrauch, nur junge Leute aus der Heimath zu Gehülfen zu verwenden, die dann wieder auf eigene Rechnung sich aufthaten und abermals etliche Jünglinge von Gardena sich verschrieben. Ueberdieß galt auch die Sitte, daß ein Grödner, wo er sey, diesseits oder jenseits des atlantischen Oceans, nur eine Grödnerin heirathen dürfe, und in Anbetracht dieser Umstände äußert denn mehrerwähnter Steiner die Vermuthung, [425] daß zu seiner Zeit die Anzahl der im Heimathlande lebenden Grödner nur ein Drittel des gesammten, aus dem Thale stammenden Volkes betrage, wobei denn nicht zu übersehen, daß auch in Tirol selbst, in Städten, Märkten und Dörfern, eine beträchtliche Anzahl ursprünglich grödnerischer Firmen sich niedergelassen[WS 1] hat.

Was nun die Gegenwart betrifft, so haben sich die Verhältnisse erheblich umgestaltet und die grödnerische Propaganda ist fast ganz verkommen. Der ganze Verschleiß der Schnitzereien liegt jetzt nämlich in den Händen der wenigen Verleger, die alle handelsmäßige Vermittlung mit den auswärtigen Kunden besorgen, während die übrigen zu Hause bleiben. Etliche von diesen Verlegern sind wohlhabende Leute und gehen mit der Zeit voran; sie haben in der Jugend tüchtige Schulbildung genossen und mit den Jahren verschiedene Sprachen gelernt, stehen daher ihren Geschäften mit aller Weisheit vor und bestreben sich, sie so schwunghaft als möglich zu betreiben. Daß dadurch die ehemals freien Schnitzer zu unfreien Fabrikarbeitern heruntergesunken und ganz und gar in die Macht ihrer Brodherren verfallen sind, liegt im natürlichen Gang der Sache. Der allgemeine Wohlstand ist daher zur Zeit sehr herabgekommen, da Schnitzeln so wenig als das nebenher geübte Spitzenklöppeln mehr zu Vermögen hilft und das Grundeigenthum wegen zu großer Bevölkerung ungemein zerstückelt ist. Die Grödner fühlen das auch wohl und wünschen die alten Zeiten zurück, wo man noch in der Jugend auf eigene Faust nach Spanien und Italien wanderte und im Alter als reicher Mercatante in die Heimath zurückkam, um den Rest der Tage in mäßigem, ruhigem Wohlleben auszuschlürfen. Diese Erscheinung ist jetzt sehr selten geworden; die auswärtigen Grödner Herren, zumal jene die schon in der Fremde geboren sind, haben wie die Lechthaler, ihr einsames Thal längst vergessen. Als Ausnahme gilt es daher, daß vor mehr als zehn Jahren jener unbekannte Mann in seinen Fünfzigen aus Spanien kam, sich durch die Sprache als Grödner auswies und ein großes Haus erbaute. Er heirathete schnurstracks ein schönes Grödner Mädchen, zeugte in aller Eile noch [426] zehn Kinder und lebt jetzt als angesehener Familienvater zu Urteschei.

Käme der Fall öfter vor, so würden wohl auch die Grödner dem nicht entgehen, was man von jenen Lechthalern sagt, die aus den Seestädten zurückkehrten, um in ihrem Geburtsort das Leben zu beschließen. Ach, sagte selbst ein Grödner, als diese frühere Sitte belobt werden wollte, was soll man von diesen Menschen denken, die da in Valencia, in Granada, in Neapel, in den schönsten Gegenden der Christenheit gelebt haben und nun ins kalte langweilige Gröden zurückkehren? Ist’s nicht räthselhaft, wenn sich einer von allen lieben Gewohnheiten losmacht, von allen Freunden und Bekannten, um nach Urteschei zu gehen, wo ihn Niemand mehr kennt, um im Alter auf einem Boden, der ihm fremd geworden, traurig und öde den Tod zu erwarten?

Eine Gefahr, die der Schnitzerei von Gröden täglich drohender gegenüber tritt, ist der Mangel an brauchbarem Werkholz. Dazu wurde ehedem ausschließlich die Zirbelkiefer, Pinus cembra, verwendet, die im Grödnerthal in großen Schlägen aufwuchs. Allmählich haben aber die fleißigen Hände ganze Wälder weggeschnitzt und erst als es zu spät war, überzeugte man sich, daß unter der Gestalt dieser kleinen Pudelchen und Pferdchen, der zierlichen Puppen und spaßhaften Hanswurste weite Forste ins Ausland gewandert waren. Jetzt ist große Noth an Holz und die jungen Waldungen die man zur Abhülfe des Mangels wieder künstlich angepflanzt, können nicht recht gedeihen, weil ihnen die Weidegerechtigkeiten immer hindernd im Wege stehen, würden auch erst bei dem langsamen Wuchs des Baumes im nächsten Jahrhundert ausgiebig zu benützen seyn. Für manche Gattung von Schnitzwerk hat man daher schon angefangen, das weniger geschmeidige Fichtenholz zu bearbeiten, allein es bleiben noch immer viele Sorten, die nur aus dem feinen Zirbelholz geschnitten werden können. Dieses wird denn also mit schwerer Mühe aus dem nächstgelegenen Enneberg oder dem Villnößerthale über die Jöcher hergeholt. Schon Steiner ahnte die kommende Gefahr und rieth durch Cultur und Schonung des [427] Zirbelbaumes bei Zeiten vorzukehren, aber seine Warnungen sind unbeachtet geblieben. Auch meint er, es würde zumal dem Oberinnthaler bei der beschränkten Ertragsfähigkeit seines Bodens sehr zu Gutem kommen, wenn er, dessen Wälder so reich an Zirbelbäumen, als Nebenverdienst gleichfalls die Schnitzerei zu Handen nehmen möchte – eine Ansicht, die man nur billigen kann, wenn man betrachtet, wie gerade den Oberinnthaler vor allen Tirolern eine Anlage zu plastischen Künsten auszeichnet. Den jährlichen Ertrag berechnet Steiner in folgender Art: Wöchentlich werden fünf Kisten Schnitzwaaren versendet und der Werth jeder Kiste kann zu 150 fl. angenommen werden; es beträgt also diese jährliche Versendung 39,000 fl. Außerdem wird noch ein Werth von 5000 fl. durch Hausirer abgesetzt und das ganze jährliche Erzeugniß mag daher auf 44,000 fl. geschätzt werden. Da sich nun aber seit 1807 der Handelsbetrieb bedeutend umgestaltet hat, so dürften auch jene Zahlen nur noch annähernde Geltung haben.

