Frau Emma Hellenstainer und ihre Zeit – Wenn man zu schüchtern ist

Nun war Emma eine Niederdorferin, sie war in ihrem neuen Kreise sehr beliebt, fand sich auch gut darin zurecht, aber ganz im hintersten Winkel ihres Herzens lebte eine Sehnsucht nach ihren Unterinntalern. Und beinahe wäre es dazu gekommen, dass sie eine Schwägerin aus ihrer früheren Heimat bekommen hätte. Damit verhielt es sich folgendermaßen:

Zu der Vermählung in St. Johann hatte Josef als Beistand seinen Bruder Johann mitgenommen, Brautjungfer war die Hinterbräutochter aus Kitzbühel, Anna Falkensteiner, Emmas innigste Freundin. Die lebhafte, mutwillige, schwarzäugige Nanni hatte es dem armen Johann angetan, trotz oder vielleicht gerade um des Gegensatzes willen; er war ein stiller, schüchterner, frommer Mann, der schönste unter seinen Brüdern. Der Schwägerin Emma hatte er seinen Herzenszustand verraten und sie fand bald heraus, dass dies Wohlgefallen ein gegenseitiges war. „Also Mut, zaghafter Schwager, erkläre dich, es kann nicht fehlen!“ Doch diesen Mut brachte er nicht auf! Zurückgekehrt in das Heimatdorf ging der Arme wie im Traume umher, Herz und Gedanken waren in Kitzbühel! Nach einer langen Unterredung mit Emma und von ihr ermuntert, machte er sich noch einmal auf den Weg nach Nordtirol, nahm seinen Freund Tassenbacher mit, von dessen Erfahrung (er war als Buchbindergeselle nach Wien gekommen, natürlich zu Fuß), von dessen Redegewandtheit er sich viel versprach.

Annas Schwarzaugen leuchteten, als sie die beiden ankommen sah; sie wusste ja, dass Amors Pfeile getroffen hatten; die Eltern der Nanni nahmen ihn freundlich auf, gaben es ihm in den Mund, sich zu  erklären, aber — er brachte es nicht heraus, und sein Freund Tassenbacher, der Weltgewandte, versagte gänzlich. Unverrichteter Sache kamen sie zurück. Emma lachte sie nicht wenig aus. Wochen, Monate verstrichen. „Nein, Emma, mir lässt es keine Ruhe, schreibe doch deiner Freundin, wie es um mich steht, trage ihr meine Hand an!“ Es war zu spät. Anna Falkensteiner war schon versprochen, wurde Frau Sieberer, Auracherbräuin in Kufstein, eine tüchtige Wirtin und glückliche Familienmutter. Dem Johann aber wurde eine Frau gesucht und gefunden. Doch war es kein Haupttreffer. Obwohl aus ärmlichen Verhältnissen kommend, erwies sich selbe als Frau, faul, verwöhnt, als nachlässige Gattin und Mutter, der Wohlstand verfiel, die Kinder missrieten, bis auf die älteste, nach dem Vater geartete Tochter Marie, welche aber trotz alles Fleißes den Untergang nicht aufhalten konnte. Frau Emma hatte den armen Schwager wenigstens bis zuletzt vor dem Hunger bewahrt.

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Veröffentlicht von josefauer.com

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