Dieses Schnitzeln also beschäftigt in Gröden Mann und Weib. Außerdem hat sich das schwächere Geschlecht noch einen eigenen Verdienst erkundschaftet, nämlich das Spitzenklöppeln, welches von jungen Mädchen, von erwachsenen Frauen und von abgelebten Weibern gleichmäßig betrieben wird. Die Waare ist etwas rauher Art und schickt sich eigentlich nur für das Tiroler Landvolk. Der jährliche Reingewinn, der aus dieser Industrie fließt, wird von Steiner auf 25,000 fl. angeschlagen; möchte aber seit jener Zeit auch wohl eher ab- als zugenommen haben.

Mit den geklöppelten Spitzen nun und mit sonstigem kleinen Zeug, was sie sich unterwegs noch beilegen, insbesondere mit übergebliebenen Resten der Bozner Lager, die ihnen gerne zu mindern Preisen überlassen werden, gehen nun die frommen Grödner Mädchen mutterseelenallein über Berg und Thal im Lande Tirol herum und treiben Handelschaft. Schön wie sie sind haben sie die Männer für sich, und ihr keuscher, ehrenhafter Lebenswandel gewinnt ihnen auch das Zutrauen und die Neigung der Frauen. Dabei haben sie gerade so viele erlaubte Schlauheit, so viel liebliche Geschwätzigkeit und so viele [428] bescheidene Aufdringlichkeit, als zu ihrer Handelschaft nöthig ist. Manche sammeln sich mit der Zeit ein kleines Vermögen, ziehen in die Heimath und vermählen sich da nach ihrer Wahl; andere aber und deren Anzahl ist auch nicht gering, erreicht der Liebesgott auf dem Wege. Ja, manche junge Grödnerin hält oft plötzlich ein junger Mann vom Weiterziehen ab, indem er ihr auf die treuen Augen hin seine Hand reicht, zärtlich bittend, sie möge von ihren Irrfahrten abstehen und lieber sein häuslich Ehebett bereiten. Daher findet man denn weit zerstreut, in deutschen und wälschen Thälern die Frauen von Gröden als Wirthinnen oder Krämerinnen, fast immer in hohem Ansehen. „Sie ist eine Grödnerin“ hört man oft von Stadt- und Landleuten mit einem Ausdruck sagen, als enthalte dieses Wort alles, was sich von Treue, Ehrenhaftigkeit und löblichem Wesen einer Hausfrau berichten läßt. Nicht ganz so hoch stellt der deutsche Nachbar die Männer von Gröden. Er läßt ihnen zwar die Ehre des Fleißes, der Sparsamkeit, der Anlage für Handelschaft, behauptet aber, in allem andern, was nicht in diese einschlage, sey der Grödner beschränkten Verstandes, sein Ideenkreis sehr enge, sein Bildungstrieb sehr kümmerlich. Bei solchen Urtheilen dürfen uns vielleicht die Engländer einfallen, von denen man ja auch gesagt hat, sie seyen nicht geistreich, brächten aber zu allen Dingen die sie unternehmen gerade so viel Verstand auf, als sie dazu brauchten.

Am selbigen St. Matthäustage war also Markt, aber da es schon Abend geworden, so hatte der Handelsverkehr bereits aufgehört. Auf einem freien Platze, etwas oberhalb der großen Pfarrkirche, in welcher eine Muttergottes, angeblich von Canova, da fanden wir noch einige Krämerstände, um welche sich etlich müßiges Volk drehte. Dabei war nicht viel zu beobachten und wir suchten daher eine berühmte Schnitzlerin auf, die in einer kleinen hölzernen Hütte nicht weit vom Marktplatze wohnt. Es ist eine Frau in mittleren Jahren, mit mehreren Kindern gesegnet, wahrscheinlich eine Wittwe, denn von ihrem Manne war nicht die Rede. Auf einem schmalen Tischchen lagen ein halbes hundert Schneid- und Stemmeisen [429] und dazwischen zahllose Holzpflöckchen, wovon die einen noch ganz unbearbeitet, die andern schon vorbereitlich zugeschnitten waren. Es überraschte uns, wie da mit wenigen kühnen Zügen schon das Naturell der künftigen Bestie so trefflich angedeutet war – wie der aufwartende Pudel, der schleichende Fuchs, der kampfgierige Löwe, zwar noch roh, aber doch so lebhaft sich darstellten. Auch die Auswahl war sehr groß, denn es fanden sich fast alle weltläufigen Quadrupeden, zahme und wilde, auf dem Tischchen. Wir verlangten nun einen Hund geschnitzelt zu sehen und kaum hatten wir’s ausgesprochen, als sich die Frau niedersetzte, nach einem Blöckchen griff, in dem der treue Pudel schon leibte und lebte und nun ihre Messer arbeiten ließ, immer wechselnd zwischen großen und kleinen, spitzigen und runden. Dabei begrüßte sie das der Vollendung entgegenreifende Werk mit einem leisen Monologe und lispelte in unbewußter Sprachmengerei deutsch, italienisch und grödnerisch durcheinander. Nach einigen Minuten war der Pudel fertig und kostete einen Kreuzer.

Die Frau schien übrigens mit glücklichen Anlagen begabt zu seyn, denn sie hatte erst vor vier Jahren zu schnitzeln begonnen und war darin so weit gekommen, als irgend Jemand im Thale. Und während die andern Nachbarn Jahr aus Jahr ein das Nämliche schnitzeln, ja die meisten ihr ganzes Leben nur immer dieselbe Gattung von Figuren liefern, hat sie sich neue Bahnen gebrochen und schon verschiedene gute Ideen ausgeführt. So z. B. schnitzelt sie alle Tiroler Volkstrachten, wie sie jetzt noch in alterthümlicher Pracht bei Hochzeiten erscheinen, recht nett und zierlich; färbt sie auch sehr fleißig, so daß sie höchst niedlich in die Augen fallen. Die Figürchen haben guten Absatz und deßwegen sahen wir auch gerade nur drei Muster vorhanden, die Tracht von Pusterthal, von Zillerthal und von Gröden. Ich kaufte mir einen Pusterer in seiner würdigen schwarzen Hochzeitjacke und eine Pusterin in dem faltenreichen gelben Rock und habe sie auch beide unversehrt nach Hause gebracht. Mein Brautpaar kostete mich übrigens nicht mehr als zehn Kreuzer.

[430] Lieber wäre es der Künstlerin freilich gewesen, wenn wir einen von den beiden Kaisern gekauft hätten, die sie als ihr Meisterstück vorzeigt, entweder den Kaiser Ferdinand oder den Kaiser Napoleon. Diese gehörten zu jener feinern Gattung von Schnitzereien, die mit 5–10 Gulden bezahlt werden. Es sind ungefärbte Figuren, etwa einen halben Schuh hoch, in denen die Zeichnung zwar hie und da etwas mangelhaft ist, die Ausführung jedoch in den kleinen Einzelheiten ungemein viel Fleiß und Geschick verräth. Gleichwohl hatten wir billige Zweifel, ob die Schnitzlerin der Imperatoren ihre Mühe belohnt erhalten werde; denn der eigentliche Habitus war weder beim einen noch beim andern getroffen. Napoleon hatte zu viel von Ferdinand und Ferdinand zu viel von Napoleon, ja eigentlich unterschieden sie sich nur durch die Uniform, und auch da hat der Frau für den großen Corsen nicht der Mann mit dem grauen Ueberrock und dem kleinen Hütchen vor Augen geschwebt, sondern etwa der Consul Bonaparte, wie er in der Schlacht bei Marengo[WS 2] befehligte. Das that uns alles sehr Leid, denn die Schnitzlerin glaubte in ihren Kaisern das Höchste geleistet zu haben und hoffte, sie recht theuer an den Mann zu bringen.

Von da gingen wir in ein anderes Schnitzlerhaus, wo drei alte Leute, zwei Männer und ein Weib arbeitend beisammen saßen. Das Weib, das vierundachtzig Jahre zählte, schnitzte noch rüstig und machte sehenswerthe Hunde; die beiden andern verfertigten stereotype Hähne. Alle drei hatten vom langen Schnitzlerleben tiefe Narben an den Händen, denn bei aller Gewandtheit fährt doch mancher Stich ins Fleisch, und einer von den Greisen hatte sich in frühern Jahren sogar einen Finger weggeschnitzt. Hier wie in andern Häusern, in die wir vorübergehend Blicke warfen, waren ganze Haufen solcher Spielsachen aufgeschüttet, und wie man im Obstlande zur Herbstzeit alle Räume voll Körbe siebt, in denen die rothbackigen Aepfel und die grünen Birnen und andre süße Früchte aufgestapelt worden, so standen auch hier überall die Körbe herum mit vierfüßigen Thieren, mit Vögeln, Menschen, [431] kurz mit all den kleinen Freuden, die die Wonne unsrer Kinderstuben sind.

Endlich besuchten wir auch einen der Verleger, Herr Burger, der in einem schönen freundlichen Hause Wohnung und Schnitzwaarenlager hält. Hier sahen wir, was wir bisher nur in Körben gewahrt, in ganzen Gemächern zu vielen Tausenden aufgespeichert oder auf lange Rahmen gestellt. Wir meinten, es würde wohl einige Zeit hergehen bis dieß alles unter die Kinder dieser Welt vertheilt sey, Herr Burger aber sagte, das leere sich oft in wenigen Tagen durch ein paar Versendungen und gerade in diesem Jahre sey die Nachfrage so groß, daß aller Fleiß der Schnitzler kaum hinreiche sie zu befriedigen. In einer der Vorrathskammern standen große halbmannshohe und noch höhere Heiligengestalten, die für Kirchen und Capellen geschnitzt werden. Die Taxirung dieser Figuren ist überraschend einfach. Herr Burger legt seinen Maßstab an, nimmt die Zolle ab und sagt auf der Stelle bei Groschen und Kreuzer, was der Heilige werth ist. Sie sind ziemlich wohlfeil – um etliche Kronenthaler kann man schon einen recht anständigen Schutzpatron mit nach Hause tragen. Zu bemerken ist übrigens, daß sie unbemalt sind und die Kosten für die nachgängige Malerei und Vergoldung übertreffen die der Schnitzarbeit ums Doppelte und Dreifache.

Zuletzt zeigte man uns eine Sammlung von feinen Figuren, wie die beiden Kaiser bei der Schnitzlerin waren, von jenen künstlichen Arbeiten, die gleichsam die Cabinetsstücke der Grödner Schnitzlerei ausmachen. Die einfachen Bergleute speculiren dabei auf die Sympathien aller Nationen. Für den Landsmann gibt’s hier einen Kaiser Ferdinand und Kaiser Franz, für die Engländer eine Königin Victoria, für die Franzosen einen Napoleon und Herzog von Reichstadt; den Preußen wird ein alter Fritz geboten und den auswärtigen engern Freunden des tapfern Tirolervolks ein Andreas Hofer.

Auch Pfeifenstopfer und Nadelbüchsen werden gemacht, auf deren Kuppe sich eine liebliche Sennin oder ein herzhafter Gemsenjäger oder sonst eine hübsche Figur zeigt. Alle diese Arbeiten stehen in hohem Preise und werden bis zu eilf Gulden [432] und darüber bezahlt. Die hochbüstige Königin von England mit Talar, Krone und Scepter, gerade wie ich sie das Jahr zuvor bei Herrn Lang in Ammergau gesehen, brachte mich zu der Frage, wie diese Uebereinstimmung zu erklären sey, worauf mir der Verleger sagte, die Leute von Ammergau hätten in der Erfindung etwas Weniges voraus und das, was sie neu an den Tag gefördert, werde jeweils beschickt, um hier nachgeschnitzt zu werden. Mir schien, als wenn die Grödner hinter ihren Vorbildern an Fleiß und Schönheit der Arbeit nicht zurückblieben, obgleich sie diese Nachahmungen etwas billiger ablassen.

Die Schnitzkunst in Gröden, so gut wie die der Ammergauer und der Berchtesgadener, bewegt sich übrigens noch völlig in den Traditionen des vorigen Jahrhunderts und die Ornamentik zumal hält sich ganz im Style der Zopfzeit. Denen, die sich zuerst schönerer Formen bemeistern, seyen es nun die Grödner, die Ammergauer oder die Berchtesgadener, darf man wohl unbedenklich einen weiten Vorsprung vor ihren Nebenbuhlern weissagen. Es ist kaum ohne solche Rücksicht geschehen, daß Kaiser Franz im Jahre 1821 eine Zeichnungsschule in Gröden zu errichten beschloß. Damals wurde Jacob Sotriffer von St. Ulrich, ein begabter Jüngling, nach Wien gesandt, um sich dort in den zeichnenden Künsten auszubilden. Durch Anlage und Fleiß brachte er’s dahin, daß er im Jahre 1824 wieder ins Thal zurückkehren konnte, wornach denn auch bald die Zeichnungsschule eröffnet wurde. Das gleiche Bedürfniß hat, obwohl erst vor einigen Jahren, in Ammergau zu Eröffnung einer solchen Schule geführt. Der Einfluß dieser Anstalten wird sich aber immer nur sehr allmählich bemerklich machen, da die erwachsenen Leute alle ihre Muster schon so fest im Kopfe und alle ihre Schnitte so sicher in der Hand haben, daß sie von der alten Uebung nicht mehr abzubringen sind. Eben wegen dieses handwerksmäßigen Betriebes sind denn auch aus den Schnitzern von Gröden noch keine Meister in plastischen Künsten hervorgegangen. Eine Ausnahme macht etwa die Familie Vinazer, deren Mitglieder während des vorigen [433] Jahrhunderts in Spanien und zu Wien als Bildner rühmlich aufgetreten sind.

Die Sprache der Grödner hat schon zu mancher seltsamen Hypothese Veranlassung gegeben. Freiherr von Hormayr in der Geschichte der gefürsteten Grafschaft Tirol erwähnte zuerst ausführlicher dieses Idioms, und lieferte damals auch ein Vocabular. Doch ist der Gegenstand nur erst sehr flüchtig behandelt und die angeblich grödnerischen Wörter sind nicht aus der Sprache von Gardena, sondern aus der der Abtei genommen, welche Abtei, oder nach dem Idiome des Landes Badia, jenseits der Berge im hintern Theile von Enneberg liegt. Er meint auch, selbe Sprache habe weder mit dem Deutschen, noch mit dem Italienischen eine Aehnlichkeit, während doch die Verwandtschaft mit letzterem beim ersten Blick in die Augen springt. Anziehend ist nebenbei die Nachricht, daß der Rechtsgelehrte Bartolomei aus Pergine ein ähnliches Verzeichniß grödnerischer Wörter der berühmten etruskischen Akademie zu Cortona mitgetheilt und diese in der Sprache der Grödner die alttuskische und sogar assyrische, hebräische und was sehr begreiflich sey, griechische Stammsylben zu finden geglaubt hat.

Säuberlicher ist Pfleger Steiner mit dieser Sprache umgegangen und zwar in demselben lehrreichen Aufsatze, den wir oben schon angeführt haben. Er konnte in seiner Unbefangenheit die nahe Verwandtschaft mit dem Italienischen nicht verkennen, doch gelang es ihm andrerseits auch nicht, sich der Wiederholung jener Hypothesen zu enthalten, die den Gelehrten, welche an der Tiber und in Deutschland über den räthselhaften Schriften der alten Tusker verzweifelnd saßen, eine Fata Morgana vorspiegeln, die bei näherem Herantreten lügenhaft verschwimmt. Warum, sagt er, sollten wir nicht das Völkchen der Grödner für Abkömmlinge und Ueberbleibsel des alten Volkes der Rhätier und ihre Sprache für einen freilich nicht unverdorbenen Dialekt der rhätischen Sprache halten? In dem von jeder Heerstraße abgelegenen Gröden konnte sie sich um so leichter erhalten, als dieß Thal wahrscheinlich noch nie von fremden Kriegsvölkern überzogen worden ist.

[434] Dasselbe was J. Steiner, der Pfleger von Castelruth, für die Sprache seiner ladinischen Gerichtsholden gethan, unternahm später J. Th. Haller, der gewesene Landrichter zu St. Vigil, für das Idiom der Enneberger. Seine lehrreiche, obgleich ohne tiefere linguistische Einsicht geschriebene Arbeit findet sich im sechsten und siebenten Band der Beiträge zur Geschichte, Statistik, Naturkunde und Kunst von Tirol und Vorarlberg. Der Landrichter von Enneberg verfolgt die Bahn des Pflegers von Castelruth; er findet in der Abschleifung der ladinischen Mundarten das Anzeichen eines uralten Ursprungs, glaubt daß die Enneberger und Grödner, als rhätischer Herkunft und Stammgenossenschaft, sich einer Sprache zu rühmen haben, die im Wesentlichen die Sprache ihrer Urväter, der alten Rhätier, tusko-tyrrhenischen Stammes seyn und im Alterthum vor allen Sprachen lateinischen Ursprungs den Vorzug gehabt haben dürfte.

Uebrigens muß hier erwähnt werden, daß der Wahn, die alte Sprache der Tusker lebe noch im rhätischen Hochgebirge, von Graubünden ausging. Die alte Geschichte vom Heerführer Rhätus, die bei Plinius zu lesen, wie derselbe nämlich, als die Gallier in Italien einfielen, mit den Etruskern, welche an den Ufern des Padus wohnten, flüchtig in die Alpen gezogen und so dem rhätischen Volke zu einem Anfange verholfen, diese Geschichte hat in Hohen Rhätien eine freundliche Aufnahme und fruchtbaren Boden gefunden und war dort zu jeder Zeit weit volksthümlicher als in Tirol. Viele bündnerische Adelsgeschlechter versahen sich mit Stammbäumen, die in ununterbrochener Folge auf einen etruskischen Lucumo zurückgingen; man suchte die Orte aus, die mit etrurischen Städten dem Laute nach verschwistert schienen, nannte das Idiom, das die Romanschen reden, l’ antiquissm linguaig de l’ aulta Rhaetia. hielt dieß für dieselbe Sprache, worin der tuscische Augur den Flug der Vögel deutete und „die Welt von Rom Gesetze empfing.“ Derlei Ansichten ließen denn auch ernsthafte Historiker gelten und viele Zweifler mag es seiner Zeit beschwichtigt haben, als sogar Johannes von Müller offen aussprach: die Nachkommen der Rhätier erhalten seit [435] dritthalbtausend Jahren den Grundcharakter ihrer Sprache.*)[3] Da nun die Mundarten von Gröden und Enneberg den romanischen Idiomen im Engadein und am Vorderrhein sehr ähnlich sind, so war es eine nothwendige Folge, daß von gelehrten Tirolern die Weihe ungeheuern Alterthums auch diesen Idiomen ertheilt und bei guter Gelegenheit sie eben so als ein Ueberbleibsel der alten etruskischen Sprache hervorgehoben wurden.

Je mehr sich nun in den letzten Decennien die deutschen Philologen, welche die Urgeschichte Italiens bearbeiteten, mit den etruskischen Räthseln beschäftigten, desto gespannter wurde ihre Aufmerksamkeit auf diese verschiedenen Alpensprachen, die man in langer Tradition als die Töchter, daher wohl als die Schlüssel zu jener mit sieben Schlössern verriegelten Sprache des alten Etruriens zu betrachten gewohnt war. Niebuhr ging daher, als er seine römische Geschichte schrieb, nicht achtlos an dem Ladin von Gröden vorüber, allein er bestärkte nur die alte schwindlige Ansicht. Später nahm auch Ottfried Müller mit großer Erwartung Hormayrs Geschichte Tirols zur Hand, allein die Sprache der Grödner, die er daraus kennen lernte, schien ihm nicht so fast tuskisch, als vielmehr ein französischer Jargon zu seyn. So blieb ihm nur der Wunsch, es möge die Hoffnung nicht unerfüllt bleiben, daß in irgend einem Thale Graubündens oder Tirols ein Rest der alten rhätischen Sprache entdeckt und zum Schlüssel werden könnte zur Entzifferung tuskischer Schriftdenkmäler. Bis zu seiner Zeit schien indeß noch kein Dialekt bezeichnet zu seyn, an dem man Versuche der Art mit Aussicht auf guten Erfolg anstellen dürfte. Die Hoffnung als so weit gehend ist wie uns bedünkt vernichtet; denn wenn sich auch eine kleine Anzahl jetzt noch unbestimmbarer Wörter in dem Vorrath der [436] ladinischen Mundarten findet, und wir uns daher erlauben, die Aufmerksamkeit des sprachforschenden Lesers auf das lexikalisch Fremde in jenen Idiomen zu richten, so glauben wir doch nicht, daß sich diese verlornen, vielleicht rhätischen Wasseräderchen zu einer Quelle vereinigen werden, die ein ausgiebiges Schöpfen zuließe. Andere unbekannte Idiome aber sind in den Alpen nicht mehr aufzufinden.

Weil sich die Thäler von Gröden und Enneberg gegen das deutsche Sprachgebiet hin öffnen, so wollten schon manche ihren Romanismus befremdlich finden. Wenn man für die italienischen Gegenden Südtirols das Theokritische: Δωρίσδεν δ`ἔξεστι, δοκῶ, τοῖς Δωριέεσσιν, gelten ließ, so schien man dagegen den Grödnern das Postulat zu stellen, sie hätten eigentlich von Rechtswegen deutsch zu reden und ihre Wälschheit könne also nur auf künstlichem Wege erklärt werden. Man behauptete daher, ihre Urväter seyen Flüchtlinge aus den römischen Mansionen am Eisack und im Pusterthale gewesen, die sich bei der Völkerwanderung in diese Berge gerettet, oder sie stammten von militärischen Colonien her, welche die Römer zur Verbindung jener festen Plätze in diese Thäler geführt. Uns scheint nun die eine dieser Hypothesen so unnöthig wie die andere. Als nämlich die Römer Rhätien unterjocht hatten, ließen sie sich in dem eroberten Gebirgslande in eben dem Maße nieder, wie in andern besiegten Ländern, und in wenig Jahrhunderten war ihre Sprache, wie in Spanien und Gallien, zur allgemeinen erhoben. Als die Deutschen in das Land drangen, setzten sie sich zunächst nur in der Thalsohle, an den Straßen fest, die ihre Verbindung mit Italien sichern mußten, und an diesen Heerwegen war es zuverlässig, wo auch zuerst die deutsche Sprache Wurzel faßte. Was nicht auf diesem ihrem Zuge lag, widerstand der Germanisirung gewiß noch lange Zeit, und es sind vielleicht noch keine siebenhundert Jahre, daß auf den Höhen des Brenners und an jenen die dem Eisack entlang an Brixen vorbei nach Bozen zu laufen, romanisch gesprochen wurde. Auf den Halden von Gufidaun, im Thale von Lüsen und Villnöß und an der Mündung des Grödnerthales bis hinab nach Vels geschah dieß wohl noch in bedeutend [437] jüngerer Zeit. *)[4] Nebenbei können wir uns auch auf das beziehen, was wir im Vorarlberg, im Oberinnthal und im Vintschgau von solchen Dingen gesagt. Daraus geht denn hervor, daß zu einer Zeit, wenn nicht in allen, doch in den meisten Thälern des dicht bevölkerten Rhätiens romanisch gesprochen wurde und so haben sich also die Thäler von Gröden und Enneberg, die jetzt allerdings als die äußersten Vorposten wälscher Zunge erscheinen, in jenen Jahrhunderten nicht am Rande, sondern mitten im Herzen des romanischen Sprachgebiets befunden. Demnach waren sie also auch zu besagter Zeit in durchaus gleichen Verhältnissen mit der übrigen rhätischen Bevölkerung, standen den Römern gerade so ferne oder so nahe, als diese, und deßwegen erscheinen uns denn auch alle Voraussetzungen, die sie in eine engere ausnahmsweise Beziehung zum ehemals herrschenden Volke bringen wollen, als grundlos.

[438] Unsrer Meinung nach sind also die Grödner und die Enneberger wie die Romanschen in Graubünden Abkömmlinge der alten Rhätier, welche Urahnen zu ihrer Zeit lateinisch gelernt und diese Sprache zu weiterer Verarbeitung ihren Enkeln hinterlassen haben. Daß diese damit nun nicht gerade ganz aufs Italienische hinausgekommen sind, ist auch nicht schwer zu erklären. Beide Thäler sind nämlich von den angränzenden italienischen Landschaften durch hohe Jöcher geschieden, und da diese immer wälschen Herren gehorchten, so standen jene, welche deutschen Dynasten untergeben waren, auch in keiner politischen Verbindung mit Italien. Das Deutsche aber konnte wegen der specifischen Verschiedenheit des Idioms ohnedem kein bildendes Element der Sprache werden, wenigstens nicht mehr, als es, wenn die in neuerer Zeit wieder bestrittene Ansicht sich halten läßt, überhaupt auf die Gestaltung der romanischen Sprachen gewirkt hat.

Daß viele deutsche Wörter aufgenommen worden, wie denn das Wort für die Hauptbeschäftigung des Grödners selbst ein deutsches ist, nämlich snizlé, dieß ändert nichts an der Sache. Auch darf es nicht auffallen, daß sich einzelne lateinische Wörter vorfinden, welche im Italienischen untergegangen sind, denn bekanntlich haben auch die romanischen Schriftsprachen nicht mit gleicher Wachsamkeit über dem ihnen ursprünglich anvertrauten Wörtervorrath gewaltet, so daß das Spanische und Französische manche lateinische Etyma bewahrte, welche das Italienische außer Uebung kommen ließ und umgekehrt. Manche Erscheinungen, welche Ottfried Müller veranlaßten, von einem französischen Jargon zu sprechen, kommen in den oberitalienischen Dialekten ebenfalls vor und sind überhaupt der ganzen Familie der nordromanischen Idiome eigen. *)[5]

[439] Wie ihre Sprache nun aber auch klingen mag, die Grödner lieben sie mit inniger Neigung. Es ist auch nicht nur [440] Gewohnheit, was sie ihnen werth macht, sondern die lebendige Ueberzeugung, daß sie in ihr ein großes Gut besitzen. Wir [441] haben oben erzählt, daß der Zug der Grödner, als sie zu wandern begannen, anfangs in romanische Länder ging, nach Italien und Spanien. In diesen Ländern war es, wo den rührigen Aelplern zuerst die Anschauung wurde, welch vorzügliches Idiom ihnen das Heimathsthal mit auf die Reise gegeben. In wenigen Wochen waren sie im Stande zu Neapel und zu Cadix sich verständlich zu machen und andre zu verstehen, und daher wurzelte denn auch die hohe Meinung von der Verwendbarkeit ihres seltsamen Jargons für den Handel. Außerdem lag in ihm noch die Möglichkeit, sich in fremden Ländern am offenen Zechtische Dinge mitzutheilen, die sonst Niemand verstehen sollte. Deßwegen haben sie auch fast etwas Stolz auf ihr „Krautwälsch“ und wollen überhaupt zu Hause kaum eine andre Sprache aufkommen lassen; so daß deutschen [442] Frauen, welche ausnahmsweise in das Thal hinein heirathen, am Ende selbst nichts anders übrig bleibt, als mit Geduld und Ausdauer das Grödnerische zu lernen. Sie, die Grödner, machen auch gar kein Geheimniß aus dieser Vorliebe. Warum, sagte mir einer, warum sollten wir diese Sprache aufgeben und ist so gut für uns gewesen und ist noch gut, wenn wir nach Wälschland gehen und haben sie so gern! Uebrigens ist wegen der Nähe des deutschen Gebietes, durch den vielfältigen Verkehr damit, durch die geschäftlichen Beziehungen zum Landgericht in Castelruth, wo alles deutsch verhandelt wird, endlich durch die Einrichtung, daß die Kinder gewöhnlich auf ein paar Jahre zum Schulbesuche nach Klausen und Bozen geschickt werden, die erwachsenen Jungen und Mädchen aber, die bis dahin säumig gewesen, sich bei deutschen Bauern eindingen, durch all das ist unsre Sprache in dem Thale so einheimisch, daß sie besser oder schlechter fast Jedermann zu sprechen weiß, so daß vielleicht nur im innersten Orte des Thales, in St. Maria noch einzelne zu finden, die dessen unkundig sind. Wenn die Kenntniß des Deutschen ihnen die Aussicht nach Norden öffnet, so haben sie in ihrer Muttersprache den Schlüssel zum Süden und sie stehen also in der Mitte zwischen zwei fremden Gebieten zum Verständniß beider gewappnet. Allerdings machen sie sich im Italienischen bälder heimisch als im Deutschen, und daher ist es ihnen auch in der Regel geläufiger, als dieses.

Auf seltsame Weise wird in diesen Thälern der Schulunterricht betrieben. Die Kinder lernen lesen und schreiben, aber nicht ladinisch, welches ja keine Schriftsprache, sondern deutsch und italienisch. Sie werden so weit gebracht, um Texte in diesen beiden Sprachen herunterlesen und nach Angabe schreiben zu können, wissen aber nicht, was das bedeutet. Die Lehrer trachten zwar, ihnen so viel möglich von dem Verständniß beizubringen, aber wie sie selbst gestehen, hat dieß nur im Italienischen einigen Erfolg. Am meisten Sorgfalt wird billigerweise auf Verdeutlichung des Katechismus gewendet, dessen Sprache italienisch ist. Wenn nun die Jungen und Mädchen im reifern Alter in deutsches Gebiet oder nach Italien [443] wandern, so erblüht ihnen erst die Erkenntniß, warum sie so lange Jahre in der Schule gesessen. Jetzt lernen sie allmählich die Bedeutung der mannichfachen Wörter und Phrasen kennen, die ihnen etwa aus beiden Sprachen noch im Kopfe geblieben und allmählich kommen sie auch darauf, was die schönen Geschichten alle sagen wollten, die sie in den Tagen ihrer Kindheit stundenlang herunter lesen mußten.

In den Kirchen wird zumeist italienisch gepredigt; zu Zeiten aber auch deutsch. In neuerer Zeit finden sich einzelne Geistliche, welche sich bemühen, das Italienische der größern Verständlichkeit wegen zum Grödnerischen herabzuziehen oder dieses zu jenem hinaufzuheben und so predigen sie denn in einem italianisirten Gardena. Als Seelsorger werden keine deutschen Priester hier verwendet, und auch reine Italiener sind nicht ganz paßlich. Dagegen erscheinen die geistlichen Herren von Enneberg vollkommen tauglich und auch die von Buchenstein und Fassa, wo ein Dialekt gesprochen wird, der den Uebergang aus dem Ladinischen ins Italienische bildet, können sich in kurzer Zeit ganz heimisch machen. Diese vier Landschaften, Gröden, Enneberg, Buchenstein und Fassa bilden daher, so zu sagen, eine abgeschlossene geistliche Sprachprovinz, welche ihre Seelsorger ausschließlich nur aus ihren Landsleuten erhält.

Uebrigens scheint vor der besseren Einrichtung des Schulunterrichts, für welchen sich allerdings das Italienische bald als das Eingänglichere darbieten mußte, das Deutsche, wenn nicht noch mehr verbreitet, so doch diejenige Sprache gewesen zu seyn, welche man für schriftlichen Gebrauch allein anerkannte, und die Romanen in Gröden und Enneberg mögen daher ein umgekehrtes Seitenstück zu den deutschen Cimbern in den Sette Communi gebildet haben, in welch letztern, wie Schmeller sagt, sich der gemeine Mann Lesen und Schreiben nur italienisch denken kann. Es leitet zu dieser Annahme die Wahrnehmung, daß alle älteren Inschriften auf Häusern, Grabmälern etc. vom vorigen Jahrhundert an rückwärts deutsch oder lateinisch sind. Das Italienische hat sich erst in den letzten [444] Jahrzehnten gleiche Geltung errungen und eignet sich nun allmählich den Vorrang an.

Bemerken wir noch schließlich, daß jetzt die meisten Grödner Familien nicht deutsche, aber germanisirte Geschlechtsnamen führen. Nach dem ursprüglichen Gebrauch des Thales scheint man sich mittelst der Präposition de von den angestammten Höfen genannt zu haben und daher das adelige Aussehen mehrerer solcher Namen. So ist auch jener Johann de Metz, gesegneten Andenkens, der die Bildschnitzerei in Gröden eingeführt, eigentlich wohl nur ein Bauer vom Metzer Hof, und so steht’s ungefähr auch mit den de Laag, de Berto, de Suen etc. In neuerer Zeit hat man dieß vornehme de fast durchgängig aufgegeben, dafür hinten an den Namen ein deutsches er gesetzt und auch sonst noch einige Veränderungen angebracht, die dem deutschen Nachbar die Aussprache mundgerechter machen können. So sind die de Pecei (vom Tannenwald, Peceto) jetzt Pitscheider, Petscheider, Patscheider oder Bettscheider geworden, die de Larcenei (vom Lärchenwald) Lartschneider, die de Sotruf (von unter dem Bach) Sotriffen, die de Val bona (vom guten Thal) Wellponer, die al Doß (auf dem Bühel) Aldosser, und so sind auch die Peratoner, Gudauner und andere zu ihren jetzigen weltläufigen Namen gekommen.

In Enneberg ist’s so ziemlich derselbe Fall, doch machen sich die Leute daselbst auch wenig Bedenken, einen doppelten Namen zu führen, und mancher der sich in seinem Heimathsort da Saß oder da Punt nennen läßt, gibt sich, wenn er vors Landgericht kommt, für einen Steiner oder Brucker aus.

Indessen sind wir auch wieder zur Wanderschaft bereitet. Sämmtliches Rösselwirthshaus ist schon aufgestanden, ganz früh am Tage. Klausnerin und Grödner, die jungen Eheleute, machen, wie es Anfängern ziemt, bei all der guten Bedienung billige Zeche. Demnach auch wohlgewogener Abschied und auf die Bitte ein andermal, wenn man des Weges sey, wieder einzusprechen, die huldvollste Bejahung. Nach diesem greift man zum Stocke, schüttelt jede Hand, die dargeboten [445] wird und begibt sich auf den Weg ins Thal hinein über das Joch nach Kolfuschg.

Schöner, kühler Sommermorgen; thauige Mähder, freundliche Lichter in der wechselnden Thalsohle und ein Weg, der bald aufwärts, bald abwärts führt nach dem nächsten Dorf, kaum eine Stunde weit, wo aber doch wieder zugesprochen wird, um wenigstens eine flüchtige Bekanntschaft mit den Leuten von St. Christein zu machen. Im Wirthshause finden sich ein paar gesprächige Trinker, die wir aber nicht verstehen, und dann wieder eine Erscheinung wie zu Pufels auf der Höhe, nämlich die Bäckertochter von Urteschei, ein gar schönes Mädchen, hoh und hehr gewachsen wie Brunhild in den Nibelungen, mit den lieblichen Wangen von Gröden, reinlich und schmuck in dunkle Farben gekleidet. Die Jungfrau sah so gebildet und vornehm aus, als wenn sie nicht nur italienisch, sondern auch französisch sprechen könnte, trug aber einen Korb voll Brod auf dem Rücken und gebärdete sich so unschuldig und so einfach, als wenn ihr noch niemand zu wissen gethan hätte, daß sie eine grödnerische Schönheit sey. Wir richteten einige Fragen an das Mädchen, und darauf gab sie uns bescheiden und artig deutsche Antwort. Dann, nachdem die Wirthin mit dem Gelde für die Semmeln hereingekommen war und es ihr in die Hand gegeben hatte, zählte sie es nach, schob es ein und ging mit ihrem Tragkorb wieder um ein Haus weiter. Soll nach Aussage der Wirthin ein vorzügliches Mädchen seyn, brav, sittlich, gottesfürchtig und was sich sonst noch alles von einer Jungfrau rühmen läßt.

Von St. Christina gelangt man bald zum Schlosse Fischburg, das weithin scheinend in den tiefen Matten des Thales liegt. Zum Unterschied von vielen andern hat es ein sehr friedliches Aussehen, und gleicht eher einem weitläufigen Mayerhofe, als einer jener trotzigen Vesten an der Etsch. Weiter drinnen ist noch ein Dörflein, St. Maria, und links von diesem geht ein Thälchen ein zwischen himmelstürmenden Dolomiten. Darin sind an der schroffen Wand des hohen Stabiakopfes die angeklebten Trümmer der Burg von Wolkenstein zu sehen, die ehemals nur durch eine aus dem Felsen gehauene [446] Treppe zugänglich war. Hier in dem wilden verlornen Winkel des grausigen Gebirges, in dem unzugänglichen Horst steht die Burg, deren Namen so viele gefeierte Ritter und Herren trugen, und ihn im Vaterland, in deutschen und wälschen Landen bekannt machten. In ältesten Zeiten gehörte die Veste den edlen Maulrappen und von diesen ging sie im dreizehnten Jahrhundert an die Herren von Villanders über, welche ihren Namen von einem jetzt verschwundenen Schlosse ober Klausen führten. Konrad von Villanders, Burggraf zu Seben, nannte sich 1325 zuerst von Wolkenstein. Unter dieser Benennung blüht das Geschlecht noch jetzo in mehreren Zweigen. Zur Zeit Herzog Friedrichs mit der leeren Tasche hielt sich Oswald von Wolkenstein öfter selbstverbannt in dieser seiner Veste, um den Lauf der Zeiten abzuwarten. Oswald von Wolkenstein war überhaupt ein halber Grödner und im Krautwälsch erfahren wie einer, denn auf der nahen Trostburg geboren, verlebte er einen guten Theil seiner Knabenjahre unter den Bauern von Gardena. Auf seinen Ritterfahrten nach Italien, in die Provence, nach Spanien und Portugal fand er, wie es den spätern Schnitzlern ging, daß alles, was in solchen Ländern geredet werde, nichts anders sey, als ein verschieden aufgeputztes Grödnerisch. Mit dieser Sprache kam er auch in Aragonien recht gut durch und die schöne Königin scheint er gar wohl verstanden zu haben, als sie ihm mit Händlein weiß ein Ringlein in den Bart band und dazu die Worte sprach: Non may plus disligaides. *)[6] Seine Ritterzüge lassen sich wie ein Vorbild ansehen, das [447] er den Grödnern für ihre Schnitzlerfahrten aufstellte, und wenn nicht so manches Jahrhundert verronnen wäre von der Zeit, wo er aus Wälschland zurückkam, bis zu den Tagen, wo die ersten Bilderkrämer aus seinem Thale über die Apenninen gingen, so könnte man sagen, an ihn knüpfe sich die Ueberlieferung, wie gebahnte Wege der Eingeborne von Gardena jenseits der südlichen Gebirge finde.

Der Langkofel ist ein schrecklicher Fels, der seine ungeheure Dolomitenzunge so hoch gen Himmel streckt, daß euch dabei fast ein Schauer anfällt. An seinen Wänden hängt kein Grashalm, viel weniger daß da eine Gemse klettern könnte. Auf dem Haupte trägt er eine weiße Decke. So unerklimmbar er von dieser Seite dasteht, so ist ihm aber doch von hinten beizukommen und wir haben mehr als einen Grödner gefunden, der von da oben herunter in sein liebes Thal geschaut. Bis jetzt hatten wir ihn vor uns gehabt, aber nunmehr trat er zur Seite, denn wir wanderten das Grödnerjoch hinauf, jäh und steil eine lange Zeit, bis es oben in hügeligen Wiesen endet. Dort empfingen uns wieder andre Felsgebilde, die ebenso starr und schroff den breiten Wiesgrund umstanden. Eine verlassene Sennhütte stand am Wege und in ihrer Nähe etliche junge Zirbelbäume.

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Veröffentlicht von josefauer.com

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